America: The Hesitant Enforcer

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Die zögerliche Ordnungsmacht USA

von Max Mutschler

13.09.2013

Der Fall Syrien zeigt, dass die US-Außenpolitik unberechenbarer wird. Das Land sieht sich noch immer als globale Ordnungsmacht, kann diese Rolle aber nicht alleine ausfüllen. Max Mutschler sieht Chancen und Risiken.

Die Entscheidung ist vertagt. Nach einer Phase des Zögerns werden die USA zunächst nicht militärisch auf den Einsatz von Chemiewaffen in Syrien reagieren. Viele Kommentatoren beklagen die Unentschlossenheit der USA. Einige sehen sie sogar als den Anfang vom Ende der USA als Weltmacht und damit der nach 1945 entstandenen Weltordnung. Diese Bewertung schießt über das Ziel hinaus.

Tatsächlich zeigt der Fall Syrien, dass die USA sich nach wie vor als Garantiemacht eines internationalen Normensystems sehen, das sie maßgeblich mit aufgebaut haben. Andernfalls hätte sich Obama nicht dazu veranlasst gesehen, im August 2012 die „rote Linie“ zu ziehen.

Die Rolle der globalen Ordnungsmacht entspricht zum einen der gesellschaftlich tief verwurzelten Identität der USA als „unverzichtbare Nation“. Die TV-Ansprache Obamas, in der er den USA eine Ausnahmestellung in der Welt attestierte, hat dies noch einmal unterstrichen. Die Rolle der Ordnungsmacht entspricht zum anderen auch den sicherheitspolitischen Interessen der USA. So haben die im Bereich der konventionellen Rüstung hoch überlegenen Vereinigten Staaten etwa ein großes Interesse daran, Normen zu stärken, die sich gegen den Einsatz und die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen richten, mit denen nicht zuletzt konventionell überlegene Gegner abgeschreckt werden sollen.

Aufgrund unterschiedlicher Zwänge aber agiert das Land trotz dieses Anspruchs an sich selbst im Augenblick halbherzig. Bis es zu einer klaren Haltung zurückfindet, sind Verbündete wie Gegner der USA mit einer unberechenbaren amerikanischen Außenpolitik konfrontiert. Gegner könnten versuchen, das auszunutzen.

Es gibt gute Gründe, warum die USA so zögerlich sind, militärisch in Syrien einzugreifen. In Afghanistan und im Irak haben sie schmerzlich lernen müssen, wie begrenzt die Möglichkeiten militärischer Interventionen sind und welche unbeabsichtigten Folgen sie haben können. Nach diesen ernüchternden Erfahrungen ist sowohl eine Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung als auch der politischen Entscheidungsträger kriegsmüde. Nicht nur, weil diese Einsätze einen hohen Blutzoll gefordert, sondern auch weil sie die amerikanischen Steuerzahler immense Summen gekostet haben.

Im Zuge der Haushaltskonsolidierung werden ferner auch die Streitkräfte nicht verschont: In den kommenden zehn Jahren wird das Pentagon 500 Milliarden US Dollar seines ursprünglich geplanten Budgets einsparen und seine Aktivitäten entsprechend einschränken müssen. Hinzu kommt, dass sich die USA aufgrund ihrer verstärkten Hinwendung zur asiatisch-pazifischen Region nicht auf ein intensives militärisches Engagement in Syrien oder anderswo im Nahen und Mittleren Osten einlassen möchten.

Schon im Fall der Libyen-Intervention 2011 wäre den USA eine geringere Beteiligung an der NATO-Operation lieber gewesen. Erst als sich abzeichnete, dass Briten und Franzosen mit der Aufgabe überfordert waren, entschieden sich die USA zu einer stärkeren Beteiligung.

Im Prinzip könnte man diese Entwicklung durchaus begrüßen. Auf den ersten Blick ergibt sich daraus mehr Spielraum für Verhandlungslösungen, wie sie nun im Falle Syriens mit der internationalen Kontrolle über die Chemiewaffen des Regimes diskutiert werden. Doch auch abgesehen vom Falle Syriens und den abzusehenden Schwierigkeiten, diesen Vorschlag in die Tat umzusetzen, ist ein solcher Optimismus mit großer Vorsicht zu genießen.

Die Machthaber in Iran, Nordkorea und anderswo haben das amerikanische Lavieren um einen Militärschlag gegen Assad genau beobachtet und analysiert. Sie könnten zu dem Schluss kommen, dass sich ihre Interessen angesichts einer stärkeren Zurückhaltung der USA leichter durchsetzen lassen. Allerdings laufen sie Gefahr, sich dabei zu verspekulieren.

Denn die Überzeugung innerhalb der USA, nach wie vor die globale Ordnungsmacht zu sein, darf nicht unterschätzt werden. Sie könnte dafür sorgen, dass sich Washington letzten Endes, nicht nur in Syrien, doch zu einem militärischen Eingreifgen hinreißen lässt, um seine Entschlossenheit als Ordnungsmacht zu demonstrieren. Dass ein solches Vorgehen in den meisten Fällen kontraproduktiv für die nachhaltige Lösung der Konflikte sein dürfte, steht auf einem anderen Blatt.

Eine Lösung könnte für die USA darin liegen, stärker auf die Kooperation mit international mächtigen und regional einflussreichen Staaten zu setzen, um die Grenzen für inakzeptable Normverletzungen klar zu ziehen und glaubwürdig zu vertreten. Ob eine hektische und unkoordinierte Diplomatie wie im Falle Syriens funktionieren kann, ist allerdings fraglich. Vielmehr müsste ein solches Teilen von Verantwortung in eine kohärente Strategie eingebettet sein. Nicht zuletzt erfordert dies auch die Bereitschaft zu unangenehmen Kompromissen. So etwa mit Russland bei der Frage der Raketenabwehr oder mit China im Hinblick auf eine neue Machtbalance im Pazifik.

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