FREIHANDELSABKOMMEN USA EUROPA
Ungesunder Kuhhandel
Von STEPHAN BÖRNECKE
17. JANUAR 2014
Gibt es bald auch in Europa Hormonsteaks und Hormonschnitzel, Chlorhühnchen und Gentec-Flakes? Foto: imago stock&people
Kommt es, wie die USA wollen, dann drängt mit dem Freihandelsabkommen jede Menge Gen-Food in die EU. Erleichterte Auto-Exporte in die Staaten wären damit zu teuer bezahlt.
Die Kanzlerin beruhigt, die EU-Kommission beschwichtigt. Absenken der Standards im Verbraucher-, Tier- und Umweltschutz, nur weil da irgendjemand auf der anderen Seite des Atlantiks Hormonsteaks und Hormonschnitzel, Chlorhühnchen und Gentec-Flakes produziert und nach Europa verschiffen will? Nicht mit uns. „Wir wollen jetzt nicht einfach Standards minimieren“, beteuert die Kanzlerin in einem ihrer Video-Podcasts. Um jedoch noch etwas anzufügen, das ihre Behauptung aus den Angeln hebt: Letztlich müsse für beide Seiten ein akzeptabler Kompromiss herauskommen.
Es wird also beim Freihandelsabkommen einen klassischen Kuhhandel geben, der womöglich auf Kosten der Verbraucher geht. Verabredet in der Hoffnung, dass keiner genau nachfragt, weil die Begleitumstände von transatlantischer Handelspartnerschaft kompliziert sind und die Kernbotschaft verlockend klingt, Tausende neue Arbeitsplätze dank Wegfall von Handelshemmnissen und Zöllen zum Nulltarif schaffen zu können. Doch ein zweiter Blick auf dieses sperrige Sujet ist hilfreich, bei dem die einen, die USA, Agrargüter, und die anderen, die EU, Autos liefern wollen. Dann bekommt man Zweifel an der transatlantischen Liberalisierungsidee.
Mehr oder weniger durchgewinkt
Dann wird man entdecken, dass der vom US-Konzern Monsanto im vergangenen Sommer verkündete Rückzug aus Europa mit einem Male einen Sinn ergibt: Man haut ab, tut so, als habe man die Botschaft der kritischen europäischen Verbraucher akzeptiert – um durch die Hintertür erneut auf dem Markt zu erscheinen. Das geht so: Kommt es so wie von EU und USA angedacht, dann werden mit diesem Abkommen die jeweiligen Produktions-Standards der Partner als gleichwertig anerkannt.
Was den Deutschen auf den Teller kommt
Kochsendungen, hier mit TV-Koch Tim Mälzer (l.) und Alfred Biolek, garantieren den Fernsehsendern hohe Einschaltquoten zur besten Sendezeit. In den 50er Jahren noch ein exotisches Gericht: Pizzen gibt es heute überall in Deutschland und die Tiefkühlvariante findet sich in fast jedem Kühlschrank. Gesund und leicht: Die Asia-Welle mit Sushi, Wokgemüse und Saté-Spießchen befriedigt auch den Lifestyle-Anspruch der heutigen Fitnessbewegung.
Wird dies tatsächlich so verabredet, dann braucht ein neuer, mit Resistenzen gegen alle möglichen Unkrautvernichter und der Eigenschaft zur Insektizidproduktion ausgestatteter Gentec-Mais nur noch in den USA zugelassen werden. Er würde in der EU mehr oder weniger durchgewinkt. Ob als Cornflakes oder Saatgut. Es gibt noch mehr Türchen: Gentec-Peanuts könnten im EU-Supermarkt landen, ohne dass die Nüsschen noch als genmodifiziert gekennzeichnet werden müssten. Oder die Konzerne könnten etwaige Gentec-Verbote in der EU als wettbewerbswidrige „technische Handelsschranken“ ansehen. Das liefe dann darauf hinaus, dass sich die EU bei den Verhandlungen eine Schwächung ihres Vorsorgeprinzips abschwatzen lässt, wenn sie solche Barrieren einreißt.
Ein Graus für aufgeklärte, europäische Verbraucher
Das wenigstens befürchten die Kritiker, die solche Tendenzen am heutigen Samstag bei der vierten Demo zur Grünen Woche in Berlin deutlich machen werden. Es geht ihnen nicht mehr allein um die Auswüchse der heimischen Agrarindustrie, um Antibiotika im Stall, um zu viel Gifte und Gülle auf den Äckern, sondern es geht ihnen um die Warnung vor einer Amerikanisierung der europäischen Agrarkultur.
Die US-amerikanische Agrarlandschaft stößt kaum auf den Geschmack aufgeklärter europäischer Verbraucher. Dort herrscht eine Handvoll Clans. Beispiel Milch: 30, 40 „Familien“ dominieren den Markt und melken in Ställen mit bis zu 30 000 Kühen. 30 000: Das gilt hierzulande als die Größenordnung, bei der die Schwelle von der bäuerlichen Tierhaltung zur industriellen Agrarproduktion überschritten wird. Und zwar bei Masthähnchen. Nicht bei Kühen.
In den USA sind rund 90 Prozent der Mais- und Sojafelder mit gentechnisch veränderten Sorten eingesät. Dort holen zwei Prozent der Farmer die Hälfte der US-Ernte vom Acker. Diese Rindermäster und Maisfarmer drängen auf den europäischen Markt. Man muss schlicht zur Kenntnis nehmen, dass die Emissäre der US-Agrarwirtschaft dies in Veranstaltungen in Deutschland auch gerne jedem erzählen, der es nicht glauben will. Sie drohen: Ohne Kompromisse, ohne Zugeständnisse bei Hormonfleisch oder Gentechnik würden die USA dem Abkommen niemals zustimmen – es scheiterte, und damit wären alle Arbeitsplatz- und Wirtschaftsfantasien der Befürworter in der EU zerstoben.
Es geht nicht um Metall oder Plastik
EU-Beamte bekommen derweil glänzende Augen, wenn sie den Sinn des Abkommens schildern: Würden die jeweiligen Standards beim Auto gegenseitig anerkannt, dann müssten VW und Daimler bei ihren Exportautos nicht jedes Mal Blinker oder Außenspiegel umbauen. Doch bei Lebensmitteln geht es nicht um Metall oder Plastik, es geht um Leben, es geht um Gesundheit, und es geht um Genuss.
Die große Gefahr besteht darin, dass Politiker, geblendet von diesem Druck und von der Illusion, durch Freihandel Arbeitsplätze und Wachstum zu schaffen, Verbraucher, Nutztiere und Natur opfern. In einer Zeit, in der viele Menschen mehr und nicht etwa weniger Tierschutz verlangen und in der zugleich die von der Staatengemeinschaft gesetzten Ziele zum Schutz der Artenvielfalt viel zu wenig beachtet werden, drohen nun weitere Abstriche. Europa aber darf nicht zum Spielplatz der US-amerikanischen Agrar-Industrie werden.
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