Die Folgen der Volksbewaffnung
Von Arnd Festerling
15 07.2013
Ein Urteil über den Freispruch von George Zimmerman können wir uns nicht anmaßen. Aber wir sehen, dass Gesetze und Gewalttaten in den USA den Boden für Gewalttaten bereiten.
Ein bewaffneter Bürgerwehrler, George Zimmerman, erwachsen und weißer Hautfarbe, erschießt im Dunkel der Nacht Trayvon Martin, einen unbewaffneten, schwarzen Jugendlichen. Erst nach landesweiten Protesten erhebt die Staatsanwaltschaft Anklage gegen den Täter. Zimmerman wird freigesprochen vom Mordvorwurf, es sei Notwehr gewesen, befindet die Jury, in der kein Afroamerikaner sitzt.
Das kann nur ein Skandalurteil sein!
Wirklich? Die Tat hatte keine Augenzeugen, insofern hatte das Gericht – und die Jury – nach Lage der Dinge wohl kaum eine andere Wahl, als dem Todesschützen Zimmerman zu glauben. Seine Version des Tathergangs konnte jedenfalls nicht widerlegt werden. Und wir müssen uns eingestehen, dass wir in der Beurteilung dieses tragischen Falles Reflexen folgen, die nicht jeder Überprüfung standhalten. Angefangen bei der Jury: Warum trauen wir ihr nicht zu, ordentlich Recht zu sprechen, weil ihr kein Afroamerikaner angehört? Warum muss ein Urteil falsch sein, wenn ein Bewaffneter einen Unbewaffneten tötet und dafür nicht belangt wird, wenn der Täter erwachsen und weiß ist, und das Opfer jugendlich und schwarz?
Dafür gibt es Gründe. Der erste und wichtigste: Weil die Justizgeschichte der USA voll ist von rassistisch begründeten Fehlurteilen, von Freisprüchen weißer Täter und der Verurteilung unschuldiger Schwarzer. Weil noch immer die überwiegende Mehrzahl der Todesstrafen etwa gegen Schwarze ausgesprochen werden. Weil die Suche nach mildernden Umständen, das legt die Statistik nahe, bei schwarzen Mördern regelmäßig schwieriger zu sein scheint als bei weißen. Ein Urteil über den Tod Trayvon Martins erlauben uns diese allgemeinen Erwägungen deshalb dennoch nicht.
Die fatalen Folgen der Volksbewaffnung
Die Tat hat aber Komponenten, die allerdings beurteilt werden können. Sie wirft erneut ein Schlaglicht auf die fatalen Folgen einer Volksbewaffnung, wie sie in den USA unter dem Schutz einer mächtigen Waffenlobby konsequent fortgeführt wird. Sie zeigt, welche fatalen Folgen es haben kann, wenn der Staat nicht länger allein für den Schutz seiner Bürger sorgt, sondern diese ureigene Verpflichtung mit freiwilligen „Polizeikräften“ teilt. Die gibt es inzwischen auch hierzulande – aber in den USA sind sie überdies ganz legal bewaffnet. Und sie zeigt die Schwäche eines föderalistischen Systems, das in vielen Einzelstaaten Waffengesetze zulässt, die direkt aus dem Wilden Westen stammen. Das führt zu so absurden Rechtslagen, dass, je nach Bundesstaat, Biertrinken in der Öffentlichkeit verboten ist, das Tragen jedenfalls bestimmter Waffen aber nicht.
Freilich macht Waffenbesitz keine Mörder, aber der verhältnismäßig freie Zugang zu Waffen macht Gewalt unberechenbarer und ihre Folgen schlimmer. Und selbstverständlich spielt die Sozialstruktur, das heißt Armut und Perspektivlosigkeit, Ausgrenzung und Arbeitslosigkeit, eine gehörige Rolle. Waffenlobbyisten verweisen gerne auf die niedrige Mordrate der privat so hochgerüsteten Schweiz, um zu zeigen, dass Waffenbesitz und Verbrechen nicht Hand in Hand gehen. Aber selbst die dürften den Unterschied zwischen einem Ausflug an den Genfer See und einem Spaziergang in Chicagos Southside verstehen.
2012 wurden in Chicago 506 Menschen getötet – die Mehrzahl der Täter wie der Opfer waren Schwarze. In diesem Frühjahr feierte der Polizeichef einen deutlichen Rückgang der Tötungsdelikte, weil es im Januar „nur“ 40 Morde gegeben hatte – darunter ein 15-jähriges Mädchen, das wenige Tage zuvor im Programm zu Obamas Vereidigung aufgetreten war. Es wurde von einem 18-Jährigen in den Rücken geschossen, der irrtümlich dachte, Hadiya Pendleton gehöre einer verfeindeten Gang an. Im März starb die sechs Monate alte Jonylah Watkins, als ein Killer ihren Vater zweimal traf, die Kleine aber fünfmal. 3100 Waffen hat Chicagos Polizei in den ersten zehn Wochen des Jahres beschlagnahmt, das macht ihren Chef optimistisch, 2013 unter 500 Morden zu bleiben.
Soziale Spaltung und laxe Waffengesetze
Chicago ist ein Beispiel dafür, dass selbstverständlich laxe Waffengesetze erst in Kombination mit sozialen Bedingungen zu einem ernsten Problem werden. In Chicago bezeichnen sich 33 Prozent der Einwohner als Afroamerikaner, bei den Mordopfern stellen sie 78 Prozent. Und selbstverständlich zählt die Southside nicht zu den Vorzeigevierteln – sie erinnert in nicht einem einzigen Aspekt an die Schweiz.
Was hat das nun mit George Zimmerman und seinem Opfer Trayvon Martin zu tun? Es ist offensichtlich, dass soziale Spaltung und laxe Waffengesetze in ihrer Kombination zu schrecklichen Verbrechen führen. Es ist ebenso offensichtlich, dass bewaffnete Bürgerwehren die ganz und gar falsche Antwort auf diese sozialen und rechtlichen Probleme sind. Und es ist offensichtlich, dass die USA im Interesse ihrer Bürger den historischen Irrweg der Volksbewaffnung verlassen müssen.
Über die Schuld George Zimmermans aber wissen wir nicht mehr, als die Jury entschieden hat. Vielleicht ist es ein Skandalurteil. Vielleicht aber auch nicht.
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