Amerikas neuer Außenminister kommt nach Deutschland. Seine Amtsvorgängerin bereiste vor allem Asien. Ob der Besuch die Hinwendung der Obama-Regierung auf Europa einläutet, muss sich zeigen. Für einen Rückzug aus der Welt ist es jedenfalls die falsche Zeit.
Es gehört zu den Angewohnheiten der internationalen Politik, aus den ersten Besuchen neuer (Groß-)Akteure politische Absichten, Initiativen und/oder Präferenzen herauslesen zu wollen. Jetzt trifft also heute Abend der neue amerikanische Außenminister Kerry in Berlin ein, und prompt heißt es in der Hauptstadt: Nach Amerikas „Hinwendung zu Asien“ steht in er zweiten Amtszeit jetzt die „Hinwendung zu Europa“ auf dem Programm. Vor allem auf Deutschland werde Obama sein Augenmerk richten als wichtigsten Partner der Vereinigten Staaten. Was daran Wunschdenken ist oder der Wirklichkeit entspricht, wird man sehen. In der internationalen Wirtschaftspolitik liest man seit einiger Zeit schon nicht mehr vom gleichen Blatt ab, in der Afghanistan-Politik haben der noch amtierende amerikanische Verteidigungsminister und der deutsche soeben ein kleines Verwirrspiel ausgetragen hinsichtlich der Stärke der verbleibenden westlichen Soldaten nach dem Abzug der Hauptkontingente.
Aber immerhin, Kerry kommt nach Deutschland, während seine Vorgängerin Clinton vor allem in Asien Meilen gesammelt hatte. Und, immerhin, Präsident Obama hat neulich auch die Absicht bekundet, mit den Europäern eine Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft zu gründen. Das ist doch was, das wäre doch etwas, wenn es denn in Angriff genommen wird. Die Vereinigten Staaten und die Staaten der EU würden sich noch enger aneinander binden und faktisch einen atlantischen Binnenmarkt schaffen, der auf der Welt seinesgleichen suchte. Das wäre wohl ein unmissverständliches Zeichen an die Aufsteiger der Weltwirtschaft, dass der größte Markt noch immer und auch weiterhin unter westlichem Management steht.
Seinem Besuch in Europa hat Kerry einen Satz vorausgeschickt, der noch vor ein paar Jahren als Selbstverständlichkeit durchgegangen wäre, der heute aber umso mehr auffällt. In seiner ersten großen Rede sagte Kerry, die Vereinigten Staaten werden „als unverzichtbare Nation weiterhin eine führende Rolle spielen, nicht weil wir uns in dieser Rolle sehen, sondern weil die Welt uns in dieser Rolle braucht“. Unverzichtbar! Bestand der Kern der Außenpolitik Obamas aber bislang nicht in einem selektiven Rückzug? Will er nicht aus der zweiten Reihe führen, wie in Libyen? Oder gar nicht? Das werfen ihm jedenfalls seine innenpolitischen Kritiker mit Blick auf Syrien vor.
Dieses Land „stirbt“, wie jetzt die Zeitschrift „Economist“ geschrieben hat. Die Lage ist katastrophal, unübersichtlich. Das Regime Assad setzt schwere Waffen selbst gegen Bevölkerungszentren ein, auf der Seite der Rebellen sind Dschihadisten militärisch am schlagfertigsten. Wie das Land und seine vielen ethnischen und religiösen Gruppen nach dem Ende Assads wieder zusammenfinden können – ohne große Rachemassaker -, steht in den Sternen. Deswegen tut amerikanische Führung not, deswegen wird die „unverzichtbare Nation“ so gebraucht. Natürlich gibt es für Syrien keinen Königsweg; man braucht nur an die russische Blockadepolitik im UN-Sicherheitsrat zu denken oder an das Süppchen, das Saudi-Arabien und Qatar kochen lassen. Aber wer sich für unverzichtbar erklärt, kann nicht einfach vor einer zweifellos heiklen Lage kapitulieren. Für einen Neoisolationismus ist nun wirklich nicht die Zeit.
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