US and China: The Rise and Fall of Two World Powers

Edited by Mary Young

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US-Wahl und Parteitag in China: Fast zeitgleich entscheiden die beiden größten Mächte der Erde über ihre Vision der Zukunft. Die beiden Länder ringen um die Überlegenheit ihrer Systeme. In dem Zweikampf geht es um nichts weniger als die Frage, ob eine freiheitlich-demokratische Regierungsform am Ende stärker ist als ein autoritär-unfreies System.

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Die USA und China bestimmen nur alle 20 Jahre zum gleichen Zeitpunkt ihr Führungspersonal. 1992 war diese Parallelität nicht relevant. Die USA hatten gerade den Kalten Krieg gewonnen, der Westen leuchtete, und angeblich stand das Ende der Geschichte bevor. Ein junger Gouverneur aus Arkansas wurde überraschend zum Präsidenten gewählt, weil er verstanden hatte, dass den Menschen ihr Geldbeutel wichtiger ist als der Erfolg in der Welt.

In China machte sich ein gewisser Jiang Zemin daran, das Werk der ökonomischen Lockerung von Deng Xiaoping fortzusetzen, der zu diesem Zeitpunkt vor allem deshalb in Erinnerung geblieben war, weil er 1989 die Demokratiebewegung hatte niederkartätschen lassen. Das Land war verschlossen.

Heute, 20 Jahre später, ist der Führungsvergleich zwischen China und den USA von ungleich größerer Bedeutung. Die Geschichte hat ihre Spuren gezogen, sie war gnädig zu China und weniger gnädig zu den USA. Plötzlich sehen sich zwei Regierungen Auge in Auge. Unter der Führung der nahezu zeitgleich bestimmten Präsidenten wird nicht nur über eine Rivalität, sondern über den großen ideologischen Konflikt dieser Zeit entschieden.

Scheinbilder, denen man nicht erliegen darf

Beide Präsidenten wissen, dass ihr Land ein Scheinbild darstellt, dem man nicht erliegen darf. In den USA ist der satte Optimismus von vor 20 Jahren verflogen. Zu viele Schulden, zu viele tote Soldaten, zu viel politischer Hass – Amerika hat wenig Freude an der Welt und an sich selbst. Das Land steigt herab vom Thron der Führungsmacht und verliert seinen Glanz. So sieht es inzwischen die Welt. Aber stimmt das Bild?

China hat sich zwei Dekaden nach Jiang Zemin neu erfunden: Hochgeschwindigkeitszüge schießen durchs Land, in den Städten sind die Fahrräder verschwunden, Glitzertürme wachsen in den Himmel. China hat eine Wachstums- und Wohlstandsexplosion erlebt wie kaum ein anderes Land auf der Erde.

Hunderte Millionen Menschen sind der Armut entkommen. So kräftig ist das Land geworden, dass die Nachbarn erschreckt Schutz suchen. Ein Gigant ist erwacht, eine neue Führungsmacht. So sieht es inzwischen die Welt. Aber stimmt das Bild?

Die Geschichte von Aufstieg und Niedergang ist so verlockend wie falsch. Wer Amerikas Niedergang beschwört, der verkennt die Erneuerungskräfte des Landes, die sich gerade am Wahltag zeigen. So brutal der politische Kampf auch geführt wurde, so polarisiert das Land ist – der Wahltag beschert den USA alle vier Jahre einen Energieschub.

Als Barack Obama 2008 die Macht übernahm, sorgte er für eine abrupte Korrektur der Übertreibungen der Bush-Jahre. Vier Jahre später entschied sich die Mehrheit ebenfalls nicht in müder Resignation für diesen Mann. Nein, sie traf eine Richtungsentscheidung. Die Mehrheit will keine ideologische Überzeichnung, sie will keine ökonomische und politische Polarisierung – sie will eine Chance, und sie will Gerechtigkeit.

So erhalten die USA noch einmal die Chance, die simple Geschichte vom Niedergang umzuschreiben. Amerika befindet sich wahrlich nicht in Not, aber unkomfortabel und deprimierend ist die Lage der Nation schon. Die Botschaft vom Wahltag an die Politik ist: Blockiert euch nicht länger, arbeitet zum Wohl des Landes. Der Fehler liegt nicht im System, er liegt im politischen Personal.

Wie bei den USA so versteckt sich auch hinter dem Bild vom glitzernden China eine zweite Wahrheit. Der Machtwechsel in der Führung vollzieht sich unter höchster Anspannung. Das Wachstum liegt nur noch bei 7,4 Prozent – zwei Prozentpunkte unter den Werten von vor einem Jahr und damit zu niedrig, um den Hunger der Bevölkerung nach Arbeitsplätzen und besseren Lebensumständen zu stillen.

Spannungen entladen sich überall: soziale, ethnische und religiöse Konflikte, Konflikte zwischen Obrigkeit und Volk. China erlebt einen unkontrollierten Ausbruch von Öffentlichkeit – im Internet, über das Handy, sogar in den staatlichen Medien. Wissenschaftler und Oppositionelle werden immer mutiger, und selbst die Kader im Politbüro lancieren ihre Version der Machtverhältnisse in westlichen Zeitungen. Der Kampf wird halböffentlich ausgetragen, und was sich da erkennen lässt, zeugt von schwerem Unrecht, von Korruption, von Clan-Rivalitäten. Es bestehen Zweifel an der strukturellen Tragfähigkeit des Systems.

Zeit für eine innere Revision

Unbestritten ist, dass China und die USA wegen ihrer Wirtschaftskraft konkurrieren werden. Selten in der Geschichte konnten sich zwei vergleichbar große Mächte auf eine friedliche Koexistenz verständigen. Seine historische Bedeutung bekommt der Zweikampf aber, weil sich hinter der Geschichte von Aufstieg und Niedergang ein Wettbewerb um die richtige Herrschaftsform verbirgt.

Man kann es sogar eine Ebene höher ansiedeln: China und die USA ringen um die Durchsetzung von Werten, um die Überlegenheit ihrer Gesellschaftssysteme. Es geht um nicht weniger als die Frage, ob eine freiheitlich-demokratische Regierungsform am Ende stärker ist als ein autoritär-unfreies System. Es geht darum, ob eine offene Gesellschaft eher zur Korrektur und Selbstverbesserung in der Lage ist als eine unfreie, gelenkte Gesellschaft.

Die zeitgleiche Besetzung der Führung hat offenbart, dass beide Nationen Grund zur inneren Revision haben. Das chinesische System ist an einem gefährlichen Punkt angelangt. Zu viele Kräfte wirken gegeneinander und entladen sich unkontrolliert. Die Partei erhebt einen umfassenden Machtanspruch – aber worauf?

Auch China hat die Wahl

In der Partei toben die Auseinandersetzungen über den Grad der Öffnung, über Transparenz, am Ende über die Preisgabe von Macht. Ganz oben auf der Liste der Gefahren steht die Sorge um die Einheit des Landes. Die Einheit Chinas ist nicht garantiert. Der Separatismus entlang ethnischer Grenzen ist allgegenwärtig. Gefährlicher aber ist die gärende Unzufriedenheit, die sich quer durch die Gesellschaft zieht und durch das bohrende Gefühl großer Ungerechtigkeiten ausgelöst wird.

Amerika leidet eher unter ideologischen Bruchlinien. Die sind nicht minder gefährlich, weil sie nun zwei Jahre lang das Land politisch gelähmt haben. Zerbrechen wird Amerika darüber nicht, aber es verliert seine Kraft.

Wer am Ende gewinnen wird? Die Welt hat weder ein Interesse am Niedergang der USA noch an einem inneren Kollaps Chinas. Aber das chinesische System steht unbestritten unter größerem Druck, es kann auf die Krise nur mit Repression reagieren. Solange die Partei den Mut zur Freiheit nicht aufbringt, werden sich die Spannungen immer an ihr entladen. In den USA sorgt das System für Entladung. Amerika hat sich die Freiheit schon genommen. Es hatte ja die Wahl.

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