Putin, New World Leader

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Mit seiner zögerlichen und unklaren Haltung zu Syrien ist US-Präsident Barack Obama dem Autokraten Wladimir Putin in die Falle gelaufen. Nicht nur, dass der russische Präsident das Vorhaben, das syrische Chemiewaffenarsenal unter internationale Kontrolle zu stellen und zu zerstören, als Ergebnis seines diplomatischen Genies darstellen kann – obwohl die USA diese Entwaffnung des syrischen Regimes schon vor langer Zeit gefordert hatten, ohne dass Assads Schutzherr im Kreml darauf jemals eingegangen wäre.

Mit dem Abkommen über ein gemeinsames Vorgehen mit Russland im UN-Sicherheitsrat hat sich Washington nun auch dem Wohlwollen Putins ausgeliefert. Zwar hat sich dieser mit seiner Bedingung, die USA müssten der Androhung militärischer Gewalt in einer UN-Resolution abschwören, nicht vollständig durchgesetzt. Doch der Vorbehalt, dass Syrien im Falle der Nichteinhaltung seiner Verpflichtungen mit Sanktionen bis hin zu einem Militärschlag belegt werden könne, bleibt nur hypothetisch. Sollte es tatsächlich einmal zu einer Abstimmung über solche Sanktionen im Sicherheitsrat kommen, könnte Moskau diese mit seinem Veto wie eh und je jederzeit verhindern.

Noch ist im übrigen nicht einmal die von den Außenministern Kerry und Lawrow vereinbarte UN-Resolution unter Dach und Fach. Erste Anzeichen sprechen bereits dafür, dass die Russen schon im Vorfeld ihrer Verabschiedung zu bremsen und die Resolution weiter in ihrem Sinne zu verwässern versuchen. Selbst nachdem nun auch der Bericht der UN-Inspektoren bestätigt hat, dass in Syrien das Nervengas Sarin eingesetzt wurde, leugnet die russische Regierung zudem weiterhin, dass das Assad-Regime dafür verantwortlich ist.

Dass sich Obama von Putin faktisch die militärische Option und damit das Heft des Handelns aus der Hand hat nehmen lassen, kommt einem von Moskau über die USA verhängten Interventionsverbot in internationale Konflikte gleich. Das ist ein welthistorischer Einschnitt, vermutlich der gravierendste seit dem Ende des Kalten Krieg. Die Weltordnung hat jetzt einen neuen obersten Dienstherren: Wladimir Putin.

Assad kann konventionell weitermorden

Dabei war es allein Obamas Ankündigung eines Militärschlags gewesen, der den Kremlherrn und seinen Schützling Assad dazu genötigt hatte, sich überhaupt zu bewegen. Doch diesen kurzfristigen Triumph hat Putin dem Oberbefehlshaber im Weißen Haus handstreichartig verdorben. So entschlossen sich Obama nach dem Giftgaseinsatz des syrischen Regimes gegen die eigene Bevölkerung für einen Moment gab, dieses Verbrechen gegen die Menschheit nicht mehr durchgehen zu lassen, so sehr ließ er im gleichen Atemzug durchblicken, dass er sich seiner Sache in Wahrheit nicht sicher war. Seine Einschränkung, einen ohnehin nur begrenzten Schlag gegen Assad zuerst von einem kriegsunwilligen Kongress absegnen zu lassen und damit auf unbestimmte Zeit zu verschieben, signalisierte: Obama, der als Beendiger von Kriegen in die Geschichte eingehen wollte, würde in Wahrheit nur zu gerne auf die militärische Karte verzichten. Zumal er sich offenbar nicht zutraute, seine mit großem Pathos der Grundsätzlichkeit begründete Entscheidung für eine klare Antwort auf das von dem syrischen Regime begangenen Verbrechen gegen die Menschheit im Widerspruch zu der augenblicklichen Mehrheitsstimmung in der eigenen Bevölkerung aufrechtzuerhalten.

Um aus dieser Patsche herauszukommen, hat sich der US-Präsident nun ausgerechnet in die Hände Wladimir Putins gegeben, dessen zentrales strategisches Ziel die Aushebelung amerikanischen Einflusses in der Welt ist – und auch jetzt erst recht bleibt. Es rächt sich nun, dass sich Obama ausschließlich auf die Frage der Chemiewaffen kaprizierte und als Ziel der angekündigten Intervention den Sturz des Assad-Regimes von vorneherein ausschloss – auch das eine fatale Inkonsequenz, wenn man bedenkt, dass sich die US-Regierung schon früh auf die Forderung festgelegt hatte, der Diktator müsse seine Macht abgeben. So kontte der russische Staatschef alles internationale Augenmerk auf die (vermeintliche) Lösung des Chemiewaffenproblems verlagern und es von der eigentlichen Ursache für die Verbrechen in Syrien ablenken: der ruchlose Herrschaft des Assad-Regimes, dem Menschenleben nichts wert sind, und die es in unbegrenzter Zahl zu vernichten bereit ist, um sich an der Macht zu halten.

Assad gewinnt nun aber jede Menge Luft, die Übergabe seiner Chemiewaffenbestände zu verzögern oder diese sogar zu großen Teilen (etwa im Libanon bei der Hisbollah) verschwinden zu lassen. Sein Protektor in Moskau hat erreicht, was er wollte: Syriens Diktator bleibt an der Macht, sein Giftgaseinsatz bleibt ungesühnt. Und seinen Mordfeldzug gegen die eigene Bevölkerung kann er einstweilen auf konventionelle Weise fortsetzen, nunmehr endgültig ohne die Befürchtung, dass der Westen dagegen einschreiten könnte. Über die langwierigen Verhandlungen in Sachen Chemiewaffen gerät der andauernde syrische Bürgerkrieg jetzt erst einmal wieder von der internationalen Agenda. Triumphieren kann über diese Entwicklung nicht zuletzt Assads engster Verbündeter Iran, der Drohungen aus Washington, Teherans Atomaufrüstung notfalls militärisch zu vereiteln, nun gewiss nicht mehr ernst nehmen wird. Schon höhnen Vertreter des iranischen Regimes, das Assad bei seinem blutigen Feldzug mit militärischem Rat und Tat zur Seite steht, im genüsslichsten Tonfall über die Niederlage und Ohnmacht der Amerikaner.

Der Sponsor des Massenmords posiert als Friedensrichter

Wladimir Putin hat es sich indessen nicht nehmen lassen, den schwachen US-Präsidenten nicht nur an die Kette zu legen, sondern ihn auch vorzuführen, indem er ihn mit einer Philippika in der „New York Times“ demütigte. Mit atemberaubenden Zynismus spielt sich der russische Autokrat darin als Lehrmeister in Sachen Friedensbewahrung und Völkerrecht auf. Ausgerechnet er wirft den USA Unterminierung der Autorität der UN vor – dabei war er es doch, der durch sein Veto den UN-Sicherheitsrat zweieinhalb Jahre lang lahmgelegt und jeden Versuch der Weltgemeinschaft, dem Morden in Syrien entgegenzutreten, sabotiert hat. Putin hat die Stirn, über mögliche zivile Opfer eines US-Angriffs zu dozieren, wo nur er es doch möglich gemacht hat, dass in Syrien über 100.000 Menschen getötet wurden und Millionen flüchten mussten. Der Bock posiert als Gärtner, der Sponsor des Massenmords als Friedensrichter.

Alle Europäer, die ihm aus einem antiamerikanischem Affekt heraus für dieses Husarenstück auch noch Beifall zollen, sollten wissen, was einer Welt blühen würde, in der ein Gewaltmensch wie Putin die Richtlinien der Globalpolitik bestimmte. Russland wird sich bestärkt fühlen, jede zukünftige Intervention der internationalen Gemeinschaft in Sachen Menschenrechten zu verhindern. Hat Putin bei seinem Vernichtungsfeldzug gegen die Tschetschenen doch schon vor Jahren selbst Maßstäbe der rücksichtslosen Brutalität bei der Erstickung von Aufstandsbewegungen gesetzt, und hat er doch auf das Völkerrecht gepfiffen, als es ihm darum ging, Georgien eine militärische Lektion zu erteilen. Unter seiner Federführung wird die Uhr der Geschichte jetzt zurückgedreht werden, und die größte weltpolitische Errungenschaft seit Ende des Kalten Krieges, die internationale Schutzverantwortung, wird getilgt.

Ein „Reset“ der Beziehungen zu Russland hatte Obama zu Beginn seiner Amtszeit als zentrales Ziel seiner Außenpolitik ausgegeben. Doch das Ergebnis seiner Politik des Abwartens und Nachgebens ist, dass die USA ihre Rolle als maßgebliche Ordnungsmacht im Nahen Osten wohl endgültig eingebüßt und sich als Führungsmacht des Westens unglaubwürdig gemacht haben. Stattdessen müssen sie nun nach der Pfeife einer Macht tanzen, die auf der skrupellosen Missachtung elementarer Rechtsnormen gründet.

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