The Powerless Teacher

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Der hilflose Erzieher

Von Damir Fras

17.10.2013

US-Präsident Barack Obama mag sich durchgesetzt haben. Sein wichtigstes Projekt, die Gesundheitsreform, hat das Hickhack um die Staatsfinanzen unbeschadet überlebt. Doch es ist nur eine jämmerliche Übergangslösung.

Mutter würde sagen, im US-Kongress gehe es zu wie im Kindergarten. Und sie hätte recht. Das peinliche Schauspiel, das Republikaner und Demokraten in den vergangenen drei Wochen abgeliefert haben, erinnert in der Tat mehr an ein Spiel mit Sandförmchen als an verantwortungsvolle Politik zum Wohle der Menschen in den USA.

Zwar hat sich der wilde Haufen gerade noch einmal zusammen gerissen und die weltgrößte Volkswirtschaft nicht bankrottgehen lassen. Zwar hat die Vernunft der moderaten Konservativen im US-Kongress über die Unvernunft der radikalen Populisten von der Tea Party gesiegt. Zwar lässt sich nun sagen, dass Präsident Barack Obama wie der einzige Erwachsene unter Hunderten trotziger Kinder wirkt. Er ist es auch. Doch er ist auch ein hilfloser Erzieher.

Obama mag sich durchgesetzt haben. Sein wichtigstes sozialpolitisches Projekt, die Gesundheitsreform, hat das wochenlange Hickhack um die Staatsfinanzen unbeschadet überlebt. Doch allein die Tatsache, dass die jetzt gefundene Einigung wieder nur aus einer jämmerlichen Übergangslösung besteht, zeigt auch: Obamas Hoffnung wird sich nicht erfüllen, dass nach 16 Tagen unnötigen Verwaltungsstillstands und nach der Beinahe-Katastrophe einer Staatspleite ein Lernprozess im US-Kongress beginnen könnte, der die Wiederholung solch dramatischer Vorgänge unwahrscheinlicher macht.

Fauler Kompromiss

Mutter würde sagen, das kommt alles wieder. Und sie hätte Recht. Der US-Finanzminister darf lediglich bis Anfang Februar kommenden Jahres neue Schulden machen. Die US-Regierung bekommt nur bis Mitte Januar Geld, um ihre Angestellten bezahlen zu können. Es ist ein fauler Kompromiss, der Probleme nicht löst, sondern eine Lösung nur auf einen späteren Zeitpunkt verschiebt, an dem dann wieder das Spiel mit den Förmchen beginnt. „They are kicking the can down the road“, sagen die Amerikaner: „Sie bolzen die Blechdose einfach nur ein Stück weiter“.

Wahrscheinlich wird das Spiel mit der Blechdose schon bald wieder beginnen. Bis Mitte Dezember sollen sich Demokraten und Republikaner auf die Grundzüge einer umfassenden Reform der Staatsfinanzen einigen. So lautet der Plan. Doch wer glaubt, das könnte erfolgreich sein, der glaubt auch daran, dass der Weihnachtsmann die Geschenke bringt.

Spätestens nach Weihnachten übrigens dürfte der Streit wieder eskalieren. Denn dann wird es darum gehen, wie der nächste Shutdown der Regierung vermieden werden kann. Und wiederum einen Monat später steht die nächste Debatte um die nächste Staatspleite an.

Nach der Krise ist in Washington immer vor der Krise. Das ist so seit 2009, seit die Amerikaner Barack Obama zu ihrem Präsidenten gewählt haben. Obamas ehrgeiziges Vorhaben, die Spaltung der amerikanischen Gesellschaft zu überwinden, hat in gewisser Weise die Spaltung sogar vertieft und das grundsätzliche Problem eines dysfunktionalen parlamentarischen Systems an die Oberfläche gebracht.

Tea Party sorgt für Schockstarre

Denn kurz nach Obamas Amtsantritt ist die Tea Party entstanden. Die radikale Bürgerbewegung ist zum größten innenpolitischen Problem seit vielen Jahrzehnten geworden. Die Tea Party und ihre Abgeordneten haben ein ganzes Land über Wochen hinweg in Schockstarre versetzen können. Sie sind Ideologen, die nicht an Kompromissen interessiert sind. Sie sind wie schwer erziehbare Kinder. Die Appelle des Erziehers Obama an ihre Vernunft und den gesunden Menschenverstand sind einfach abgeprallt.

Mit ihren beispiellosen Erpressungsversuchen ist es der Tea Party gelungen, dass inzwischen die meisten Menschen in den USA die Republikaner als heillos zerstrittene Chaostruppe wahrnehmen, die zu vernunftgesteuerter Politik nicht mehr fähig scheint. Das kann für eine Demokratie, in der es ohnehin nur zwei Parteien von Bedeutung gibt, nur eine schlechte Nachricht sein.

Gibt es einen Ausweg? Ein Mehrparteien-System nach dem Vorbild europäischer Demokratien wäre eine Möglichkeit, die Dauerkonfrontation zwischen Demokraten und Republikanern in den USA auch dauerhaft zu beenden. Doch darauf zu hoffen, dass so etwas in den USA eingeführt wird, ist aussichtslos. So aussichtslos wie die Hoffnung, dass der jetzt beigelegte Streit um die Staatsfinanzen den Parteien in den USA eine Lehre gewesen sein könnte. Der Tea Party war es definitiv keine Lehre. Sie hat schon erklärt, ihren Kampf weiterzuführen. Koste es, was es wolle.

Mutter würde sagen: Kinder, reißt euch endlich zusammen! Und sie hätte völlig recht. Doch die Mahnung würde – wie immer – ungehört verhallen.

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