A Speech Amounts to No Turning Point

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Eine Rede ist noch keine Wende

Die Wähler sind genervt und gelangweilt von ihrem Präsidenten – zu viel misslang. Die Rede von Barack Obama war ein Versuch, das Land aus der Lethargie zu befreien. EIN KOMMENTAR VON MARTIN KLINGST, WASHINGTON

Aktualisiert 29. Januar 2014 07:05 Uhr 38 Kommentare

Video: USA – Obama will gegen soziale Ungleichheit kämpfen

In seiner Rede zur Lage der Nation hat der US-Präsident auf die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich in seinem Land verwiesen und Änderungen versprochen. Video kommentieren

Müde? Grau? Lustlos? Als der Präsident am Rednerpult stand, war all das, was Barack Obama zuletzt oft mit gutem Grund vorgeworfen wurde, auf einmal Makulatur. Der Staatsmann präsentierte sich in seiner Rede an die Nation kämpferisch, entschieden, bisweilen sogar humorvoll – und besonders wichtig: voller politischem Tatendrang.

Wie schon so oft, wenn Obama in großen Schwierigkeiten steckte, wenn die Zustimmung zu seiner Politik und die Sympathien für ihn als Präsidenten schwanden, gab er sich plötzlich einen Ruck und bekam neuen Schwung.

Ob er das verloren gegangene Vertrauen wiedergewinnen kann, muss sich erst zeigen. Eine Rede bringt noch keine Wende. Und dennoch: Gerade diese Rede zur Lage der Nation war besonders wichtig. Für ihn, für die Aussichten seiner Partei – und nicht zuletzt für seinen Platz dereinst in den Geschichtsbüchern.

Ob Obama nicht nur als erster schwarzer Präsident Amerikas in die Geschichte eingehen wird, sondern überdies als ein erfolgreicher, wird sich in diesem Jahr mitentscheiden. Daran, ob die Gesundheitsreform trotz aller gravierender Fehler am Ende doch noch gelingt. Ob ein Atomwaffendeal mit dem Iran zustande kommt. Ob eine Einwanderungsreform auf den Weg gebracht wird. Und ob Obama dank seiner Persönlichkeit und Anziehungskraft noch Wahlen gewinnen kann.

Das erste Jahr ist verloren

Am 4. November wird das gesamte Abgeordnetenhaus und ein Drittel des Senats neu gewählt. Frühere Abstimmungen zeigen, dass gerade diese Halbzeitwahlen besonders riskant für die Partei des Präsidenten sind. Das Wahlvolk ist oft genervt, enttäuscht oder auch gelangweilt vom Chef des Weißen Hauses.

Es kommt bei diesen Wahlen darum im besonderen Maße auf das Ansehen des Präsidenten an. Je beliebter er ist, desto geringer die Gefahr einer dramatischen Niederlage. Derzeit hat Obama keine Strahlkraft. Das vergangene Jahr, das erste Jahr nach seiner Wiederwahl, war so gut wie verloren.

Viel zu viel ging daneben, zum Beispiel die von einer Mehrheit gewünschten schärferen Waffengesetze, die Einführung der umstrittenen Gesundheitsreform, ein großer Haushaltsentwurf, die Syrienpolitik. Schließlich enthüllte der ehemalige Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden die globale Datenspionage der NSA.

Die Folge: nur 42 Prozent der Amerikaner stützen noch Obamas Politik. Schlimmer noch: Viele haben auch ihr Vertrauen in ihn verloren. Zudem, die Mehrheit findet, der Präsident sei zu zögerlich, er verändere die schwierige ökonomische Lage Amerikas zu langsam.

Die Wahlen und sein eigenes Schicksal vor Augen griff er in seiner Rede vor allem populäre Themen auf: Frauenrechte, gleichen Lohn für gleiche Arbeit, die Erhöhung des Mindestlohns, bessere und zeitgerechtere Berufsausbildung.

Der republikanischen Opposition kündigte er bei weiterer Verweigerung notfalls Reformen im Alleingang an, sprich: Politik mit dem Füllfederhalter. Denn die Konservativen gönnen ihm seit seinem ersten Amtstag vor fünf Jahren keinen einzigen politischen Erfolg und verweigern ihre Zustimmung im Parlament.

“Ich kann Schritte ohne die Gesetzgeber unternehmen,” rief er dem Kongress unter donnerndem Applaus seiner Partei zu, “und das werde ich auch tun.”

Unerschütterlichen Optimismus versprühen

Zugleich aber suchte er die Republikaner mit versöhnlichen Worten dort einzubinden, wo sie Kompromissbereitschaft zeigen, zum Beispiel bei der Einwanderungsreform.

Drei Dinge wollte Obama mit seiner Rede erreichen: Seine Demokraten einigen und wieder ein wenig begeistern; trotz aller politischen Widrigkeiten Tatendrang demonstrieren. Und dann wollte er in einem Augenblick, da 62 Prozent der Amerikaner ihr Land auf dem falschen Weg sehen, unerschütterlichen Optimismus versprühen.

Die ersten Umfragen nach der Rede deuten an, Obama könnte dieser Dreisprung gelingen. Doch erst im harten politischen Alltag wird sich zeigen, ob dieser Stimmungsumschwung wirklich nachhaltig ist.

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