Amerikas Drohnenkrieg
Gummi-Lizenz zum Töten
Viel ist geheim an Amerikas Drohnenkrieg. Erst seit ein Memorandum verriet, wie freihändig das Weiße Haus über Leben und Tod entscheidet, wird im Land über die Moral des ferngesteuerten Antiterrorkampfs gestritten.
Daniel Benjamin war bis vor kurzem Koordinator für den Kampf gegen den Terrorismus im amerikanischen Außenministerium. Gleichzeitig mit seiner Dienstherrin Hillary Clinton, für deren Ehemann Bill Clinton er schon im Nationalen Sicherheitsrat des Weißen Hauses tätig gewesen war, trat Benjamin im Januar zurück. Vielleicht gefiel ihm der Schatten nicht, in dem er stand. Über den von Präsident Barack Obama für das Amt des CIA-Direktors nominierten Antiterrorberater im Weißen Haus John Brennan sagte Benjamin jedenfalls dieser Tage: „Er verfügt wahrscheinlich über mehr Macht und Einfluss als irgendjemand sonst in einer vergleichbaren Position in den vergangenen zwanzig Jahren.“
Benjamin macht kein Hehl daraus, dass ihm John Brennans Machtfülle unheimlich ist. Er dürfte nicht der Einzige sein, auch wenn es den amerikanischen Medien und der Öffentlichkeit erst allmählich dämmert, über welchen Einfluss dieser Beamte verfügt: Er hat die Macht über Leben und Tod. Sie ergibt sich aus der Verfügungsgewalt, die Brennan über eine geheime Luftwaffe von bis zu 6000 Drohnen hat. In seinem Büro im Untergeschoss des Weißen Hauses hat Brennan die Definitionsgewalt über eine „Kill List“ inne. Er legt dem Präsidenten die Namen der zu tötenden Staatsfeinde vor. Obama pflegt den Empfehlungen seines Beamten zu folgen und gibt die Terrorverdächtigen zur Tötung frei.
„Legal, ethisch untadelig und weise“
Am Donnerstag musste sich Brennan dazu im Senat rechtfertigen, wo er als nominierter CIA-Direktor in die Mangel genommen wurde. Es ist wohl kein Zufall, dass dem Sender NBC zwei Tage vorher ein Memorandum zugespielt wurde, das zwar keine Unterschrift trägt, aber John Brennan gleichsam auf den Leib geschrieben scheint. Brennan ist in seiner Eigenschaft als für den Antiterrorkampf zuständiger stellvertretender Nationaler Sicherheitsberater der intellektuelle Architekt des seit Obamas Amtsantritt ausgeweiteten Drohnenkrieges.
Das nicht nur namentlich nicht gezeichnete, sondern auch undatierte „White Paper“, bei dem es sich um die Kurzfassung eines längeren Rechtsgutachtens handelt, umfasst 16 Seiten. Erst kurz vor Beginn der Anhörungen erklärte sich Obama bereit, die nach wie vor geheime Langfassung des Gutachtens den Mitgliedern des Geheimdienstausschusses des Senats zuzuleiten. Das jetzt bekanntgewordene Memorandum wurde im Justizministerium verfasst und trägt den umständlichen Titel „Die Rechtmäßigkeit tödlicher Operationen gegen einen amerikanischen Staatsbürger, der ein Führungsmitglied von Al Qaida oder einer verbündeten Gruppe ist“. Das kurze Papier ist selbst nicht als geheim klassifiziert. Es wurde im vorigen Juni den Mitgliedern der Geheimdienst- und Justizausschüsse des Senats aber nur unter der Maßgabe zur Verfügung gestellt, dass sein Inhalt vertraulich zu behandeln sei.
Das Memorandum hat zu einer heftigen öffentlichen Debatte geführt, die das Weiße Haus nicht länger ignorieren konnte. Präsidentensprecher Jay Carney nahm in einer stürmisch verlaufenden Pressekonferenz am Dienstag immer wieder zu einer schriftlichen Erklärung Zuflucht, deren Ton für die Haltung des Präsidenten und seines Stabs kennzeichnend ist. „Diese Angriffe sind legal, sie sind ethisch untadelig, und sie sind weise“, sagte Carney. Doch das Rechtsgutachten zur Lizenz zum Töten enthält reichlich Gummiparagraphen.
Faktisch kaum Grenzen
Zunächst werden drei Bedingungen für einen gezielten Tötungsangriff gegen einen amerikanischen Staatsbürger genannt, der im Verdacht steht, eine Führungsfigur von Al Qaida oder einer verbündeten Terrorgruppe zu sein. Erstens muss ein „informierter ranghoher Beamter“ – in den allermeisten Fällen in der bisherigen Praxis wohl John Brennan – zu der Überzeugung gelangen, dass es sich bei ihm um einen Terroristenführer handelt und dass von diesem „eine unmittelbare Gefahr für einen gewaltsamen Angriff gegen die Vereinigten Staaten ausgeht“. Zweitens muss der Beamte zu der Überzeugung gelangt sein, dass eine Gefangennahme des Verdächtigen „nicht praktikabel“ ist. Drittens sollen bei dem Angriff die vier Grundsätze des Kriegsrechts beachtet werden: Der Militärschlag muss notwendig, präzise geführt, verhältnismäßig und menschlich sein.
Später werden die einschränkenden Bedingungen aber so aufgeweicht, dass sie faktisch kaum Grenzen setzen. Dass etwa eine Bedrohung von dem „ranghohen Regierungsbeamten“ als „unmittelbar“ eingestuft wird, erfordert gerade nicht, „dass den Vereinigten Staaten klare Beweise dafür vorliegen, dass ein Angriff gegen Amerikaner oder amerikanische Interessen in unmittelbarer Zukunft bevorsteht“. Es reicht der allgemeine Verdacht, dass die verdächtige Person irgendwann einen Anschlag gegen Amerikaner oder amerikanische Interessen plant oder an Planungen beteiligt ist.
Auch die Einschränkung, dass eine Festnahme des Verdächtigen (und später ein ordentliches Verfahren vor einem Militär- oder Zivilgericht) nicht möglich ist, bedeutet nur, dass zu einem genau bestimmten Zeitpunkt die Festnahme nur unter hohem Risiko für die Soldaten möglich scheint oder dass etwa der betreffende Staat einem Zugriff zur Festnahme seine Zustimmung verweigern würde. Für Hunderte von Drohnenangriffen freilich holt Washington keine Genehmigung ein, sondern handelt nach Gutdünken. Bekanntermaßen war auch die pakistanische Regierung nicht vorab von der Kommandoaktion gegen Usama Bin Ladin am 2. Mai 2011 unterrichtet. Bei dem Einsatz einer Spezialeinheit der amerikanischen Kriegsmarine in Abbottabad wäre die Festnahme Bin Ladins vermutlich ohne nennenswerte Gefahr für die Soldaten möglich gewesen. Doch der Befehl an die „Navy Seals“ lautete offenbar, den Al-Qaida-Chef zu töten, statt ihn festzunehmen.
Ein geheimer Flughafen für eine fast geheime Luftwaffe
Auch die dritte Einschränkung wird in dem Gutachten weit gedehnt: Das Gebot der „Menschlichkeit“ eines Angriffes ist bereits dann erfüllt, wenn „unnötiges Leiden vermieden“ wird, wobei es abermals dem „hohen Regierungsbeamten“ vorbehalten bleibt, selbiges von notwendigem Leiden zu unterscheiden. Zivilisten gilt es gemäß Gutachten nur dann zu schonen, wenn „deren Leiden übermäßig wäre im Vergleich zum erwarteten militärischen Vorteil“. Dass sich das Weiße Haus auch hier einen weiten Ermessensspielraum zubilligt, zeigt der Umstand, dass nach Erhebungen des „Bureau of Investigative Journalism“ in London sowie pakistanischer Menschenrechtsgruppen bei den gut 310 Drohnenangriffen gegen Al Qaida und die Taliban in Pakistan seit dem Amtsantritt von Obama bis zu 890 Zivilisten getötet worden sein sollen, unter ihnen mindestens 176 Kinder. Die Gesamtzahl der Toten wird auf 2600 bis 3400 beziffert.
Nach allem, was man weiß, wurden bisher bei Drohnenangriffen drei amerikanische Staatsangehörige getötet: Der im Bundesstaat New Mexico geborene amerikanisch-jemenitische Hassprediger Anwar al Aulaqi und der von pakistanischen Eltern abstammende Samir Khan wurden am 30. September 2011 im Südjemen umgebracht; am 16. Oktober 2011 kam bei einem weiteren Drohnenangriff unter vielen anderen Aulaqis damals 16 Jahre alter Sohn Abdulrahman ums Leben. Inzwischen weiß man, dass die Drohnen von einer geheimen Basis der CIA in Saudi-Arabien aufgestiegen waren – sozusagen Brennans geheimem Flughafen für seine fast geheime Luftwaffe.
Jahre des gemeinsamen Schweigens
Schätzungsweise aus 6000 Drohnen besteht heute die Flotte unbemannter Fluggeräte von CIA und Pentagon. Die gezielte Tötung der drei Amerikaner unter Präsident Obama hat bisher in den Vereinigten Staaten und im Ausland sehr viel weniger Empörung verursacht als die Anwendung der weithin als Folter gegeißelten Verhörmethode des simulierten Ertränkens (Waterboarding) an den drei ausländischen Terroristenführern Khalid Scheich Mohammed, Abu Zubaidah und Abdulrahim al Nashiri unter Präsident George W. Bush. Diese drei ausländischen Terrorverdächtigen werden – nach ihrer Unterbringung von 2003 bis 2006 in Geheimgefängnissen der CIA – nun in Guantánamo festgehalten und von amerikanischen Pflichtverteidigern in deren Gerichtsverfahren vor Militärtribunalen vertreten.
Nach Jahren des gemeinsamen Schweigens werden in den amerikanischen Medien jetzt vermehrt Fragen gestellt. Ob es humaner sei, „auf jemanden eine Bombe zu werfen, als ihn zu foltern“, wollte ein der Korrespondent des Senders ABC im Weißen Haus Jonathan Karl wissen. Ari Shapiro vom öffentlich-rechtlichen Rundfunksender NPR fragte, warum die Regierung glaube, es sei legal, Amerikaner im Ausland zu töten, nicht aber im Inland, wo doch das Kriterium der unmittelbaren Gefahr eines Anschlages bei Terrorverdächtigen in den Vereinigten Staaten eher zutreffe als bei mutmaßlichen Tätern in unzugänglichen Gebieten ferner Länder. Sarah Holewinski vom „Center for Civilians in Conflict“ der Columbia-Universität in New York fasste den Wandel der Strategie im Krieg gegen den Terrorismus von George W. Bush zu Barack Obama wie folgt zusammen: „Wir haben einen Wandel von vielen ,Stiefeln auf dem Boden’ zu einer vollkommen geheimen Operation erlebt, bei der nicht einmal das amerikanische Volk weiß, was zu welchen Kosten oder zu welchem strategischen Vorteil in seinem Namen unternommen wird.“
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