Symptome gelindert, Ursache nicht behoben
von Moritz Koch
22.10.2012
Seit Kurzem wandelt sich die Lage des Wahlkämpfers Obama. Die Zahl der Arbeitslosen sinkt, die Amerikaner schöpfen Vertrauen in den Aufschwung. Doch weder der US-Präsident noch sein republikanischer Herausforderer Romney wagen zu sagen, dass dem Land ein neuer Morgen bevorstehe. Zu Recht.
Einfache Sprachbilder waren die Spezialität von Ronald Reagan. Bis heute unvergessen der Slogan “It’s morning in America”, mit dem er 1984 um seine Wiederwahl kämpfte. Das Land habe die Rezession bald hinter sich, lautete die Botschaft, und sie traf das Lebensgefühl der Wähler. Reagan siegte triumphal.
Die Methode Zuversicht schien sich für den Wiederwahlkämpfer Barack Obama lange zu verbieten. Zu groß das Heer der Arbeitslosen, zu hoch die Schulden, zu trist die Stimmung der Wähler. Doch in den vergangenen zwei Monaten hat sich die Lage gewandelt. Die Arbeitslosenquote sinkt, ganz langsam schöpfen die Amerikaner Vertrauen in den Aufschwung.
Und Obama, dessen Kampagne bisher vor allem eine Warnung vor seinem Widersacher Mitt Romney war, passt seine Botschaft an: “Es geht wieder voran”, ruft er jetzt. “Wir haben fünf Millionen Jobs geschaffen. Die Häuserpreise steigen wieder, die Börsenkurse haben sich verdoppelt.” Es ist ein Hoffnungsschimmer, vielleicht die blaue Stunde nach der schwarzen Nacht der langen Krise. Doch weder Obama noch Romney wagen es zu sagen: Dem Land steht kein neuer Morgen bevor, sondern ein Erwachen mit den alten Lastern. The same old yesterday.
Die US-Wirtschaft steckt in gefährlichen Routinen fest. Konsumabhängig und schuldenfinanziert war das Wachstum vor der großen Rezession. So ist es geblieben. Zwei Drittel seiner Wirtschaftskraft verdankt Amerika der Kauflust seiner Bürger. Seit dem Schicksalsjahr 2008 ist der Anteil des Konsums am Bruttoinlandsprodukt nicht gesunken, sondern leicht gestiegen. Das Land lebt über seine Verhältnisse. Das zeigt die Handelsbilanz: Einnahmen aus Exporten stehen weit höhere Ausgaben für Importe gegenüber. Die Ungleichgewichte, die Amerika ins Straucheln brachten, bestehen fort.
Nach wie vor basiert der amerikanische Lebensstil auf Schulden. Zentralbanken in Asien und im Nahen Osten, die verhindern wollen, dass ihre Währung zu stark steigt, drucken Geld, kaufen damit US-Staatsanleihen und ermöglichen den Amerikanern so ein Leben auf Pump. Das Problem: Amerika verprasst das Geld. Es investiert zu wenig in Straßen, Schulen und neue Technologien. Dafür leistet es sich zu viele Einfamilienhäuser, Einkaufszentren und Kampfflugzeuge.
Amerikaner kauften auf Kredit – bis die Blase platzte
Als das Land in den Abgrund einer zweiten Depression starrte, verkündete Obamas Stabschef Rahm Emanuel: “Man darf keine Krise ungenutzt verstreichen lassen.” Und zunächst sah es so aus, als mache Obama ernst. Das Konjunkturprogramm gab der Wirtschaft Halt, die Finanzreform bändigte die Wall Street. Doch am Ende von Obamas erster Amtszeit ist die Bilanz ernüchternd: Seine Regierung hat Symptome der Krise gelindert, aber ihre Ursachen nicht behoben. Dabei hatte Obama die richtige Diagnose gestellt. Der Präsident versprach, die Industrie zu stärken und die Exporte bis 2015 zu verdoppeln, um die Abhängigkeit vom Konsum zu brechen. Doch die Agenda war nicht ambitioniert genug. Die Exporte normalisieren sich, aber das ist kein Aufbruch in eine bessere Zukunft.
Sozial und politisch gespalten
Die Ursachen der Krise liegen in der sozialen Spaltung der Gesellschaft und in der politischen Spaltung Washingtons. Die Erosion der Mittelschicht treibt die Menschen in die Schulden, und die Selbstblockade der Parteien verhindert die Sanierung der Staatsfinanzen. Vor dem großen Crash schufen Niedrigzinsen und die Deregulierung des Finanzmarkts eine Wohlstandsillusion. Die Amerikaner kauften teure Häuser auf Kredit – bis die Blase platzte. Und heute? “Portfolio-Effekte” sind ein Ziel von Notenbank-Chef Ben Bernanke. Frisch gedrucktes Geld soll die Börse und den Immobilienmarkt antreiben, damit die Menschen sich wieder reicher fühlen. Kurzfristig kann das gelingen. Doch wird dabei die Wachstumslok auf ihr altes Gleis zurückgehoben, mit den bekannten Crash-Gefahren.
US-Präsidentschaftswahl 2012 Mit ein bisschen Hilfe von den Promi-Freunden
Um die US-Wirtschaft auf mehr Produktion auszurichten und gut bezahlte Industriejobs anzusiedeln, bedarf es keiner geldpolitischen Tricks, sondern echter Reformen. Sie sind mühsam und kosten Zeit. Aber es lohnt sich: Die Erschließung heimischer Energiequellen etwa könnten die USA aus der Abhängigkeit von Ölimporten lösen. Fallende Strompreise würden Betriebe, die das Land vor Jahren Richtung Asien verließen, zur Rückkehr motivieren. Wenn es Washington gelänge, reformfähig zu werden, wäre es wirklich: morning in America.
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