A Merkel Cure for the US

<--

Eine Merkel-Kur für die USA

Von Tom Schimmeck

10. September 2012

Politik braucht Begeisterung. Das ist eine Binse. Die politisch gelenkte, perfekt geplante Eskalation der Emotionen aber gefährdet die politische Willensbildung durch das Volk.

Überstanden. Die „Conventions“ sind vorbei. Akteure, Zuschauer, Berichterstatter, sie alle wissen: Es sind Shows, die größten Politspektakel der Welt. Jedes Wort, jede Geste, jede Bewegung ist einstudiert, orchestriert, auf maximale Wirkung optimiert. Scheinwerfer, Fahnen, Lieder, Bilder und Banner formen ein Scheinereignis, ein kunterbuntes Kunstprodukt. Kostenpunkt: circa 136 Millionen Dollar.

Kennen wir alles, klar. „Dieses Land“, sprach einmal ein sehr erfahrener Kollege, „ist ein einziger verdammter Kindergeburtstag.“ Und doch funktioniert es immer wieder. Kommen 15 000 Journalisten und reproduzieren die Show, überschwemmen die ganze Welt mit Slogans, Soundbytes und Videos. Schreiben und knipsen, twittern und bloggen, analysieren, kommentieren, kritisieren, aber hallo. Und verschmelzen doch mit der Show, ein Rädchen in der dampfenden Riesenmaschine, die stärker und lauter ist als alles Denken. „Die First Lady verzückt Amerika“, meldete dpa und damit tausend Quellen. Scripted Reality.

Vor Jahren war ich auf einem Republikaner-Parteitag, zum politischen Vergnügen. Hatte Zeit, die Delegierten zu bestaunen, die jedes Wildwest-Klischee übertrafen. Und mit amerikanischen Reporterprofis zu reden, die über die Albernheiten und Zwängen unserer Zunft witzelten. Lernte Bob kennen, einen Strategen, der die Auftritte sekundengenau plante und mit den TV-Sendern koordinierte. Sein Lieblingsverb war „toemark“. Es beschreibt den Zeitpunkt, da der Zeh des Politdarstellers X einen zuvor exakt definierten Punkt Y auf der Bühne berührt: „We want X to toemark at 8.36. We want him to be done at 8:58.“ Seine Tätigkeit beschrieb er als „die Exekution der effektivsten Taktiken.“

„Das Ziel, neuartige Inszenierungs- und Erlebnisformen zu bieten“, erklärt uns der Brockhaus, „unterscheidet Events von Festen mit zyklischer Wiederkehr.“ Doch eine US-Convention ist ein Event mit zyklischer Wiederkehr. Alle vier Jahre. Jedes muss in der Tat das letzte „Erlebnis“ übertreffen, noch mehr Geld und Gefühle mobilisieren, noch tiefer in den Seelen rühren. Eine politische Veranstaltung? Ja. Sie ist Teil des Kampfes um die politische Macht. Eine demokratische Veranstaltung? Nein. Der Diskurs ist abgeschafft. Man hält vorgedruckte Schilder hoch: „Wir lieben Michelle“. Oder einfach: „Mitt!“ Ballonregen. Ende.

Politik braucht Begeisterung. Das ist eine Binse. Die politisch gelenkte, perfekt geplante Eskalation der Emotionen aber gefährdet die politische Willensbildung durch das Volk. Nirgendwo wird das besser sichtbar als in der Abwärtsspirale der Republikaner, die keinen Konsens mehr kennen. Die zerfressen sind von instrumentalisierten Gefühlen, vom Hass auf Schwarze, Schwule und den Staat, von Angst vor dem Abstieg, El-Kaida, China und ihrem bösen Gott, der uns bald alle holen kommt.

Die halbe Nation, weit nach rechts gedriftet, hat sich eingegraben in einen fundamentalistischen, waffenstarrenden Eskapismus, der sich für patriotisch hält und doch nur die Komplexität dieser Welt negiert. Obama vollbrachte es anfangs, diesem fatalen Gefühlscocktail Hoffnung entgegenzusetzen. Was er nicht geschafft hat: Die emotionale Inflation zu stoppen, den USA ihren Pragmatismus, ihre Nüchternheit, ihre kollektive Zuversicht zurückzugeben. Man wünscht dem Land eine Absenkung der politischen Betriebstemperatur. Eine Art Merkel-Kur.

About this publication