America’s Long Goodbye to the Whites

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Amerikas langsamer Abschied von den Weißen

Von Hannes Stein

28.01.2014

Weiß, angelsächsisch, protestantisch? Das war einmal. Spätestens 2043 sind die Weißen in den USA in der Minderheit. Europas Überfremdungsängste werden in Amerika nur müde belächelt.

Kein Zweifel: Die Vereinigten Staaten sind in ihrer Vergangenheit ein extrem rassistisches Land gewesen. Zur Zeit läuft in den amerikanischen Kinos “12 Years A Slave”, ein Film über die wahre Geschichte eines schwarzen Mannes aus den Nordstaaten, der im 19. Jahrhundert in den Süden verschleppt und dort als Sklave verkauft wurde.

Dieser Film ist erschütternd, aufwühlend, streckenweise beinahe nicht zu ertragen; bei den Bildern der Misshandlungen auf den Plantagen ist es schwer, nicht an den Archipel Gulag zu denken.

Aber der amerikanische Rassismus richtete sich nicht nur gegen Schwarze, sondern auch gegen amerikanische Ureinwohner, Mexikaner, Chinesen, Deutsche, Iren, Italiener, Ostjuden; beinahe jede Einwanderungswelle in die Vereinigten Staaten wurde von einer fremdenfeindlichen Stimmung begleitet.

Genauer gesagt: Die fremdenfeindliche Stimmung kam paradoxerweise immer just dann auf, wenn die jeweilige Einwanderungswelle vorüber war. Über “illegale Immigranten” etwa wird in Amerika zu einem Zeitpunkt gestritten, da im statistischen Durchschnitt mehr Mexikaner in ihr Heimatland zurückkehren, als über den Rio Grande hereinströmen.

Wie rassistisch sind die USA heute?

Wie wichtig sind solche Debatten? Wie rassistisch sind die USA heute? Und wie verhält es sich mit ihrem Rassismus im Vergleich zu jenem in Europa? Einer Antwort kommen wir vielleicht am ehesten auf die Spur, wenn wir die Calle Ocho in Miami entlangschlendern.

Blitzblank gescheuerte Geschäftsfassaden neben verstaubten Buden; Stände, die Tamales, Papitas fritas und Ropa vieja anbieten. Wer hier einen Laden betritt und nichts weiter als Englisch spricht, bekommt oft ein erstauntes “que?” zur Antwort.

Miami ist natürlich längst eine kubanische Stadt, die Sache begann um 1960 zu kippen, zehn Jahre später war die Übernahme vollzogen. Weiße, die nicht hispanischer Herkunft sind, stellen heute – Stand: 2010 – nur noch eine Minderheit (11,9 Prozent), sogar die Schwarzen zählen mehr Köpfe als sie (19,2 Prozent).

Beinahe alle anderen Einwohner von Miami sind Hispano-Amerikaner (60,7 Prozent); außer Kubanern gibt es unter ihnen auch noch Honduraner, Nicaraguaner, Haitianer, Einwanderer aus der Dominikanischen Republik.

Türkisch als lingua franca in Hamburg?

Kann man sich eine solche Geschichte in Europa vorstellen, ohne dass es zu einer wütenden Gegenreaktion käme? Malen wir uns eine Stadt wie Hamburg oder Rotterdam aus, in der Türkisch die lingua franca wäre und man ein entgeistertes “Neler oluyor?” ernten würde, wenn man seinen Döner auf Deutsch bestellt.

Die Beispiele sind nicht zufällig gewählt. Hamburg und Rotterdam gelten als internationale Städte; und zumal in Rotterdam gibt es Probleme im muslimischen Immigrantenmilieu (religiöser Fundamentalismus, Unterdrückung von Frauen), die hier nicht kleingeredet werden sollen.

Aber die Zahlen schauen eben doch ganz anders aus als in Miami: Mehr als die Hälfte der Einwohner von Rotterdam sind immer noch ethnische Holländer. In Hamburg ist das Zahlenverhältnis sogar noch drastischer: 71 Prozent Deutsche stehen hier sechs Prozent Asiaten und fünf Prozent Türken gegenüber (Stand: 2010).

Auch wenn die Einwanderer sich noch so sehr mit dem Kindermachen und -kriegen anstrengen, auch wenn die eingesessene Bevölkerung wegen Überalterung immer mehr zusammenschrumpft – es dauert noch ein paar Jahrhunderte, bis die Albträume der europäischen Rassisten wahr werden.

Rechtspopulisten ohne echte politische Heimat

Die britische Zeitschrift “Economist” brachte kürzlich eine Titelgeschichte über die europäischen Entsprechungen zur “Tea-Party-Bewegung”. Unter dieser großen Klammer fasste der “Economist” solche Parteien wie den “Front National” in Frankreich, “Jobbik” in Ungarn, die norwegische “Fortschrittspartei”, die niederländische “Freiheitspartei” und “Vlaams Belang” in Belgien zusammen.

Der “Economist” stellte fest, solche rechten Gruppierungen unterschieden sich vor allem dadurch von der “Tea-Party-Bewegung” in Amerika, dass sie bei keiner größeren politischen Bewegung Unterschlupf gefunden hätten. Im Grunde handele es sich um wild über die Landschaft verteilte politische Gruppen. Die “Tea-Party”-Leute dagegen seien immerhin eine Fraktion der mächtigen Republikanischen Partei.

Der “Economist” hat natürlich Recht, aber er übersieht den wichtigeren Unterschied: Wer in Europa als Weißer rassistisch argumentiert, hat dabei immer eine demografische Mehrheit im Rücken. (Zum Glück denken die meisten Mitglieder dieser Mehrheit aber nicht rassistisch, sondern wählen demokratische Parteien.)

Bald sind die Weißen in der Minderheit

In Amerika dagegen gehört ein rassistischer Weißer einer Bevölkerungsschicht an, die wegschmilzt wie Schnee in der Augustsonne. Er kann sich ziemlich genau ausrechnen, wann er einer ethnischen Minderheit angehören wird – um das Jahr 2043 herum. Dann werden Asiaten und Hispano-Amerikaner die Weißen (ganz gleich, ob irischer, jüdischer, italienischer Herkunft oder “White Anglo-Saxon Protestant”) demografisch überholt haben.

Mit anderen Worten: Miami ist in den Vereinigten Staaten überall. Und der weiße Rassismus ist hier – anders als in Europa – ein Angstphänomen, das einen realen Trend widerspiegelt. Es handelt sich um Hysterie, nicht um Paranoia.

Nichtrassisten müssen vor diesem demografischen Trend ins Bunte natürlich keine Angst haben. Es lohnt sich aber, darüber nachzudenken, was er politisch bedeutet. Wie sieht in einem Amerika, in dem Weiße eine Minorität bilden, etwa die Zukunft der Republikanischen Partei aus?

In Umfragen schneidet sie derzeit so schlecht ab wie noch nie in ihrer Geschichte: Die Republikaner – die Erben Abraham Lincolns – sind so unbeliebt wie noch nie eine politische Gruppierung in den USA.

Die Republikaner müssen sich neu erfinden

Das ist eine schlechte Nachricht, auch für Linksliberale, denn dieses Land braucht dringend eine vernünftige Mitte-Rechts-Partei. Wenn sie politisch überleben wollen, müssen die Republikaner sich also neu erfinden: als Partei, die gleichzeitig marktliberal ist und für die Rechte der Unterprivilegierten eintritt; als Konservative, die Einwanderer mit ausgebreiteten Armen willkommen heißen; als amerikanische Patrioten, denen der Rest der Welt nicht egal ist.

Wenn die Erben Abraham Lincolns auch in zehn Jahren noch als Klub reicher weißer alter Männer wahrgenommen werden, dürfte man bald nicht mehr viel von ihnen hören.

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