America's Credibility Is at Stake

Edited by Gillian Palmer

<--

Amerikas Glaubwürdigkeit steht auf dem Spiel

Obamas rote Linien: Nach dem Einsatz von Chemiewaffen durch Assad muss der Westen stufenweise in Syrien eingreifen. Denn der Iran wird sehr genau beobachten, ob die USA nun passiv bleiben. Von Clemens Wergin

Die Welt kommt um die Erkenntnis nicht mehr herum, dass Baschar al-Assad chemische Waffen gegen sein Volk eingesetzt hat. Zunächst haben Großbritannien und Frankreich zu Protokoll gegeben, dass ihnen Belege für den Einsatz der furchtbaren Waffen vorlägen. Dann folgte der israelische Militärgeheimdienst.

Die Amerikaner haben sich noch ein wenig gewunden, bis Verteidigungsminister Chuck Hagel am Donnerstag zugeben musste, dass neue Erkenntnisse der US-Dienste den Einsatz dieser Waffen durch Assad nahelegten. Washington beeilte sich zu betonen, dass es noch nicht genug Beweise gäbe um sicher zu sein, dass die von Barack Obama formulierte “rote Linie” tatsächlich überschritten wurde.

Solche Aussagen verhüllen aber nur sehr notdürftig, in welch unangenehme Lage sich die US-Regierung gebracht sieht. Obama hat bisher versucht, sein Land herauszuhalten aus dem Konflikt in Syrien. Bloß keine neuen Abenteuer, lautete die Devise. Das ist nun immer schwerer durchzuhalten.

Von Hisbollah bis zum Iran und al-Qaida tummeln sich die unangenehmsten Akteure des Nahen Ostens in Syrien. Keine der führenden Mächte des Westens legt also gesteigerten Wert darauf, Soldaten in dieses Wespennest zu entsenden.

Die Glaubwürdigkeit der USA auf dem Spiel

Mit einigen dieser Kräfte haben die Amerikaner in den 80er-Jahren bei ihrem Eingreifen in den libanesischen Bürgerkrieg schon Bekanntschaft gemacht. Bei einem Selbstmordattentat der Hisbollah 1983 auf das militärische Hauptquartier von Amerikanern und Franzosen starben 241 US-Soldaten und 58 Franzosen.

Die von den Iranern aufgerüstete und trainierte Hisbollah ist inzwischen zu einer noch weit gefährlicheren Truppe herangewachsen. Obwohl Iran und Hisbollah auf der anderen Seite der syrischen Barrikade kämpfen als al-Qaida, so würden sich alle drei doch die Gelegenheit nicht entgehen lassen, gegen westliche Soldaten vorzugehen, sollten diese mit Bodentruppen in den syrischen Bürgerkrieg eingreifen. Das erklärt die amerikanische Zurückhaltung, dem Abschlachten in Syrien ein Ende zu setzen.

Dennoch wird Amerika nicht umhin kommen, auf Assads Einsatz des Nervengases Sarin zu reagieren. US-Präsident Barack Obama hat vor Monaten eine sehr klare rote Linie gezogen für den Einsatz chemischer Waffen oder auch nur deren Verlegung.

Damit steht die Glaubwürdigkeit Amerikas auf dem Spiel. Zumal der Präsident noch eine andere, weit wichtigere rote Linie gezogen hat: dass Iran auf keinen Fall Atommacht werden darf. Die Iraner werden wissen, wie ernst sie diese Drohung nehmen dürfen, wenn Amerika nun passiv bleibt.

Das bedeutet nicht, dass Amerika mit Bodentruppen oder einem ausgewachsenen Krieg reagieren sollte. Der Westen könnte etwa Assads Beispiel folgen. Der hat seinen Krieg gegen die Rebellen und das eigene Volk in den vergangenen Monaten Schritt für Schritt eskaliert. Genauso könnte es der Westen halten.

Ermutigung für weitere Massenvernichtungswaffen

Assad hat im Konflikt mit den Rebellen graduell immer großkalibrigere Waffen eingesetzt, auch in Wohngebieten. Danach hat er auch in urbanen Zentren verstärkt auf die Luftwaffe und ihre unpräzisen, viele Opfer fordernden Bomben gesetzt. Der nächste Schritt war der Abschuss von Scud-Raketen auf Wohngebiete.

Assad hat systematisch ausgetestet, wie weit er gehen kann. Und da er mit jedem weiteren Drehen an der Eskalationsschraube durchgekommen ist, hat er nun mit einer offenbar begrenzten Menge Sarin ausprobiert, ob er sich auch das erlauben kann. Eins dürfte also klar sein: Wenn das keine Folgen zeitigt, wird Assad sich ermutigt sehen, seine Massenvernichtungswaffen in größerem Stil einzusetzen und noch größere Massaker unter der Zivilbevölkerung anzurichten.

Deshalb sollte der Westen auf eine Strategie setzen, die es ihm ermöglicht, ebenfalls Schritt für Schritt zu eskalieren. Das bedeutet: erst einmal klein anfangen. Etwa mit der Einrichtung einer Flugverbotszone nur über einem Teil des syrischen Territoriums nahe der türkischen Grenze.

Eskalationsstrategie im Syrien-Konflikt

Es wäre auch bitter nötig, einen gesicherten humanitären Korridor einzurichten, über den syrische Flüchtlinge einerseits fliehen können, und über den andererseits die leidende Bevölkerung in den “befreiten” Gebieten direkt mit Hilfslieferungen versorgt werden kann, so wie es etwa Human Rights Watch und andere Hilfs- und Menschenrechtsorganisationen seit Längerem fordern.

Alles weitere würde dann von Assad abhängen. Eskaliert er den Krieg gegen sein Volk weiter, müsste man die Flugverbotszone Stück für Stück auf weitere Gebiete des Landes ausdehnen. Denkbar wäre auch, Assads Massenvernichtungswaffen mit Spezialkräften sicherzustellen. Es gibt also viele Optionen unterhalb der Schwelle eines ausgewachsenen Krieges.

Eins jedoch ist nach dem Einsatz von Chemiewaffen durch Assad weder moralisch noch strategisch vertretbar: dass wir den Massenmorden Assads an seinem Volk weiter tatenlos zusehen.

About this publication