Impetus to Rethink

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Anstoß zum Umdenken

Von Inge Günther

22.03.2013

Die Stimmung in Israel ist nach dem Obama-Besuch umgeschlagen. In Israel ist kein Systemsturz nötig, aber ein Umdenken. Den Anstoß dafür hat Obama geliefert.

Barack Obama ist etwas gelungen, was auch Anwar el Sadat einmal geschafft hat, als er, der ägyptische Staatschef, im November 1977 eine Reise nach Jerusalem unternahm: die Israelis zu begeistern. Damals waren sie hin und weg, weil zum ersten Mal der Führer der größten arabischen Nation, mit der man mehrere blutige Kriege ausgefochten hatte, ihnen die Ehre gab. Nun ist die Rolle des US-Präsidenten zwar eine ganz andere. Obama kommt als höchster Repräsentant des engsten Alliierten Israels; er war nie ein Feind.

Doch als Freund haben ihn viele Israelis bislang auch nicht angesehen. Er erschien ihnen zu kühl, zu distanziert, zu kritisch gegenüber ihrer Regierung unter Benjamin Netanjahu. Sie nahmen ihm übel, dass er sich in seiner ersten Amtsperiode Zeit für einen weltweit beachteten Nahost-Trip nahm, ohne bei ihnen in Israel vorbeizuschauen. Ein schwarzer Präsident, der von der amerikanische Bürgerrechtsbewegung geprägt sei und dessen zweiter Name Hussein lautet, habe eben weniger Verständnis für die Sorgen und Nöte des jüdischen Volks, lautete der Vorwurf.

Nach drei Tagen Obama ist davon nichts mehr zu hören. Die Stimmung in Israel ist umgeschlagen in einer Weise, die an den Sadat-Besuch erinnert. Auch diesem waren damals die Herzen zugeflogen. In seine Rede vor dem israelischen Parlament, der Knesset, konnte Sadat dann politische Substanz packen, sozusagen Klartext über nötige Friedenskompromisse sprechen und dennoch Begeisterungsstürme auslösen.

Sie hingen an seinen Lippen

Ähnliches ist Obama am Donnerstag vor israelischen Studenten geglückt. Sie hingen an seinen Lippen, selbst als er ihnen unangenehme Wahrheiten nahebrachte: Vor allem die, dass Israel seine Besatzung im Westjordanland beenden muss, wenn es ein jüdischer und demokratischer Staat bleiben wolle. Wie das genau zu geschehen habe, sagte Obama nicht. Aber ein Nahost-Frieden ist noch nie wegen Mangels an Friedensplänen gescheitert. Die gibt es zuhauf: Clinton-Parameter, Roadmap, Genfer Initiative, Arabische Initiative, um nur die bekanntesten zu nennen.

Woran es haperte, hatte meist mehr mit politischer Psychologie zu tun: Dem Unvermögen, sich in die Lage der anderen Seite zu versetzen. Die Existenzängste der Israelis zu verstehen, die hinter ihrem rauem Umgangston stecken. Die Ohnmacht der Palästinenser, aus der ihr Zorn resultiert, weil ihr Leben bis in Alltagsfacetten hinein von einer Fremdherrschaft bestimmt wird. Ohne Sicherheit für Israel und Souveränität für Palästina wird es nie eine ausgehandelte Zwei-Staaten-Lösung geben. Obama begreift das besser als manche Nahost-Experten, die in dem seit bald 20 Jahren erfolglosen Friedensprozess zu Zynikern geworden sind.

In Ramallah hat er sich mit seinem Schmusekurs in Jerusalem keine Freunde gemacht. Eine unmissverständliche Forderung nach einem Siedlungsstopp – die Obama vermieden hat – zählt dort mehr als warme Worte. Die palästinensische Seite hätte lieber gesehen, dass Obama der Netanjahu-Regierung Druck macht, statt Israel mit Anteilnahme und Komplimenten zu überschütten.

Der US-Präsident hat sich indes an die chinesische Weisheit gehalten, wonach harte Gegner mit weichem Wasser zu umspülen sind. Sein Kalkül ist nüchtern. Mit diesem neuen israelischen Kabinett, das noch nationalrechter ist als das alte, wird ein Friedensdurchbruch nicht zu machen sein. Netanjahus Priorität ist ohnehin Iran. Um eine Atommacht in Teheran zu verhindern, bedarf es einer guten Zusammenarbeit mit dem Chef im Weißen Haus. Das könnte die israelischen Hardliner geschmeidiger hinsichtlich der von Washington gewünschten Goodwill-Maßnahmen gegenüber den Palästinensern werden lassen.

Wie vor dem arabischen Frühling

Kleine Schritte wie die Freigabe eines von Israel kontrollierten Zugangs zur gerade entstehenden palästinensischen Stadt Rawabi und eine Amnestie von Altgefangenen würden zumindest den Zwei-Völker-Konflikt entgiften. Ohnehin muss erst wieder Vertrauen aufgebaut werden, wenn sich im Friedensprozess etwas bewegen soll. Die Chancen dafür lotet jetzt US-Außenminister John Kerry aus.

Obama lässt ihm ein Feld zurück, dessen Saat hoffentlich aufgehen wird. Die Samen dafür hat er bei seiner enthusiastisch gefeierten Rede vor israelischen Studenten gelegt. Denen hat er empfohlen, sich nicht allein auf Politiker zu verlassen, sondern selber etwas für eine bessere, friedliche Zukunft zu tun. Den gleichen Rat erteilte er vor vier Jahren ägyptischen Studenten in Kairo. Gut ein Jahr später brach der arabische Frühling aus. In Israel ist kein Systemsturz nötig, aber ein Umdenken. Frieden beginnt im Kopf. Den Anstoß hat Obama geliefert.

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