Putin Manages Power Politics Better than Obama

<--

Putin beherrscht Machtpolitik besser als Obama

Es herrscht ein neuer Kalter Krieg zwischen den USA und Russland, so heißt es. Doch das ist falsch: Was wir beobachten, ist die Rückkehr der Machtpolitik. Der Kreml ist darin begabter als Washington.

Der Kalte Krieg ist vorüber. Er endete, als die Mauer fiel und das Regime, das uns sieben Jahrzehnte in Angst und Schrecken versetzte, an seinen eigenen Gebrechen zugrunde ging. Wann er begann, ist nicht eindeutig. Die einen nennen 1917. Damals vertrieben die Bolschewisten die Menschewiken aus den Ministerien, stahlen ihnen die Revolution, ergriffen die Macht und regierten Russland fortan mit eiserner Faust.

Die anderen lassen ihn zwischen 1946 und 1948 beginnen. Der Autor dieser Zeilen hält viel von dem ersten Epochenjahr. 1917 schickten sich die Kommunisten nicht nur an, das Bürgertum auszurotten, ihr Volk zu morden und ein Terrorregime von bis dahin nicht gekanntem Ausmaß zu errichten, sie erklärten auch, wann der Sieg der ihre sei: Erst wenn die rote Fahne über dem Weißen Haus wehe und das Reich des Bösen – die kapitalistische Welt – erobert sei, werde das Paradies auf Erden erreicht sein, Lamm und Löwe in Eintracht nebeneinander liegen und die Menschheit glücklich im “Sonnenstaat” leben.

Kurzum, der Kalte Krieg war vor allem der Kampf einer Ideologie gegen den Rest der Welt. Zwar verlor die kommunistische Idee im Laufe der Jahre ihre missionarische Kraft – am Ende blieb nur ein schaler Machtwille und der Wunsch Moskaus, das Sowjetimperium zu erhalten -, doch ohne die Weltanschauung war alles nichts.

Die ganz normale Anarchie

Als sie 1989 ihren Reiz verlor, da war es vorbei mit der kommunistischen Herrschaft und dem Kalten Krieg. Die Blöcke schmolzen wie Butter in der Sonne dahin, und die Atombombe – die unheimlichste Frucht vom Baum der Erkenntnis, die bisher der Menschheit in die Hände gefallen ist – verlor ihre Bedeutung. Einstmals furchterregende Worte wie “das Gleichgewicht des Schreckens” und die “Strategie der massiven Vergeltung” glichen plötzlich Tropfen im Meer der Erinnerung.

Was aus der Zeit blieb, war die westliche Welt mit Amerika als Führungsnation. Das Ende der Geschichte war damit genauso wenig erreicht wie die Garantie, die Vereinigten Staaten würden ewig Supermacht bleiben.

Neu auf die Bühne der Weltpolitik trat nach 1989 eine alte Bekannte. Sie hatte schon so lange nicht mehr auf dem Kontinent vorbei geschaut, dass zumindest die Europäer (besonders die Deutschen) sie kaum noch wieder erkannten. Dabei hatte es sie schon immer gegeben. Der Diplomat Jürgen von Alten hat sie vor zwanzig Jahren in einem Buch klar benannt: “Die ganz normale Anarchie”. Im Zeitalter der beiden Blöcke war sie weitgehend unterbunden worden, weil eben diese ganz normale Anarchie, die sonst in der Staatenwelt herrscht, schnell das Pulverfass des Kalten Krieges hätte erreichen und entzünden können.

Möchtegernmacht Russland

Die Anarchie ist also zurück und zeigt sich in vielerlei Gestalt. Eine davon ist die Machtpolitik. Sie wird derzeit überzeugend von Wladimir Putin beherrscht. Putin ist Präsident einer großen Mittelmacht mit ebenso großen Problemen, die vor allem von sprudelnden Öleinnahmen lebt, sorgsam die letzten Symbole ihres verronnenen Weltmachtdaseins, die Atomwaffen, pflegt und beständig die Auseinandersetzung mit dem einstigen Rivalen sucht. Auf diese Weise soll dem eigenen Volk weisgemacht werden, dass zwar das sowjetische Reich untergegangen, das russische ihm aber gefolgt sei.

Zwar schaffte es Putin bislang allenfalls, die Amerikaner in die Ferse zu zwicken, durch kluge Schachzüge aber versteht er es in jüngster Zeit, Barack Obamas Schwächen auszunutzen und immer dort aufzutauchen, wo der US-Präsident sich gerade abgewendet hat. Einige Beispiele dazu: Kurz nachdem Obama einen Großteil der sechsten Flotte aus dem Mittelmeer abzog, entsandte Putin russische Kriegsschiffe in die Region.

Und während sein Gegenüber in Washington schwankte, wie er mit Syriens Präsident Assad umzugehen habe, stellte sich Putin auf die Seite des Diktators. Mehr als das, er lieferte S-300-Raketen an Damaskus, die das strategische Gleichgewicht verändern und die Schaffung einer Flugverbotszone erschweren werden, sollte sie jemals kommen.

Putins Gaben

War Russland seit 1989 eine ferne Größe im Nahen Osten, so ist es heute dank amerikanischer Politik wieder eine verlässliche Stütze für die Schurken der Region. Darüber hinaus sucht es überall in der Welt Verbündete gegen die Vereinigten Staaten. Am liebsten will es die USA verzwergen, um selbst größer dazustehen. Die Machtpolitik gleicht einer Wage.

Dort, wo sie schwankt, weil einer an Kraft verliert, wird ein anderer danach streben, Gegengewichte aufzulegen. Der Fall Edward Snowden hätte auch anders gelöst werden können. Präsident Putin nutzte ihn kühlen Kopfes mit Blick auf seine konservativ-reaktionären Wähler, die sich nach einstiger Größe und der alten Rivalität sehnen.

Sie wird nicht aufhören. Wladimir Putin hält Barack Obama für einen Schwächling, der ohne Not die Raketenabwehr der Nato in Tschechien und Polen aufgab und auch ansonsten nicht viel Wert auf die europäischen Verbündeten legt. Washingtons Entscheidung, in Libyen nicht offen Flagge zu zeigen, sondern Briten und Franzosen vorzuschieben, stärkte diese Sichtweise noch. Freilich: Im Reich der Machtpolitik sind Moskaus Mittel begrenzt.

Rückkehr zur Realpolitik

Und Amerika? Bisher schwankte Obama zwischen idealistischer und realistischer Außenpolitik. Zudem scheint er zu denken, Washington könne sich in Zeiten der Weltwirtschaftskrise aus einigen Krisen heraushalten. Doch das Land ist zu mächtig, um sich den Kinderglauben leisten zu können, wer sich die Augen zuhält, der wird von den anderen übersehen.

Obamas Zaudern führt dazu, dass Amerika sich zwar von manchem Konflikt fernhält, aber mit ihm verwoben bleibt und am Ende kaum handlungsfähig ist. Die Kritik, die der Präsident dafür in Washington einsteckt, ist nicht von der Hand zu weisen. Obama sucht ihr nun mit kräftigen Worten und Gesten auszuweichen. Seine Absage an Putin ist vor allem der Innenpolitik geschuldet. Sie wird nicht viel Schaden anrichten, sondern setzt ein Zeichen. Damit aber sei es dann auch genug.

Ein Boykott der olympischen Spiele, den einige Heißsporne fordern, wäre nicht hilfreich. Klug wäre indes, wenn Obama endlich Realpolitik betriebe. Sie würde die Interesse der anderen Staaten kalkulieren und die eigenen entschlossen vertreten. Nur auf diese Weise lässt sich die ganz normale Anarchie bekämpfen.

About this publication