“Tired of Giving In”

<--

»Ich war es müde nachzugeben«

Von Max Böhnel

04.02.2013

Außer mit einer Briefmarke, die die US-Post zu Ehren von Rosa Parks 100. Geburtstag herausgibt, und ein paar kleinen Gedächtnisveranstaltungen wird auf die Bürgerrechtlerin in den USA nicht weiter verwiesen.

Nach ihrem Tod vor acht Jahren beschrieben sie viele Mainstream-Medien als unauffällige Schneiderin, die im Bus aus Müdigkeit sitzen geblieben sei. Doch Rosa Parks war, als sie sich weigerte, für einen Weißen ihren Sitzplatz zu räumen, bereits 42 Jahre alt. Die Jahre davor hatte sie politisch bewusst durchlebt. Schon als Kind war ihr der Ku Klux Klan aufgefallen. Ihr Großvater, schrieb sie in ihrer Autobiografie, hatte sich für alle Fälle eine Schrotflinte im Haus zurechtgelegt. Als junge Frau heiratete sie in den 30er Jahren einen aktiven Bürgerrechtler. Sie selbst trat 1943 in die NAACP (National Association for the Advancement of Colored People) in Montgomery im Bundesstaat Alabama ein, als deren Vorsitzende sie bis 1957 fungierte. Rosa Parks pflegte dabei gute Kontakte zur relativ starken Communist Party in Alabama, die sich vorbildlich gegen den Rassismus und für die Rechte der Afroamerikaner engagierte.

Kurz vor ihrem berühmten zivilen Ungehorsam im Bus hatte sie begonnen, politische Fortbildungsveranstaltungen in einer Schule in Tennessee zu besuchen. Dort trafen sich schwarze und weiße Bürgerrechtsaktivisten sowie Linke, die Rassentrennung und Klassenschranken überwinden wollten und dazu Widerstandsstrategien erprobten. Weshalb sie 1. Dezember 1955 nach der Arbeit einem Weißen im Bus einfach nicht Platz machen wollte, beschrieb sie später mit den Worten: »Das einzig Müde an mir war an dem Tag, dass ich es müde war nachzugeben.« Kurz darauf wurde in Montgomery ein über einjähriger Bus-Boykott organisiert – von dem damals noch nicht bekannten Martin Luther King.

Es dauerte noch weitere neun Jahre, bis mit dem »Civil Right Act« 1964 endlich die formale Rechtstellung aller US-Amerikaner, gleich welcher Hautfarbe, erreicht wurde. Rosa Parks gilt jedenfalls als die »First Lady der Bürgerrechte« und als »Mutter der Freiheitsbewegung«.

Ob vergleichliche Ehren dem ersten afroamerikanischen Präsidenten, der seine zweite Vierjahresamtszeit begonnen hat, zuteil werden, ist unklar. 93 Prozent der Afroamerikaner haben für ihn gestimmt – er sei in einer »Bringschuld«, heißt es jetzt.

Denn die enttäuschenden ersten vier Jahre Obamas waren von Wirtschaftskrise und der fortbestehenden sozialen Kluft, nicht zuletzt zwischen Schwarzen und Weißen, geprägt. Dreimal so viele Afroamerikaner leben in Armut wie Weiße. Schwarze besetzen nur drei Prozent der Spitzenpositionen in Politik und Wirtschaft – aber stellen mit einer Million Häftlinge fast die Hälfte aller Gefängnisinsassen. Im Vergleich mit Weißen sind sehr viel mehr schwarze Jugendliche drogenabhängig oder brechen vorzeitig die Schule ab.

Gegen vierzig Prozent der afroamerikanischen Kinder leben in Armut. »Zweimal so viele Schwarze sind arbeitslos wie Weiße«, klagt die Bürgerrechtsorganisation »National Urban League«. Das Vermögen der schwarzen Haushalte ist in den vergangenen Jahren um mehr als die Hälfte gefallen – das der Weißen um weniger als 20 Prozent.

Dabei stellen Afroamerikaner nur 13 Prozent der USA-Bevölkerung – und sie sind keine Einwanderer, sondern gehören seit Jahrhunderten von Jahren zum Urgerippe der USA. Sozialwissenschaftler nennen dies »institutionellen Rassismus« oder »Kontinuität der Rassentrennung«. Trotz formaler Gleichstellung und entsprechender Bundesprogramme ist das Gesicht der extremen Armut in den USA unverändert schwarz. Dazu kommt, dass ein halbes Jahrhundert nach den Erfolgen der Bürgerrechtsbewegung ausgerechnet die öffentlichen Schulen die am stärksten segregierten Institutionen in den USA sind.

Ein afroamerikanischer Präsident wie Obama kann an diesen verheerenden Strukturen offenbar nichts ändern. Vermied Barack Obama in der Vergangenheit aus Rücksicht auf seine weißen Wähler alles, was ihn als Vertreter schwarzer Interessen hätte ausweisen können, so vermeidet er auch in seiner zweiten Amtszeit Anspielungen auf strukturellen Rassismus und Armut. Stattdessen erfolgen Appelle an die individuelle Moral und an die »Selbstverantwortung«.

About this publication