Hindsight?

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Späte Einsicht?

Von Friedemann Diederichs

Rette uns vor den Unvernünftigen! So begann kürzlich der Kaplan des US-Senats sein Morgengebet. Es scheint, dass sein Flehen – und das von Millionen US-Bürgern – endlich erhört wird. Gestern war ein Kompromiss im Senat in Sicht, gefordert ist nun das Repräsentantenhaus. Warum kommt man sich erst so spät so nahe? Und warum spielten die Volksvertreter und auch der Präsident der Supermacht so kurz vor dem Erreichen der Staatsschulden-Grenze so lange mit dem Feuer? Die Antwort ist auch für Barack Obama unbequem: Angetreten als Versöhner nach der polarisierenden Ära des George W. Bush, ist er daran gescheitert, die tiefen ideologischen Gräben in Washington zuzuschütten.

Man kann sogar argumentieren, dass die Kluft zwischen den politischen Lagern durch ihn noch vertieft wurde. Denn Kompromissbereitschaft zeigte er nur selten. Stattdessen lehnte er sogar lange Verhandlungen mit den Republikanern ab – zeigte sich aber beispielsweise zu Gesprächen mit dem Regime in Teheran, das die USA bis vor kurzem noch als „Großen Satan“ angesehen hat, bereit. Das verstehe, wer wolle. Auch so hat er letztendlich die Ausdehnung einer Krise begünstigt, bei der beide Seiten lange eigensüchtig ihre Interessen über das Wohl des Landes gestellt haben. Besonders perfide war dabei die Taktik der Republikaner, die Gesundheitsreform in Frage zu stellen und ein Ende der Haushaltskrise an eine Verschiebung oder massive Aufweichungen von „Obamacare“ zu knüpfen. Dabei wussten Amerikas Konservative genau, dass es der Präsident und seine treuen Demokraten nicht zulassen werden, dass sein „Jahrhundertwerk“ gekippt wird.

Warum also das Theater? Die USA, die sich gern als beste Demokratie der Welt rühmen, haben sich mit dem Tauziehen um den Staatsetat lächerlich gemacht und leichtfertig an den Stützen des globalen Finanzsystems gesägt. Auch wenn es jetzt so aussieht, dass bis morgen doch noch ein „Deal“ in trockene Tücher gelegt wird – ein Grund, sich an die Brust zu klopfen, wäre dies für den Kongress und das Weiße Haus nicht. Aber es wäre schon ein Grund aufzuatmen, auch für Europa.

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