The State as a Begging Dog

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Mit Befremden blickt Europa auf das Tauziehen Obamas mit der Tea Party um Krankenversicherung und minimalen sozialen Ausgleich. Der US-Haushaltsstreit kann aber schnell zum GAU mit weltweiten Folgen werden. Anstoß, der Kommentar.

Es fällt schwer: Aber stellen wir uns Republikaner und Demokraten in den USA einmal als Paar vor, das eng umschlungen auf dem Hausdach eines Wolkenkratzers steht und in die Ferne schaut. Dann sagt der eine plötzlich: „Wenn dir meine Vorstellung von Romantik und unserer Zukunft nicht gefällt, springe ich eben mit dir an der Hand in die Tiefe.“ So lässt sich die Strategie der Republikaner in den ständig wiederkehrenden Budget-Streitigkeiten beschreiben.

Dieses Mal treiben sie ihr Spiel besonders dreist: Sie wollen Barack Obama nur dann einen Übergangshaushalt gewähren, wenn er seine Gesundheitsreform verschiebt oder aufgibt. Also das zentrale politische Projekt des Präsidenten – vom Parlament beschlossen, vom Verfassungsgericht abgesegnet und von den Menschen bei der Präsidentschaftswahl im vergangenen Jahr bestätigt.

Angetrieben von Tea Party

Die Republikaner werden dabei von der radikalen Tea-Party-Bewegung angetrieben, deren Vorstellungen über das Verhältnis von Markt und Staat die deutsche FDP wie einen sozialistischen Arbeiterverein aussehen lässt. Die Tea Party sieht im Staat so etwas wie einen dahergelaufenen Straßenhund, der um Wurst bettelt. Mit solchen Augen betrachtet, werden eine allgemeine Krankenversicherung und ein Mindestmaß an sozialem Ausgleich schnell zur Bedrohung.

Wer so denkt, dem macht es vielleicht gar nicht so viel aus, wenn nun 800.000 Staatsbedienstete in den Zwangsurlaub geschickt werden. Allein: Experten haben errechnet, dass es die US-Wirtschaft mehr als 50 Milliarden Dollar kosten würde, sollte dieser Zustand drei bis vier Wochen andauern – in etwa so viel, wie die Folgen des Hurrikans „Katrina“ und des Supersturms „Sandy“ zusammen. Der Haushaltsstreit und seine Folgen können damit zum politischen GAU werden, zur vom Menschen gemachten Katastrophe.

Hohes Risiko für Obama

Auch Obama fährt also hohes Risiko, wenn er den „Government Shutdown“, wie der derzeitige Zustand in den USA genannt wird, in Kauf nimmt. Ihm bleibt aber kaum etwas anderes übrig. In einem politischen System, das auf Kooperation angelegt ist, geht es nicht an, dass immer dieselben den Konflikt auf die Spitze treiben. Deshalb ist es richtig, dass der Präsident jetzt darauf setzt, die Öffentlichkeit werde am Ende die Republikaner verantwortlich machen. Bill Clinton hat so vor 17 Jahren die Republikaner mit stählernen Nerven in die Ecke gedrängt. Damals stand der Staat 28 Tage lang still.

Wer auf den brachialen politischen Kampf in den USA schaut, kann über das kleine Schauspiel, das Union und SPD in Deutschland gerade aufführen, nur lächeln. Da mögen die einen auf ihr hervorragendes Wahlergebnis pochen und die anderen sich noch etwas zieren – am Ende werden sie sich auf eine arbeitsfähige große Koalition verständigen. Das verdankt Deutschland seiner oft gescholtenen Konsenskultur, aber auch einem Wahlsystem, in dem meist durch die Notwendigkeit von Koalitionsregierungen der Weg zur Macht nur über Kompromisse führt.

Gefahr droht auch Europa

Dennoch können die Deutschen die Haushaltskrise in den USA leider nicht einfach so sorglos verfolgen, als handele es sich um einen spannenden, für ihr Leben irrelevanten Hollywood-Streifen. Richtig gefährlich wird es für die europäischen Länder, wenn die verhärteten Fronten nicht bis zum 17. Oktober aufweichen. Bis dahin muss der Kongress auch die Schuldengrenze der USA erhöhen. Ansonsten droht die Zahlungsunfähigkeit mit ungewissen Folgen für den Rest der Weltwirtschaft.

Republikaner und Demokraten mögen in Washington ohne uns vom Dach springen. Am Ende könnten wir trotzdem mit ihnen gemeinsam auf dem Boden aufschlagen.

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