Die New York Times kritisiert Obama, weil er die Leistung Snowdens nicht anerkennt.
Es hat mehr als ein halbes Jahr gedauert, bis sich der US-Präsident in einer großen Rede zu den Konsequenzen des NSA-Skandals geäußert hat. Die Erwartungen waren nicht besonders hoch. Dennoch ist nach den Ankündigungen des US-Präsidenten vom Freitag, die Geheimdienste bei der Datensammelei etwas stärker zu kontrollieren, die Enttäuschung in Amerika wie in Europa groß. „Viele seiner Reformen sind frustrierend unpräzise und vage, was ihre Umsetzung angeht“, schreibt die New York Times. Anstatt eine drastische Reduzierung der Datensammlung und eine Beschränkung des NSA-Zugriffs auf den Pool der Telekommunikationsfirmen vorzuschreiben, habe Obama der Justiz und den Diensten Zeit gegeben, sich Alternativen auszudenken. Dabei liege die beste Lösung längst klar auf dem Tisch. Einer der größten Fehler Obamas war, so meint die Zeitung, dass er sich seiner Rede weigerte, die Rolle der Enthüllungen von Edward Snowden anzuerkennen, der noch immer im Exil leben müsse. Wenn der Präsident das Vertrauen der eigenen Bevölkerung wieder gewinnen wolle, müsse er offensiv zugeben, „was Amerikaner nervös gemacht hat gegenüber ihren eigenen Geheimdiensten, und er muss strengeren Schutz gewähren“.
Genau hier sieht die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung einen Fortschritt: „Obamas Vorschläge sind mehr als ein Trostpflaster. Er hat gezeigt, dass er sich der Debatte, die Edward Snowden ausgelöst hat, nicht verschließen will (…) Das ist schon mal was.“
Die Bedeutung Snowdons betont auch die Süddeutsche Zeitung, die unter der Überschrift „Mensch und Maschine“ vor allem Obamas Gefangensein im Umgang mit der Affäre nachspürt. „Obama, einst Gegner des Überwachungsstaats, lebt in einer Zweckgemeinschaft mit einem Computerorganismus namens National Security Agency“, heißt es dort. „Die Wandlung in den ersten Amtsjahren ist ein Beispiel für den Einfluss von Apparaten auf Menschen. Amerikas Spionage-Organisationen haben einen Präsidenten umgedreht oder verführt, der ihnen einst tief misstraute. Als Kritiker staatlicher Allmacht hätte Obama seinem Volk schon in der ersten Amtszeit schildern müssen, was er 2009 im Weißen Haus entdeckt hat, er hätte eine Debatte anstoßen müssen. Obama behielt das Geheimnis für sich. Er wollte die NSA mit niemandem teilen, er wollte sie schon gar nicht zerteilen lassen. Von sich aus hätte er wohl nie verraten, was nun Edward Snowden verriet … Der Fall NSA ist nicht nur ein Beispiel dafür, wie Technologie die Politik und das Recht vor sich hertreibt, sondern auch für die Schwierigkeit, eine Technologie zu beseitigen, wenn sie sich einmal etabliert hat. Das sonderbare Verhältnis Obamas zur Beobachtungsmaschine NSA ähnelte lange dem von gewöhnlichen Bürgern zu ihrem Smartphone. Man wird abhängig von dem Gefühl, alles im Blick zu haben, mit allem verbunden zu sein. Anfangs steuert der Mensch noch die Maschine, irgendwann steuert die Maschine dann den Menschen. Edward Snowden hat diese Gefahr erkannt, nicht Barack Obama.“ Jutta Kramm
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