Das USA-Bashing hat derzeit wieder Hochkonjunktur. Dabei sind die Männer in den USA höflicher, die Burger saftiger, die Musik revolutionärer, und das Meinungsklima ist toleranter.
Zu den lustigsten Filmen, die in finsteren Zeiten je gedreht wurden, gehört das britische Drama “Die Maus, die brüllte”. Peter Sellers spielt dort drei verschiedene Hauptrollen auf einmal: Gloriana XII., die Herzogin von Grand Fenwick; ihren Premierminister, den Grafen Rupert Mountjoy; und Tully Bascomb, den Chef der Streitkräfte. Diese setzen sich aus einer Handvoll Männer mit Pfeil und Bogen zusammen, denn Grand Fenwick ist der kleinste Staat der Welt.
Sein wichtigster Exportartikel ist Wein – der berühmte Pinot Grand Fenwick –, und so geht es den Untertanen der Herzogin nicht schlecht. Bis eines Tages eine amerikanische Firma anfängt, ein billiges Imitat jenes Weines herzustellen. Was tun? Tully Bascomb hat eine glänzende, um nicht zu sagen: geniale Idee.
Grand Fenwick wird Amerika den Krieg erklären, die Vereinigten Staaten werden selbstverständlich gewinnen, und hinterher werden sie – weil das so ihre Art ist, siehe Deutschland – den Besiegten großzügig beim ökonomischen Wiederaufbau helfen.
Die Q-Bombe verändert alles
Mit dem klassischen Satz “Ich möchte nicht, dass jemand verletzt wird!” schickt Gloriana XII. ihre Soldaten auf den Weg nach Übersee. Als sie in New York ankommen, ist die Stadt wie ausgestorben: Es findet gerade eine Luftschutzübung statt (schließlich befinden wir uns mitten im Kalten Krieg; der Film kam 1959 in die Kinos).
Den paar Männern mit ihren Pfeilen und Bogen gelingt es also ohne Mühe, in das Labor eines gewissen Professor Kokintz einzudringen. Der hat gerade eine Superwaffe zusammengebastelt – die grauenerregende, absolut menschheitsvernichtende Q-Bombe. Und so geht der geniale Plan von Tully Bascomb leider daneben. Die Streitkräfte von Grand Fenwick nehmen die Q-Bombe in Beschlag (nebst Professor und seiner hübschen Tochter).
Dem Außenminister der Vereinigten Staaten bleibt nichts anderes übrig, als die Kapitulationsurkunde zu unterzeichnen. Das Herzogtum Grand Fenwick zwingt Amerika in die Knie. Nichts wird es mit der Aufbauhilfe. Wie sich im Film alles doch noch zum Besten wendet, schauen Sie bitte selber nach.
Mir aber geht es in Zeiten wie diesen, wo die Leute kein gutes Haar mehr an Amerika lassen, so: Am liebsten möchte ich jedem der Kritiker meines selbst gewählten Vaterlandes eine Q-Bombe in die Hand drücken. Damit wir Amis kapitulieren, uns von der Bühne der Geschichte verabschieden, den Planeten sich selbst überlassen müssen.
Was wäre die Welt ohne Rock’n’Roll und Marilyn?
Von der Außenpolitik will ich dabei gar nicht beziehungsweise nur en passant reden. Also von einem syrischen Regime, dem keine Macht der Welt mehr den Giftzahn zöge; einem Iran, der wahrscheinlich längst Nuklearmacht wäre; von einem Putin-Russland, das in Europa schalten und walten könnte, wie es ihm in den Kram passt; von dem schwelenden Konflikt um die Spratly-Inseln im Südchinesischen Meer, der wohl längst zum heißen Krieg zwischen der Volksrepublik China und Vietnam entflammt wäre, wenn Amerika nicht immer wieder schlichtend eingegriffen hätte. Geschenkt, alles geschenkt.
Aber wie sähe die Welt im Bereich der Kultur aus, wenn es dank Drohung mit einer Q-Bombe gelungen wäre, die Vereinigten Staaten in so etwas wie eine zu groß geratene Schweiz mit Cowboys und Indianern zu verwandeln? Ein Land, das außerhalb seiner Grenzen ohne Einfluss geblieben wäre? Zum Beispiel hätten Sie dann nie vom größten Komponisten des 20. Jahrhunderts gehört.
Alban Berg und Karlheinz Stockhausen würden Sie als gebildeter Mitteleuropäer natürlich kennen, aber Sie könnten nicht mitsummen, wenn ich Ihnen jetzt gut gelaunt die ersten Takte von Duke Ellingtons “Take the A Train” vorträllerte. Sie hätten, verdammt noch mal, kein bisschen Swing in den Knochen. Und was die Fünfzigerjahre betrifft, gäbe es für Sie nur deutsche Schlager, aber keinen Rock ‘n’ Roll. Traurig! Sie würden die Beatles und die Rolling Stones kennen, aber weder die Beach Boys noch Bob Dylan.
Holden Caulfield ist ein globaler Held geworden
Sie wüssten nicht, dass E. T. ein Außerirdischer mit großen Kulleraugen ist, der einem vaterlosen Jungen hilft, mit seinem Kummer weiterzuleben. Sie hätten nie die Lokomotive vernommen, die vor Freude pfeift, weil Marilyn Monroe (in “Manche mögen’s heiß”) mit einem Wackeln ihrer göttlichen Hüften vorbeigeht.
Sie hätten nie das vorgeschobene Kinn von Marlon Brando gesehen, der als Pate sagt: “Ich habe ihm ein Angebot gemacht, das er nicht ausschlagen konnte.” Sie würden Holden Caulfield nicht kennen, der die gesamte Erwachsenenwelt mit gutem Grund “phony” findet, verlogen.
Sie hätten nie miterlebt, wie Huckleberry Finn sich für die Freundschaft mit dem entlaufenen Sklaven Jim entscheidet, obwohl er dafür – jedenfalls glaubt er das! – eines Tages in die Hölle kommen wird. Sie hätten nicht die geringste Ahnung, welche Geschichte so anfängt: “Nennt mich Ismael.” Wäre das nicht ein kleines bisschen schade?
Sogar die Vietnamesen sind jetzt unsere besten Freunde
Dabei gebe ich sofort zu, dass zentrale Aspekte der amerikanischen Kultur in der großen weiten Welt tatsächlich unbekannt sind. Die altmodische Höflichkeit etwa: Amerika ist ein Land, wo man Damen noch den Vortritt lässt und einander die Tür aufhält. Außerdem ist es mir in Europa eigentlich nie gelungen, einen Burger aufzutreiben, der a) anständig gewürzt, b) aus gutem Rindfleisch hergestellt und c) nicht durchgebraten gewesen wäre. Wenn Sie eine solche Köstlichkeit probieren wollen, müssen Sie sich schon zu uns herüberbemühen.
Schweigen wir ferner von solchen Amerikanismen wie der weitläufigen Auslegung der Meinungs- und der Religionsfreiheit, die es in keinem europäischen Land gibt. Der Stoßseufzer sei mir gestattet: Wäre die Welt doch ein wenig mehr amerikanisiert!
Bitte, sogar die Vietnamesen sind heute dieser Ansicht. Die haben – wie das Herzogtum Grand Fenwick – einst den Krieg gewonnen. Hinterher haben sie aber gemerkt, dass sie eine funktionierende Wirtschaft brauchen und dass ihre kommunistische Ideologie dazu nichts taugt. Seither sind sie unsere besten Freunde.
Zugegeben: Es war nicht die feine englische Art, das Handy Eurer Kanzlerin anzuzapfen. Gewiss doch: Die NSA befindet sich – wie wohl die meisten Geheimdienste der Welt – in der Hand von pubertierenden Jungen jeden Alters, die nicht wissen, wann die Zeit zum Aufhören gekommen ist. Ach, wollen Sie nicht trotzdem Ihre Q-Bombe weglegen?
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