Der Wikileaks-Informant Bradley Manning ist in vielen Anklagepunkten schuldig gesprochen worden. Doch einer wie er hätte prinzipiell nie Zugang zu brisanten Informationen bekommen dürfen.
Bradley Manning bekommt nicht lebenslänglich – aber theoretisch über 100 Jahre in Haft. Bradley Manning ist schuldig – aber nicht ganz. Und Bradley Manning ist unschuldig – aber nur im Sinne des gravierendsten Anklagepunktes.
Das am Dienstag von Militärrichterin Denise Lind verkündete Urteil gegen den in wesentlichen Punkten geständigen Wikileaks-Informanten wird keine Seite zufrieden stellen.
Manning, bereits seit drei Jahren in Militärhaft und aus Sicht seiner Unterstützer ein heldenhafter “Whistleblower”, wird mutmaßlich noch viele weitere Jahre im Gefängnis verbringen müssen – theoretisch können sich die insgesamt 20 Schuldsprüche gar auf ein Jahrhundert addieren. Schon die zehn Vorwürfe, derer Manning sich schuldig bekannte, hätten zu einer Verurteilung bis zu 20 Jahren gereicht.
Frühzeitig auf Todesstrafe verzichtet
Die Ankläger sehen hingegen ihren zentralen Vorwurf abgeschmettert, Manning sei nicht nur ein “Verräter” (was Lind bestätigte), sondern er habe zudem wissentlich den Feind unterstützt (was Lind verneinte). Ein solches Delikt könnte sogar mit der Exekution geahndet werden, auch wenn die Anklagebehörde in diesem speziellen Fall frühzeitig auf die Todesstrafe verzichtete.
Sie wollte dennoch ein Exempel statuieren in einer Zeit, in der mit dem Wikileaks-Gründer Julian Assange und dem ehemaligen NSA-Mitarbeiter Edward Snowden weitere Geheimnisträger ihr delikates Wissen mit der Öffentlichkeit geteilt haben.
Verstöße gegen das Anti-Spionagegesetz in fünf Fällen und fünf Delikte des Diebstahls von Regierungsmaterial hat Richterin Lind beim Angeklagten unter anderem ausgemacht. Das hängt, anders als es manche Kommentatoren darstellen, keineswegs das Damoklesschwert ähnlicher Verurteilungen über die Köpfe investigativer Journalisten.
Denn in der Regel brechen Medienleute nicht in Netzwerke oder Büros ein, wenn sie geheime Materialien veröffentlichen, sondern sie lassen sich die Dokumente zuspielen. Aber während für Journalisten die Gefahr nicht zunimmt, für ihre Artikel belangt zu werden, wächst sie für ihre Informanten, die ihnen geheime Unterlagen aushändigen. Das muss für jeden Journalist, der gelegentlich klassifizierte Materialen in Händen hält, alarmierend sein – und für den an derartigen Hintergründen interessierten Leser auch.
“Naiver” Jüngling
Anwalt David Coombs hatte Manning im Militärtribunal als “naiven”, aber wohlmeinenden Jüngling gezeichnet, der die Öffentlichkeit lediglich über Missstände aufklären wollte. Doch diese Verharmlosung wird den Taten nicht gerecht. Zwar ist das von Manning an Wikileaks lancierte Video vom tödlichen Hubschrauberangriff auf vermeintliche Aufständische in Bagdad, die später zum Teil als Journalisten identifiziert wurden, durchaus aufklärerisch.
Aber dieses “Collateral-Murder”-Dokument war, so sagte Anwalt Coombs vor Gericht, nicht einmal als geheim klassifiziert. Und nahezu alle anderen Dokumente sind längst im News-Taumel verrauscht, ohne dass sie besondere politische Schuftigkeiten der USA enthüllt hätten, wie es Manning als Motiv für seine Taten reklamierte.
Zwar waren die Hunderttausenden diplomatischen Depeschen, die Manning ebenfalls durchgestochen hat, oft interessant und mitunter zumindest amüsant zu lesen. Aber sie gehören ebenso wenig in die Öffentlichkeit wie die minutiösen Frontberichte aus Afghanistan und dem Irak.
Ein wiederholt auf die strengen Geheimhaltungsvorschriften aufmerksam gemachter Obergefreiter darf sich nicht die Kompetenz anmaßen, diese klassifizierten Dokumente zunächst zu stehlen und dann zu verbreiten.
Kein Held, sondern schuldig
Manning ist also kein Held, sondern schuldig. Aber damit sind wir bei der anderen Seite der Geschichte. Sie wirft die Frage auf, wie ein dermaßen unreifer, an seiner Persönlichkeit und sexuellen Identität zweifelnder, von Kameraden gemobbter und von Komplexen heimgesuchter junger Mann überhaupt je Zugang zu Top-Secret-Unterlagen bekommen konnte.
Manning war schon durch seine Labilität ein Sicherheitsrisiko. Es gab viele Warnsignale in seinem Verhalten, die den Vorgesetzten hätten zeigen müssen, dass Manning der falsche Mann für den sensiblen Posten war.
Anstatt ihn zu entlassen oder aber zumindest zu versetzen, beließen sie ihm gar seine Top-Secret-Clearing. Manning war ein Computer-Freak, und so etwas benötigte das Militär auf dem Kriegsschauplatz Irak. Doch jene Verantwortlichen, denen das Stopfen kurzfristiger personeller Engpässe wichtiger war als die Sicherheit, stellen selbst ein Sicherheitsrisiko dar.
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