The Middle East Will Not Let Obama Go

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Wenn es ein übergreifendes Charakteristikum von Barack Obamas Aussenpolitik gibt, dann ist es das Bemühen, sich von George W. Bush zu unterscheiden. Bush hat Kriege in Afghanistan und im Irak begonnen, Obama hat sie beendet. Bush hat die Unterwerfung von Alliierten unter amerikanische Führung gefordert, Obama beschwört den Multilateralismus. Bush hat Amerika als Ordnungsmacht in der arabischen Welt gesehen, Obama will höchstens diplomatisch vermitteln, wenn möglich aus der zweiten Reihe heraus. Bush steht für «hard power», für militärische Erzwingungsgewalt, Obama steht für «soft power», die weiche Macht der Rede und der Überzeugung.

Obamas Neudefinition Amerikas als zurückhaltende, sanfte Grossmacht mit beschränkter Haftung erfährt derzeit ihren grossen Test in Nahost. Washington spielt dort gleichzeitig mit mehreren Bällen. Da ist das Bemühen, den syrischen Gewaltherrscher Asad dazu zu bringen, seine gefährlichste Waffe, das Giftgas, mehr oder weniger freiwillig abzugeben. Der entscheidende Partner dabei ist Wladimir Putin – ausgerechnet der Mann, der bisher den Aufbau einer internationalen Front gegen Asad verhindert hat und der innenpolitisch auf anti-westliche Rhetorik setzt. Da ist weiterhin der Versuch, Israel und Palästinenser wieder an einen Tisch zu bringen, gegen alle Widerstände. Und da ist, strategisch am bedeutendsten, das Bemühen, mit Teheran auf neue Weise ins Gespräch zu kommen.

Halb zogen sie ihn, halb sank er hin – in all diese Prozesse ist Obama eher hineingestolpert, als dass er sie angestossen hätte. Eigentlich wollte er seine Präsidentschaft der Innenpolitik widmen und aussenpolitisch den Blick nach China und Asien lenken, wo die wirtschaftspolitische Musik des 21. Jahrhunderts spielt. Doch der Nahe Osten lässt Washington nicht aus den Klauen. In Iran stehen die regionale Sicherheitsordnung und das Prinzip der Nichtverbreitung von Atomwaffen auf dem Spiel. In Syrien verknäulen sich regionale Machtkonkurrenten, und es geht um einen weiteren Kernbestand des internationalen Normengefüges – der Giftgaseinsatz überschreitet eine rote Linie, die Obama selbst gezogen hat. Bei der Wiederbelebung des Nahostfriedensprozesses schliesslich hat Obama wohl dem Drängen seines Aussenministers John Kerry nachgegeben.

Obama kann sich der Tatsache, dass Amerika eine Weltmacht ist, nicht entziehen. Wenn es irgendwo brennt, ducken sich alle weg, nur Amerika ist zu gross, um sich verstecken zu können. Die USA bleiben der einzige Akteur auf der weltpolitischen Bühne, der die Mittel und Fähigkeiten hat, regionale Prozesse zu gestalten. Chinesen, Russen oder auch Europäer können nur punktuell eingreifen und Dynamiken beeinflussen, und auch das nur in Allianzen. Das ganz grosse Rad der Aussenpolitik aber kann nur Washington drehen: locken, drohen, Koalitionen schmieden, Legitimation einwerben und notfalls auch das noch immer stärkste Erzwingungsinstrument einsetzen, das amerikanische Militär.

Doch die grosse Unbekannte in Amerikas derzeitiger Nahostpolitik ist, wie ernst Obama es meint. Sprich sanft und trage einen dicken Stock, lautet das Urmotto der amerikanischen Diplomatie. Beherzigt Obama nur noch den ersten Teil des Satzes, oder steht immer noch der dicke Stock, die Militärgewalt, im Hintergrund? Das ist die Kardinalfrage, die alle Akteure umtreibt – wohl auch den amerikanischen Präsidenten selbst. Die negative Reaktion auf Obamas Vorhaben, den Kongress zur Zustimmung zu einer Strafaktion gegen Asads Regime zu bewegen, erscheint wie ein Veto gegen jeglichen Einsatz von Militärgewalt im Nahen Osten. Was ist aber, wenn Asad doch wieder Giftgas einsetzt? Wenn Iran die rote Linie in Richtung nukleare Bewaffnung eindeutig überschreitet? Wird Amerika dann doch den dicken Stock herausholen? Oder kommt es gar nicht erst dazu, weil Amerikas diplomatische Jonglierkünste gleich mehrere miteinander verbundene Knoten in der Region durchhauen? Die Stunde der Wahrheit rückt näher, so oder so.

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