Der Staatspleite sind die USA entgangen, der ideologische Riss bleibt. Im Kongress gibt es kaum konservative Demokraten – und liberale Republikaner fehlen erst recht.
Nur wenige Stunden nachdem Amerikas Zahlungsunfähigkeit in letzter Minute verhindert worden war, hat Präsident Barack Obama die 535 Mitglieder des Kongresses gemahnt: “Die Art und Weise, wie wir in Washington Geschäfte machen, muss sich ändern.”
Das ist Wunschdenken. Die Polarisierung der Gesellschaft und der politischen Klasse ist weit fortgeschritten. Überdies macht es eine Reihe geschriebener wie ungeschriebener Gesetze möglich, dass politische Extremisten im Parlament übergroße Macht erhalten und ihre Partei in Geiselhaft nehmen können.
Wenn kein Wunder geschieht. Wenn nicht Läuterung und Einsicht einkehren, dann wird das Regieren in Amerika immer schwieriger. Vor allem, wenn die Wähler (so wie jetzt) die politische Macht verteilt und nicht einer Partei zugleich das Repräsentantenhaus, den Senat und das Weiße Haus anvertraut haben.
Geteilte Macht ist eigentlich ein gutes Korrektiv. In den Vereinigten Staaten jedoch führt sie seit geraumer Zeit zu Blockaden und Stillstand. Denn eine einflussreiche Truppe strammer Ideologen stellt ihre Prinzipien über den Kompromiss – und zwar um jeden Preis.
Amerikas politische Spaltung hat viele Gründe. Beide Parteien sind im Laufe der Zeit extremer und uniformer geworden. Vor allem die Republikaner rückten stramm nach rechts. Heute finden sich im Kongress kaum noch konservative Demokraten – und erst recht kaum noch liberale Republikaner. Selbst, wenn man jeweils noch eine Handvoll ausmachen kann, gibt es zwischen ihnen kaum noch Übereinstimmungen. Auch sie sind weiter auseinander gerückt.
Gesellschaft wird bunter
Eine wichtige Ursache für diese tiefe Spaltung sind die dramatischen demografischen Veränderungen, die auch andere politische Einstellungen mit sich bringen: Im Laufe der vergangenen Jahrzehnte sind die Republikaner zu einer Partei der Weißen und der Südstaaten geworden. Die Demokraten zu einer Partei der Minderheiten und des Nordostens sowie des Westens. Pauschal gesagt, sehen die meisten Republikaner im Staat das Problem, während Demokraten eher auf den Staat als Motor des Wandels setzen.
In Zahlen: Neun von zehn Wählern, die im vergangenen November für den republikanischen Präsidentschaftskandidaten Mitt Romney stimmten, waren weiß. Hingegen kamen fast fünf von zehn Stimmen für Obama von Angehörigen einer Minderheit, also von Latinos, Schwarzen oder asiatischstämmigen Amerikanern.
Die Polarisierung und der Furor, mit denen der politische Streit ausgetragen wird, sind auch im Verteidigungskampf vieler Weißer begründet. Sie haben Angst vor den Veränderungen, denn die Gesellschaft wird unaufhaltsam bunter, vor allem lateinamerikanischer. Und sie wird säkularer, sozial liberaler – und städtischer. Die Demokraten haben ihre Bastionen vor allem in den wachsenden Großstädten, die Republikaner hingegen in den Vorstädten und auf dem Land.
Vorschub leistet der Polarisierung auch die immer wieder neue Ziehung von Wahlkreisgrenzen. Sowohl Republikaner als auch Demokraten betreiben mit Wonne dieses Spiel. Haben sie in einem Bundesstaat die Wahl gewonnen, stecken sie die Wahlkreise so, dass möglichst viele Republikaner oder Demokraten darin wohnen und so sichere Mehrheiten zustande kommen. Linke wohnen mit Linken zusammen, Rechte mit Rechten.
Eine zusätzliche Schwierigkeit ist entstanden: Weil sich Demokraten vor allem in den großen Städten niederlassen, fällt die demokratische Mehrheit in diesen Wahlkreisen besonders hoch aus. Republikaner hingegen leben nicht so geballt, sondern sind besser übers Land verteilt. Das ist für Demokraten frustrierend. Bei den Wahlen zum Repräsentantenhaus im vergangenen Jahr erhielten sie zwar 1,4 Millionen mehr Stimmen als die Republikaner, blieben aber gleichwohl in der Minderheit. Die haushohen Mehrheiten in ihren Wahlkreisen waren oft “verlorene Stimmen”.
Konkurrenz aus den eigenen Reihen
Problematisch ist vor allem, dass es immer weniger Wechselwähler-Wahlkreise gibt und immer mehr sichere Wahlkreise. Nur ein Fünftel der 435 Distrikte ist noch umkämpft. Die Folge: die Kandidaten müssen nicht mehr ihre Gegner aus dem anderen politischen Lager fürchten, sondern nur noch Konkurrenten aus der eigenen Partei. Die Vorwahl, bei der es um die Kandidatenaufstellung geht, ist also inzwischen riskanter als die eigentliche Wahl.
Das trifft vor allem die Republikaner. Ihren moderaten Bewerbern sind in den vergangenen Jahren oftmals Wettbewerber von rechts erwachsen, weil die Partei unter dem Einfluss der Tea Party radikaler geworden ist. Bei den Kongresswahlen 2010 und 2012 konnten die Ideologen viele Erfolge verbuchen.
Kaum in Washington angekommen, finden sie Regeln vor, die ihrer Kompromisslosigkeit Vorschub leisten. Jeder Senator zum Beispiel kann die sogenannte Filibuster-Regel ins Feld führen. Danach darf der Senat sich nur dann weiter mit einem Gesetz befassen, wenn eine Supermehrheit, also 60 von 100 Senatoren, dafür sind. Die Demokraten haben jedoch nur eine einfache Mehrheit von 55 Abgeordneten und sind darum jedes Mal auf die Unterstützung von Republikanern angewiesen, die meist verweigert wird.
Die Macht der Radikalen
Im Repräsentantenhaus, in dem die Republikaner die Mehrheit stellen, hilft den Extremisten die sogenannte Hastert-Regel. Danach lässt der Sprecher des Repräsentantenhauses meist nur dann über ein Gesetz beraten, wenn dafür die Mehrheit der republikanischen Stimmen gesichert ist. Passt den Ideologen das Vorhaben nicht, lässt es sich leicht aushebeln.
Wie Obama ist vielen klar, dass es so nicht weitergehen kann. Nur traut sich niemand, die Probleme an der Wurzel zu packen. Die Macht der Radikalen ist zu groß geworden.
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