‘We Don’t Need Your Sympathy’

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“Wir brauchen euer Mitleid nicht”

In der Belegschaft des Versandhändlers Amazon formiert sich Widerstand gegen die Ver.di-Streiks

Von Michael Gassmann und Marcel Leubecher

Der Konflikt zwischen dem US-Versandhaus Amazon und der deutschen Gewerkschaft Ver.di hält seit Monaten an – und sprengt zunehmend den Rahmen normaler Arbeitskämpfe. Hier stoßen nach Beobachtung von Experten zwei Welten aufeinander: die amerikanische Auffassung von freiem Unternehmertum und deutsche Vorstellungen von gerechtem Tariflohn. “Die amerikanische Herangehensweise funktioniert nach dem Grundsatz: Das ist mein Unternehmen und hier entscheide ich”, sagt die Berliner Arbeitsrechtlerin Alexandra Henkel. “Deutsche Unternehmen trauen sich so etwas in aller Regel gar nicht.”

In den USA sei das Verhältnis zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern viel stärker als in Deutschland von der Idee der individuellen Durchsetzungsfähigkeit und der Konkurrenz geprägt, erklärt der Bielefelder Amerikanist Wilfried Raussert. Ver.di-Chef Frank Brirske bringt den Ansatz seiner Organisation in einem Video der Gewerkschaft zum Amazon-Streit so auf den Punkt: “Gewerkschaft ist dazu da, die Konkurrenz unter den Beschäftigten auszuschalten oder zumindest zu begrenzen und so dazu beizutragen, die Arbeitskraft zu besseren Bedingungen verkaufen zu können, als das dem einzelnen gelingt.”

Der kulturelle Graben spaltet inzwischen auch die Belegschaft. Mehr als 1000 Mitarbeiter der Amazon-Verteilzentren Leipzig und Bad Hersfeld richten sich in einem Aufruf gegen den Konfliktkurs der Gewerkschaft. “Wir arbeiten gern bei Amazon, sind selber zufriedene Kunden, haben einen sicheren Arbeitsplatz und möchten nicht tatenlos zusehen, wie unser Ansehen und damit unsere Existenz in der Öffentlichkeit an den Pranger gestellt werden”, kritisieren sie die Gewerkschaftsaktionen.

Das in der Öffentlichkeit gezeichnete negative Bild “verfolgt uns bis ins Privatleben”, heißt es in dem Aufruf. Man wolle sich nicht mehr für einen Arbeitgeber und Arbeitsbedingungen rechtfertigen müssen, deren Image nicht der Realität entspreche. Freunde und Bekannte würden einen regelrecht für die Anstellung bei Amazon bemitleiden, sagen zwei Amazon-Mitarbeiter, die ihren Namen nicht in der Öffentlichkeit lesen wollen.

“Die Arbeit bei Amazon ist völlig okay”, sagt ein 33-jähriger Lagerarbeiter. Der gelernte Koch arbeitet seit zwei Jahren für den Internet-Versandhändler und schätzt die wesentlich kürzeren Arbeitszeiten bei Amazon. “Als Koch würde ich sofort eine Stelle bekommen, aber der etwas höhere Verdienst ist mir nicht soviel wert wie die wesentlich kürzeren Arbeitszeiten bei Amazon”, so der Arbeiter. “Ich brauche kein Mitleid”, sagt er.

Ver.di zeigte sich von den Appellen unbeeindruckt. Es gebe Hinweise, wonach Vorgesetzte bei der Unterschriftenaktion nachgeholfen hätten, sagte eine Sprecherin: “In Leipzig hat die Unterschriftensammlung unter Aufsicht des Managements stattgefunden.” Es hätten auch Mitarbeiter unterschrieben, die überhaupt nicht mehr bei dem US-Versandhaus beschäftigt seien. Gleichzeitig zeigte sie Verständnis dafür, dass einige Mitarbeiter offenbar hofften, ihre Aussichten auf einen Dauer-Job durch ihre Unterschrift zu verbessern. Amazon sprach dagegen von einer Initiative der Beschäftigten, die zeige, “wie die Mehrheit unserer Mitarbeiter denkt”. In den Amazon-Logistikzentren gebe es “faire und gute Arbeitsbedingungen”, sagte eine Konzernsprecherin.

Beide Seiten setzen derweil auf Eskalation. Als nächstes sei eine T-Shirt-Aktion für Amazon geplant, kündigte Sandra Münch, Initiatorin der Unterschriftenliste, in Leipzig gegenüber der Agentur dpa an. Es sollten Shirts mit der Aufschrift “Pro Amazon” bedruckt werden. Auch die Gewerkschaft plant eine weitere Zuspitzung. Die Streiks würden in den kommenden Wochen verstärkt und auf neue Standorte ausgeweitet, kündigte Ver.di an. Es seien bundesweit Koordinierungstreffen vorgesehen, um die Arbeitsniederlegungen wirksam zu planen.

Die bisherigen Ausstände im Weihnachtsgeschäft haben Amazon offenbar weniger geschadet, als von der Gewerkschaft beabsichtigt. Amazon sprach vielmehr kürzlich in einer Mitteilung von der “besten Weihnachtssaison aller Zeiten”, bezog sich dabei allerdings auf das weltweite Geschäft.

Ver.di will erreichen, dass Amazon seine Mitarbeiter nach dem Tarif für den Einzelhandel bezahlt. Der US-Konzern lehnt dagegen den Einstieg in eine Tarifbindung generell strikt ab. Das Unternehmen zahlt seine Angestellten stattdessen freiwillig in Anlehnung an den niedrigeren Logistik-Tarif. Doch selbst bei den eher gewerkschaftskritischen Mitarbeitern fällt die Ver.di-Argumentation teils auf fruchtbaren Boden. Es sei seltsam, dass sein Arbeitgeber sich an den Tariflöhnen der Logistikbranche orientieren wolle, obwohl er ein Versandhändler sei, sagte einer der Lagerarbeiter. Die Kritik an den angeblich schlechten Arbeitsbedingungen könne er aber nicht nachvollziehen. In dem Aufruf der Mitarbeiter gegen die Ver.di-Aktionen wird Amazon mit dem Hinweis verteidigt, es gebe viele Vereinbarungen zu Gunsten der Arbeitnehmer, vor allem Eltern, die andere Arbeitgeber nicht böten.

Die Gewerkschaft sieht in den Zugeständnissen eine Taktik des Unternehmens, um allgemein verbindliche Lösungen zu unterminieren. “Die Beschäftigten wollen auf einen Arbeitgeber treffen, der mit ihnen fair und verantwortungsbewusst umgeht und es nicht darauf anlegt, dass die Löhne bei Amazon um ein Drittel niedriger sind als bei vergleichbaren Versandhändlern wie Otto und anderen in der Bundesrepublik”, sagt Bsirske in dem Gewerkschafts-Video.

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