Gewehre für Kinder
Von Ragnar Vogt
27.01.2013
Die amerikanische Waffenindustrie wirbt um Nachwuchs. Millionen Dollar gehen in Werbung und Lobbyarbeit, damit mehr Kinder mehr Pistolen und Gewehre in die Hand bekommen.
“Wer weiß?”, fragte ein Artikel des US-Magazins Junior Shooters, “vielleicht findest auch du eine Bushmaster AR-15 unter deinem Baum an einem frostigen Weihnachtstag.” In dem Text ging es um das Sturmgewehr, mit dem mehrere Massaker verübt wurden, unter anderem die von Newtown und Aurora. Thema waren solche Vorfälle nicht. Junior Shooters wird von der Waffenindustrie unterstützt. Die Zeitschrift richtet sich an Kinder und zeigt auf der Titelseite schon mal eine 15-Jährige, die stolz eine halbautomatische Waffe präsentiert.
Die Morde in der Grundschule von Newtown, bei denen 20 Kinder und 6 Erwachsene starben, haben viele Menschen in den USA aufgeschreckt. Nun möchte die Regierung von Präsident Barack Obama die Gesetze verschärfen: Sturmgewehre wie die AR-15 sollen verboten und Waffenkäufer strenger kontrolliert werden.
Doch in der Debatte über den Umgang mit Waffen spielt bisher ein Punkt kaum eine Rolle, wie die New York Times in einem langen Text schreibt: Die Industrie setzt alles daran, dass Kinder und Jugendliche sich an Gewehre gewöhnen und schon früh das Schießen lernen. Zig Millionen Dollar fließen dafür in Werbung und Lobbying.
Munition für Pfadfinder
Pfadfindergruppen bekämen Gewehre und Munition geschenkt. Wettbewerbe, bei denen Kinder sich im Schießen mit Waffen messen, würden gesponsert. Zudem bekämpfe die Waffenlobby Gesetze in einzelnen Staaten, die ein Mindestalter für die Jagd vorsehen.
Grund für die Mühen: Die Waffenbefürworter befürchten, dass ihnen der Nachwuchs ausgeht. Zwar haben in den letzten Jahren die Waffenverkäufe zugenommen. Auch ist der Schießsport wieder sehr populär in den USA. Doch die Urbanisierung und die Alterung der Gesellschaft lassen langfristig schlechtere Geschäfte mit Gewehren und Pistolen befürchten.
Zudem ändert sich das Freizeitverhalten: Heute spielt man lieber zu Hause mit der Videokonsole, anstatt mit der Schrotflinte durch den Schlamm zu robben. So schrumpfte die Zahl der registrierten Jäger von sieben Prozent der Bevölkerung im Jahr 1975 auf fünf Prozent 2005. Deshalb hat die Industrie in den letzten fünf Jahren ihre Bemühungen um den minderjährigen Nachwuchs verdoppelt.
Verantwortung lernen durchs Schießen?
Begleitet wird die Kampagne von ausführlicher Sozialforschung, die von industrienahen Instituten betrieben wird, berichtete die New York Times. Die Zeitung erwähnt etwa eine Studie, die von einem Verband der Sportschützen-Industrie finanziert wurde. Darin heißt es, dass waffenerfahrene Kinder zwischen acht und 17 Jahren dazu ermuntert werden sollten, Altersgenossen für den Schießsport zu begeistern.
Etwa mit Bogenschießen oder Paintball sollen die Minderjährigen an den Waffengebrauch gewöhnt werden. “Wichtig ist, dass die Neulinge damit beginnen, mit irgendetwas zu schießen”, heißt es demnach in der Studie. “Der natürliche nächste Schritt ist dann, dass sie echte Feuerwaffen benutzen.”
Auch die zwei großen Waffenlobby-Organisationen, die National Rifle Association (NRA) und die National Shooting Sports Association setzen sich dafür ein, dass Kinder schon früh das Schießen lernen. So gab 2010 die NRA 23 Millionen Dollar für entsprechende Programme aus. Zur Begründung heißt es meist, dass ein Kind durch die Beschäftigung mit Feuerwaffen Verantwortung und Ethik erlernen könne.
Die NRA brachte zudem ein Spiel für iPhone und iPad heraus, das für Kinder schon ab vier Jahren freigegeben ist. Der Egoshooter mit dem Namen Practice Range ist gratis. Der Spieler kann darin mit Waffen schießen, die es auch zu kaufen gibt – auch mit der AR-15. Einer Waffe, die ursprünglich für die amerikanische Armee entwickelt und gebaut wurde.
Leave a Reply
You must be logged in to post a comment.