Kulturkampf, bis der Dollar brennt
Von Ansgar Graw
11.10.13
Politische Blockade in den USA: Republikaner und Demokraten verbeißen sich in ihrem Rigorismus. Dabei läge die Lösung des Haushaltsstreits in der Mitte beider Politikansätze – und damit im Kompromiss.
Vor einem Missverständnis sei gewarnt: Im Streit über den Government Shutdown, der am 1. Oktober begann, und die noch viel gefährlichere Zahlungsunfähigkeit der USA, die nach dem 17. Oktober droht, streiten nicht Demokraten gegen Republikaner. Und auch nicht die Guten gegen die Bösen.
In diesem Kampf, der durch die jetzt zwischen Republikanern und Demokraten diskutierte sechswöchige Aussetzung der Schuldenobergrenze nicht gelöst, sondern nur vertagt werden soll, ist die Schlachtordnung komplizierter. Zum einen sind die Republikaner intern zerstritten zwischen dem im Kern moderaten Establishment um Repräsentantenhaus-Sprecher John Boehner und einer Gruppe von rund 40 Abgeordneten, die auf dem Ticket der Tea Party fahren. Letztere haben Angst, ihr Mandat im Wahlbezirk an noch linientreuere Konkurrenten aus der eigenen Partei zu verlieren, wenn sie Kompromissen mit dem ihnen verhassten Barack Obama zustimmen.
Für diese Kongressabgeordneten ist eine obligatorische Krankenversicherung für jedermann der Einstieg in die Hölle des Sozialismus und sie predigen, durch eine Anhebung des Schuldenlimits vergrößere sich das Ausmaß der Verschuldung der USA. Tatsächlich aber geht es darum, durch die Erhöhung des Schuldenlimits die Regierung in die Lage zu versetzen, jene Rechnungen gegenüber Rentnern, Regierungsangestellten und ausländischen Kreditgebern zu begleichen, denen der Kongress zu einem viel früheren Zeitpunkt in Form von Haushalten und Gesetzen zugestimmt hat. Diese Tea-Party-Politiker ordnen das Wohl des Landes ihrem egoistischen Eigeninteresse unter.
Republikanische Torheiten
Daneben gibt es grundsätzliche Fronten zwischen Demokraten und Republikanern, und hier sei gewarnt vor der allzu voreiligen Einschätzung, dass die eine Seite völlig Recht habe und die andere grundsätzlich falsch liege. Dieser Aufruf zur Differenzierung zielt übrigens am wenigsten auf Barack Obamas Gesundheitsreform ab. Die – derzeit nicht mehr wiederholte – Forderung der Republikaner, als Preis für die Verabschiedung des Haushalts und die Vermeidung des Shutdown “Obamacare” um ein Jahr zu verschieben, war abwegig.
Denn hier sind die Entscheidungen längst gefallen. Senat und Abgeordnetenhaus haben das Mammutgesetz 2010 beschlossen, der Präsident hat es unterzeichnet, der Supreme Court bestätigte 2012 die Verfassungsmäßigkeit des “Affordable Care Act”, und im gleichen Jahr wurde Obama, der diese Reform ins Zentrum seines Wahlkampfes stellte, wiedergewählt. In einer Demokratie muss die unterlegene Seite einen solchen Prozess akzeptieren. Dass später die Mehrheit im Abgeordnetenhaus von den Demokraten zu den Republikanern wechselte und die Fünf-gegen-vier-Entscheidung der Obersten Richter knapp war, ändert daran nichts.
Man stelle sich vor, zu einem späteren Zeitpunkt würden die Republikaner den Präsidenten stellen und die Demokraten eine Kammer des Parlaments dominieren und sie würden jeden Haushalt oder eine Schuldenlimit-Erhöhung beispielsweise davon abhängig machen, dass der Präsident das Waffengesetz verschärft.
Demokratische Verbohrtheit
Gleichwohl haben Obama und seine Demokraten Kritik dafür verdient, dass sie dem immer noch zu hohen Haushaltsdefizit und der darum weiter wachsenden Staatsverschuldung zu wenig Aufmerksamkeit widmen. Der Präsident weist darauf hin, dass das Defizit noch nie in so großen Schritten abgebaut worden sei wie derzeit, nämlich von 1,1 Billionen Dollar im Jahr 2012 auf mutmaßlich 759 Milliarden Dollar 2013.
Aber es gab schon beeindruckendere Reduzierungen der Neuverschuldung, so von 1945 zu 1946, als das Defizit von 47,6 Milliarden Dollar auf ein Drittel sank, nämlich auf 15,9 Milliarden Dollar – das waren besondere Umstände, aber die gibt es in der Politik immer.
Außerdem bleibt die Lücke zwischen Staatseinnahmen und Staatsausgaben trotzdem zu hoch. Um das Defizit mittelfristig zu bremsen und irgendwann gar die Gesamtverschuldung von derzeit 16,7 Billionen Dollar abzubauen, bedarf es einschneidender Maßnahmen besonders in den Sozialetats. Die Vereinigten Staaten investieren in Rente, Krankenfürsorge, Lebensmittelmarken und Wohngeld prozentual mehr als Deutschland.
Bush war auch nicht besser
Aber sie setzen ihre Milliarden ineffizient ein. Medicare, Medicaid und Social Security müssen darum nicht nur moderat reformiert, sondern umgebaut werden. Doch die Demokraten sperren sich gegen entsprechende Forderungen, und auch Obama zeigt wenig Energie, sich dieser undankbaren, aber notwendigen Aufgabe anzunehmen.
Nun sind die Republikaner zweifelhafte Anwälte einer staatlichen Diät. Schließlich war es ihr Präsident George W. Bush, der den Haushaltsüberschüssen Bill Clintons hemmungslose Ausgaben und Defizite folgen ließ. Sie wurden unter Obama nochmals gesteigert. Und wenn dieser Präsident am Anfang argumentierte, angesichts der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise, die er beim Amtsantritt vorfand, habe er umfangreiche Konjunkturpakete auflegen müssen, ist das im fünften Jahr seiner Administration nicht mehr stichhaltig.
Noch ein anderer Punkt macht die von der Grand Old Party gern eingenommene Pose der großen Sanierer der noch größeren USA zweifelhaft: Das Ausmaß der Staatsverschuldung lässt sich nicht mehr alleine durch Ausgabensenkungen lösen. Moderate Steuererhöhungen werden sich nicht vermeiden lassen, und sie müssen in einer Nation, in der die Kluft zwischen den Superreichen und einem geschwächten Mittelstand enorm gewachsen ist, am oberen Ende der Einkommensskala ansetzen.
Wie in einer Fernsehserie
Die Republikaner verweigern sich hier aber jeder vernünftigen Diskussion, und auch ihr Widerstand gegen Einschnitte in den Verteidigungshaushalt lässt Zweifel zu, ob sie wirklich Politik für die Nation oder lediglich ihre eigene Klientel im Sinne haben.
Selbst ein Kompromiss, der das Schuldenlimit vorübergehend anhebt, wäre nur ein Cliffhanger wie aus einer schlechten Fernsehserie. Die nächste Krise mit wechselseitigen Schuldzuweisungen und einer Verunsicherung der internationalen Märkte taucht damit bereits am Horizont auf. Republikaner und Demokraten fechten nicht wirklich um Haushalt oder Schulden.
Sie führen einen Kulturkampf. Konstruktive Politik ist in Washington erst wieder zu erwarten, wenn das alte Checks-and-Balances-System zwischen Demokraten und Republikanern wiederhergestellt ist. Das dürfte nicht vor 2016 geschehen.
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