From Posturing to Credibility

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Über Machtgehabe zu Glaubwürdigkeit

von Rüdiger Frank

9. April 2013

Nordkoreas Machthaber fordert die USA heraus. Ist das Irrsinn? Nein, das Land folgt vielmehr seiner eigenen Logik. Kim Jong Un erwirbt sich gerade den Respekt seines Volkes und der Elite. Fehlen nur noch: ein Ende der Spannungen, ein Friedensvertrag mit den USA – und Geduld.

Nordkoreas Führung stößt seit Wochen fast täglich neue Kriegsdrohungen gegen den offensichtlich überlegenen Gegner USA aus. Schnell spricht man da von Irrationalität; doch kann das stimmen? Dies ist keine rhetorische Frage. Schließlich hängen eine Lösung der Probleme und das Verhindern eines Krieges auch davon ab, dass man versteht, was die jeweiligen Parteien umtreibt. Um es sehr klar zu sagen: Es gibt keinerlei Grund zu der Annahme, Kim Jong Un und seine Führungsriege seien verrückt oder uninformiert. Die Mittel, die er zur Erreichung seiner Ziele einsetzt, sind, höflich gesagt, unkonventionell, aber das ist noch lange kein Beweis von Dummheit.

Kim Jong Un will, wie jeder Herrscher, an der Macht bleiben. Dazu braucht er die Unterstützung der von ihm Beherrschten. Diese kann man erzwingen, und Nordkoreas System tut dies auch auf eine Art, für die Menschenrechtsverletzung ein harmloser Begriff ist. Doch es wäre falsch, sich der romantisch-idealisierten Hoffnung hinzugeben, alle Nordkoreaner würden nur auf ihre Befreiung durch den Westen warten. Sie wünschen sich eine Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse, Frieden, Sicherheit, Aufstiegschancen, eine Zukunft für sich und ihre Kinder, Respekt – aber nicht unbedingt als Import. Sie wollen das selber schaffen, auf ihre Art, mit ihrem Tempo.

All das hat Kim Jong Un versprochen, und zwar unmittelbar nach seiner Machtübernahme Ende Dezember 2011. Neben symbolischen Gesten wie der öffentlichen Zurechtweisung von säumigen Beamten, der Verteilung von Lebensmitteln oder der reihenweisen Eröffnung neuer Freizeitparks – Brot und Spiele – hat er das auch ganz explizit erklärt. Bei meinen beiden Besuchen im Jahr 2012 konnte ich feststellen, dass immer mehr Menschen an den neuen Mann glauben, den zunächst kaum jemand kannte.

Warum darf Nordkorea nicht, was anderen erlaubt ist?

Versprechen haben allerdings den Nachteil, dass man sie einhalten muss, um nicht seine Glaubwürdigkeit zu verlieren. Da kommt eine dramatische sicherheitspolitische Krise genau richtig. Kein national gesinnter Koreaner würde in dieser Situation am Führer zweifeln. Hier heißt es zusammenhalten. Der junge Herrscher gewinnt an Profil, das er später gut gebrauchen kann. Die internationale Verurteilung von Raketen- und Atomtest sieht man als doppelzüngigen Affront. Warum darf Nordkorea nicht, was anderen erlaubt ist?

Reaktion der USA auf Nordkorea –Wie du mir, so ich dir

Für den Machterhalt braucht Kim auch eine gewisse Zurückhaltung derer, die ihm von außen seine Macht nehmen könnten. Die Unterstützung des Auslands wäre ein willkommener Bonus, aber es genügt ihm auch vorerst, wenn man ihn einfach in Ruhe lässt. Als harmlos zu gelten, ist gefährlich. Das weiß er spätestens seit Libyen.

Kim Jong Un will dauerhaft die Unabhängigkeit seines Landes sichern: von den USA, von China, von Südkorea. All diese Länder sind auf ihre Art eine Bedrohung, und sie sind in mehrfacher Hinsicht überlegen. Atomwaffen sind ein furchtbares, aber wirksames Abschreckungsmittel. Auf absehbare Zeit wird Nordkorea diese Waffen nicht aufgeben, im Gegenteil. Die Armee wird sie so lange verbessern und vermehren, bis es keinen Zweifel mehr an ihrer Existenz und Wirksamkeit gibt.

Ein Unfall könnte einen Krieg auslösen, den niemand will

Was wird die Zukunft bringen? Die einzige wirklich unberechenbare Größe in diesem Spiel ist ein Unfall, der einen Krieg auslöst, den niemand will. Ansonsten hat Nordkorea am Sonntag vor einer Woche bereits seine Lösung der Atomproblematik verdeutlicht: eine Zusicherung, die Waffen nur im Falle eines Angriffs durch eine Atommacht zu verwenden, und der nachdrückliche Verzicht auf Proliferation. Mehr ist nicht drin. Und der Westen sollte versuchen, sich damit zu arrangieren.

Sobald sich Kim Jong Un außen- wie innenpolitisch sicher fühlt, wird er seine Wirtschaft reformieren. Anders wird er das chronisch ineffiziente sozialistische Wirtschaftssystem nicht so produktiv machen können, wie das für den erwünschten Aufschwung nötig ist. Falls er wirklich in Europa gelebt hat, sollte ihm das klar sein – ein Besuch in China genügt eigentlich auch. Es muss noch nicht einmal Shanghai sein; Dandong gleich auf der anderen Seite des Grenzflusses wäre völlig ausreichend.

Ein koreanischer Gorbatschow oder, Gott bewahre, Ceausescu möchte Kim Jong Un nicht sein, lieber ein koreanischer Deng Xiaoping. Vielleicht auch ein wenig Park Chung Hee, der als südkoreanischer Militärdiktator mit eiserner Hand und starkem Staat sein Land innerhalb von 20 Jahren vom Armenhaus zur boomenden Wirtschaftsnation gepeitscht hat. Die heutige Präsidentin Südkoreas ist seine Tochter; wer weiß.

Risiko Kaesong

Sonderwirtschaftszonen haben in China eine wichtige Rolle gespielt. Ein Modell für Nordkorea? Vielleicht. Doch gerade das Industriegebiet Kaesong erweist sich als ein zweischneidiges Schwert. Bei meinen drei Besuchen in der Zone konnte ich kaum glauben, dass Nordkoreas Führung ein solches Risiko eingeht: 50.000 nordkoreanische junge Frauen, im täglichen Kontakt mit südkoreanischen Managern und in einem hypermodernen, sauberen, hellen Arbeitsumfeld, das nicht in größerem Kontrast zu den üblichen tristen Industrieanlagen stehen könnte. Ideologisch ein Albtraum, nicht zuletzt, weil hier das Geld der bösen Kapitalisten vermehrt wird.

Wie erklärt man so etwas? Und was erzählen die Arbeiterinnen trotz Schulung und Überwachung wohl ihren Eltern, Geschwistern, Freunden? Und das für knapp 100 Millionen US-Dollar, die die Zone pro Jahr einbringt? Das ist viel Geld, aber auch nicht die Welt. Der Außenhandel mit China liegt bei sechs Milliarden Dollar jährlich. Die Blockade von Kaesong schmerzt daher wohl eher die südkoreanischen Firmen, die zu Hause schon längst wegen zu hoher Lohnkosten hätten dichtmachen müssen.

Echte Keimzellen des Wandels sind primär die zahllosen Joint Ventures mit China. Hier lernen Nordkoreaner den Kapitalismus von den rücksichtslosen Chinesen auf die harte Tour, aber wenigstens schon vor einer eventuellen Wiedervereinigung. Südkorea wird sich bald von der Idee verabschieden müssen, am Tag X ebenso überlegene Kenntnisse der Spielregeln zu besitzen, wie dies dem Westen in Falle Deutschlands vergönnt war.

In zahllosen Trainingsmaßnahmen hat Nordkorea auch von Europäern wie mir die Theorie der Marktwirtschaft gelernt. Das Praktikum mit den Chinesen läuft. Der neue Premier Pak Pong Ju ist ein Reformer. Kim Jong Un ist jung, ambitioniert und offenkundig risikofreudig. Den Respekt seines Volkes und der Elite erwirbt er sich gerade. Fehlen nur noch: ein Ende der Spannungen, ein Friedensvertrag mit den USA, und Geduld. Der Rest kommt von alleine.

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