Duell mit der Tea Party
Von Eric Frey
5. Dezember 2012
Bei den US-Budgetverhandlungen geht es um die Zukunft der Wirtschaftspolitik
Seit Monaten ist die “Fiskalklippe” in den USA das bestimmende Thema auf den Finanzmärkten. Die im Vorjahr zwischen Demokraten und Republikanern vereinbarten massiven Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen, so die Angst, würde die US-Wirtschaft zurück in eine Rezession werfen und alle Fortschritte der letzten Monate zunichte machen. Nur ein großer Budgetkompromiss könne diese Gefahr abwenden.
Wenige Wochen vor dem Stichtag deutet alles darauf hin, dass die USA die Klippe hinabstürzen werden. Anders als in den verunglückten Verhandlungen vom Sommer 2011 lässt sich der wiedergewählte US-Präsident Barack Obama nicht von den Republikanern an die Wand drücken. Er spielt ganz bewusst mit dem Feuer, indem er auf eine Erhöhung der Steuersätze für Reiche pocht, ohne die nach Meinung der meisten Ökonomen keine nachhaltige Defizitreduktion möglich ist. Und da am 1. Jänner 2013 alle Steuersätze automatisch wieder auf den Stand der Clinton-Ära hinaufschnellen, hat er die besseren Karten in der Hand. Dann kann Obama eine Steuersenkung nur für die Mittelschicht vorschlagen, was die steuerfeindlichen Republikaner nicht ablehnen können – und schon wären die Steuersätze so, wie Obama es will.
John Boehner, der Sprecher des Repräsentantenhauses, ist in einer unmöglichen Situation: Der rechte Flügel der Republikaner reagiert auf jedes Zugeständnis, das er macht, mit Wutgeheul – auch auf den von ihm vorgelegten Budgetvorschlag, in dem er die wichtigsten Details offenließ. Der Druck der Tea Party schmerzt mehr als jeder Sprung über die Fiskalklippe.
So schlimm wäre dieses Szenario gar nicht, sagen jetzt viele Ökonomen, denn Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen lassen sich um viele Wochen hinauszögern. Aber wichtiger als jeder kurzfristige Konjunktureffekt ist etwas anderes: Die erste Steuererhöhung in den USA seit 20 Jahren wäre eine Weichenstellung in Richtung einer vernünftigen Wirtschaftspolitik, in der die amerikanischen Bürger endlich wieder beginnen, die von ihnen gewünschten und zum Großteil auch benötigten Staatsausgaben selbst zu finanzieren – und nicht auf Pump von China.
Konservative Stimmen haben recht, dass die USA auch bei den gewichtigsten Sozialprogrammen etwas tun müssen – weniger bei der Krankenversicherung für Ältere (Medicare), wo schon dank der Gesundheitsreform gespart wird, mehr beim öffentlichen Pensionssystem (Social Security). Aber das sind langfristige Themen, die nicht innerhalb von Wochen gelöst werden müssen. Und die hohen Rüstungsausgaben werden ohnehin sinken, wenn der Krieg in Afghanistan zu Ende geht.
Politisch heikler für Obama könnte die Zeit nach dem Jahreswechsel werden: Irgendwann im Frühjahr müssen die USA erneut ihre Schuldengrenze anheben, um nicht in die Staatspleite zu schlittern, und die Republikaner sehen dies als ihr bestes Druckmittel, um ihre radikalen Budgetpläne durchzudrücken. Doch vieles deutet darauf hin, dass Obama dieser Erpressung anders als 2011 nicht nachgeben wird.
Zumindest wäre das zu wünschen. Die Finanzmärkte würden ein noch so brutales Tauziehen um Schulden und Budget wohl aushalten. Entscheidend ist, dass die Wirtschaftspolitik endlich dem Würgegriff der Tea Party mit ihrem Anti-Steuern-Dogma entkommt. Wenn Obama dies gelänge, dann wäre seine zweite Amtszeit auf gutem Kurs. (Eric Frey, DER STANDARD, 6.12.2012)
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