Pressure Cooked Hatred

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21. April 2013

Hass aus dem Schnellkochtopf

Von Harry Nutt

Die zu Bomben umfunktionierten Schnellkochtöpfe von Boston sind auch zu einem Symbol geworden für allzu leicht erhitzbare, außer Kontrolle geratene Jungmänner und deren ungezügelten Hass.

Auf die spektakuläre Verfolgung der mutmaßlichen Attentäter von Boston folgt die Schnitzeljagd nach Indizien. Seit dem Wochenende sind wir Zeuge einer von den Ermittlungsbehörden und der Öffentlichkeit vorgenommenen Inspektion zweier Biografien, deren Weg in einen verheerenden Gewaltakt mündete, bei dem drei Menschen starben und rund 150 verletzt wurden. So fest die verdächtigen Tamerlan und Dschochar Zarnajew ihre Baseballmützen am Rand des Boston-Marathons ins Gesicht gezogen hatten, so verschlossen scheinen auch ihre Motive, die nun in den sozialen Netzwerken des Internets sowie in den Legenden von Schuljahrbüchern und Sportvereinen gesucht werden.

Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, ob die Brüder tschetschenischer Herkunft die ihnen zugeschriebene Tat im Auftrag einer islamistischen Ideologie begangen haben oder ob sie aus einem diffusen Gefühl von sozialer Desintegration heraus geplant und durchgeführt worden ist. Es wird immer deutlicher, dass sich beides auf seltsame Weise miteinander verschränkt.

Vorliebe für “Borat”

Es ist faszinierend und verstörend zugleich, wie nach einer solch monströsen Gewalttat eine hochtourige Informations- und Deutungsroutine in Gang gesetzt wird. Hinweise auf die Täter wie eine Mitteilung über den Mangel an amerikanischen Freunden tauchten auf, noch ehe die Jagd nach Dschochar Zarnajew abgeschlossen war. Manches fügt sich zusammen, vieles bleibt widersprüchlich. Zum Beispiel die Vorliebe für den Film „Borat“, einer Komödie von Sacha Baron Cohen, dessen pennälerhaftem Humor so gut wie nichts heilig ist, und die 2006 wegen vermeintlicher Schmähungen der Republik Kasachstan einen politischen Eklat, aber auch einen kleinen Tourismusboom in der ehemaligen Sowjetrepublik auslöste. Im Zusammenhang mit dem Anschlag von Boston wird die Sympathie für den Film zu einem Puzzlestück, das mit Hunderten weiteren Teilen ein schlüssiges Bild aus Tat, Täteridentität und -motiv ergeben soll.

Aber es wird unvollständig bleiben. Und zur öffentlichen Beruhigung dürfte weder der Nachweis organisierter terroristischer Strukturen beitragen noch die Erkenntnis, dass die Brüder eine Form von Selbstradikalisierung vollzogen, in der sie im Verlauf der Planung des Attentats in einen Jagdmodus der Gewalt wechselten, in dem Empathie mit den Opfern ausgeschlossen scheinen. Die organisatorisch ungebundene Radikalisierung stellt sogar die größere Herausforderung für offene Gesellschaften dar, weil der plötzliche Kurzschluss zwischen Gewaltbereitschaft und den Gefühlen von Unterlegenheit und Entwurzelung so gut wie nicht vorherzusehen ist.

Jungmänner außer Kontrolle

Aber er kommt vor. Es verwundert die meisten Experten nicht, dass eine Jugend im Nordkaukasus, in der dem unmittelbaren Erleben von Gewalt seit den Tschetschenienkriegen kaum zu entgehen war, neue Gewalt hervorzurufen vermag. Und obwohl es keinen direkten Zusammenhang von Trauma und Terrorismus gibt, ist doch nicht von der Hand zu weisen, dass der internationale Terrorismus einen Großteil seiner zerstörerischen Kraft aus regionalen, oftmals religiös aufgeladenen Konflikten bezieht. Und so unterschiedlich die jeweiligen Konflikte auch sein mögen, finden sich neben dem kriminellen Trachten danach, den Terror in andere Länder zu exportieren, immer wieder auch Hinweise auf die massiven Identitätsprobleme junger Männer, die als entschlossene Krieger nicht nur einer politischen oder religiösen Idee folgen, sondern auch der Befriedigung von ungebändigten Omnipotenzfantasien. Die zu Bomben umfunktionierten Schnellkochtöpfe von Boston sind so auch zu einem Symbol geworden für allzu leicht erhitzbare, außer Kontrolle geratene Jungmänner und deren ungezügelten Hass.

So gesehen sind das besonnene Krisenmanagement und die imponierende Begabung des amerikanischen Präsidenten Barack Obama, die richtigen Worte zu finden, eine wohltuende staatsmännische Reaktion auf die turbulenten Ereignisse. Obamas Mahnung, keine voreiligen Schlüsse zu ziehen, ist auch Ausdruck eines ausgeprägten Bewusstseins davon, dass es nicht länger darum geht, die Wirkung terroristischer Taten dadurch zu bannen, indem man sie äußeren Feinden zuschreibt. Schon möglich, dass die Brüder Zarnajew nicht der befürchteten Definition eines sogenannten „homegrown terrorism“ entsprechen, der eben auch unter jenen entsteht, die in der amerikanischen Gesellschaft aufgewachsen sind. Ganz sicher aber kann man sagen, dass sie die vorhandenen Integrationsangebote ausgeschlagen haben.

Es ist ein klares politisches Signal, dass Obama die Drohung einer permanent schlummernden Gewalt als dringliche Aufgabe für den inneren Zusammenhalt erkannt hat. Es ist zu befürchten, dass die politisch gespaltene amerikanische Gesellschaft sich daran weiter entzweit.

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