Der Abhörskandal hat gestern einen neuen Höhepunkt erreicht. Offenbar haben US-Spione das Handy der Bundeskanzlerin angezapft. Regierungssprecher Seibert spricht zwar in diplomatischer Vorsicht noch davon, dass es „Hinweise“ gebe, wonach Merkel „möglicherweise“ belauscht worden sei. Es ist aber sehr unwahrscheinlich, dass die Kanzlerin den US-Präsidenten angerufen hätte, wenn die Informationen nicht in höchstem Maße plausibel wären. Seiberts Erklärung zufolge dauere die Telefonüberwachung an – er formulierte nicht in der Vergangenheitsform, sondern im Präsens.
Die Kanzlerin hat Obama gegenüber von Vertrauensbruch gesprochen. Das ist sehr höflich formuliert. Wer das Handy eines Menschen abhört, dringt in seine engste Privatsphäre ein. Der Unterschied zum Einbruch mit Brecheisen und Glasschneider ist gering. Im Fall der Kanzlerin berührt die mutmaßliche Spionage zugleich die Sicherheit unseres Landes. Man weiß, dass Angela Merkel die Kunst des Regierens via SMS perfektioniert hat. Welche Informationen privater und politischer Natur mögen ins US-Spionagenetz gegangen sein?
Sollten sich die Hinweise bestätigen, müssten wohl auch die leidenschaftlichsten Freunde Amerikas Snowdens Enthüllungen glauben. Seine Informationen zeichnen das Bild einer von keinerlei Schranken gebändigten Spionage-Industrie. Sie ist eines Rechtsstaates unwürdig: So gehen Strauchdiebe miteinander um. So verhalten sich stalinistische Diktaturen, nicht aber Verbündete, Partner und Freunde in der Familie der Demokratien.
Die Zuspitzung der Affäre hat eine unfreiwillig komische Note: Die Kanzlerin forderte bei Obama die Antworten auf Fragen ein, die Berlin schon vor Monaten gestellt habe. Bemerkenswert. Denn Kanzleramtsminister Pofalla hatte die NSA-Affäre im Sommer für beendet erklärt – ohne stichhaltige Informationen zu besitzen. Er hat jetzt nur noch die Hohnlacher auf seiner Seite.
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