Gegen die Hipster aus dem Silicon Valley
Der Totalitarismus der Transparenz: Der Schriftsteller Dave Eggers hat in seinem zornigen Roman “The Circle” das “1984” fürs Internetzeitalter geschrieben. VON ADRIAN DAUB
Dave Eggers ist stolzer Besitzer eines Piratenausstatters. Eggers, auch in Deutschland äußerst bekannter Autor sowie Herausgeber der Hipstermagazine McSweeney’s Quarterly Concern und The Believer, wollte 2002 eine jugendpädagogische Schreibschule an der Valencia Street in San Francisco eröffnen. Der Standort war aber nur für Ladengeschäfte freigegeben. Also musste ein Unsinnsladen her, der Piratenausstatter eben, die Schreibschule kam ins Hinterhaus.
Mittlerweile ist der Streich längst von den Nachbarn an Absurdität überboten. Die Straßen rundum sind von privaten Google-Bussen verstopft, die junge, schöne, meditativ lächelnde Menschen zu den Firmen-Campusgeländen im Silicon Valley bugsieren. Das Heer dieser jungen, gut bezahlten Dotcom-Erfolgsmenschen hat San Francisco und die Valencia Street in ein sinnfreies Luxusbiotop verwandelt. Neben Duftkerzen, die als Massageöle doubeln, und Chilimarmelade für 12 Dollar das Glas, sind Eggers Augenklappen dann eigentlich die bodenständigere Option.
The Circle ist Eggers’ erster Roman über diese Veränderungen, über die Kultur des Silicon Valley und seine Macht. Auf den zweiten Blick ist er auch ein Roman über Hipster, aber keine wohlfeile Schelte, die alles, was Hornbrille trägt und Weezer gutfindet, in einen Topf wirft. Denn es geht um zwei Typen Hipster, die vom Piratenladen, und die vom Google-Bus davor. Aber Eggers’ Roman hat eine Hipstern vollkommen fremde Attitüde: Er präsentiert eine Dystopie, eine zornbebende Satire, die genau weiß, was richtig und was falsch ist.
Der Roman erzählt die Geschichte des aufhaltsamen Aufstiegs der jungen Mae Holland. Diese heuert beim Gigantenunternehmen “The Circle” an, das irgendwann in der nahen Zukunft, Google, Apple und Facebook abgelöst und deren Dienste komplett zentralisiert hat. Wie das eindeutige Vorbild “Big Brother” aus Orwells 1984 hat auch The Circle drei Mottos: “Secrets are lies,” “sharing is caring” und “privacy is theft.” Mehr Transparenz ist immer gut, je mehr Leute zuschauen, ob am Tahrir-Platz oder bei KONY 2012, desto besser für die Welt.
Zu Beginn des Romans stellt The Circle das neueste Produkt vor: SeeChange, eine winzige Kamera, die überall hingesteckt oder versteckt werden kann, und deren Livebilder übers Internet zu sehen sind. Der User macht diese Bilder entweder nur für einen Kreis von “Freunden,” oder für die ganze Web-Community zugänglich – der Leser entdeckt mit Schaudern, dass ihm zu dem Gerät gleich ein paar richtig praktische Anwendungen im eigenen Leben einfallen. Mae erklärt sich bereit “to go transparent”, wie es im Neusprech dieses Romans heißt: Sie überträgt einfach ihr ganzes Leben, während der Rest der Welt Like klickt oder Kommentare abgibt.
Zwischen Vulkanbasis und Montessorischule
Bald lassen sich Politiker von ihrem Beispiel inspirieren und folgen ihr in die “Transparenz”. Alles, was sie tun, sehen und sagen, wird von einer winzigen Kamera übertragen, und die Bürger können live ihre Meinung dazu abgeben. Geheimnisse, Skandale, Korruption gehören plötzlich der Vergangenheit an.
Mae erscheint zunächst wie ein Rotkäppchen, das, ohne die Gefahr zu bemerken, ins Dickicht dieses “Campus” spaziert, einer Mischung aus Blofeldscher Vulkanbasis und Montessorischule. Doch Mae erweist sich bald als willfährige Mitläuferin, vielleicht sogar Mittäterin. Denn sie hat schließlich die Intuition, dass Politikern bei allem zuzuschauen und dazu Kommentare abzugeben oder Meinungsumfragen auszufüllen, eigentlich bedeutet, dass die Privatwirtschaft Demokratie besser kann als die in Washington: “Keine Lobbyisten mehr, keine Sonntagsumfragen mehr, vielleicht nicht mal mehr ein Parlament.”
Der Weg in die Korrumpierung darf nicht verraten werden – eine Schlüsselstelle aber wohl. Mae sieht sich während der Demonstration einer neuen App von der Netzöffentlichkeit bloßgestellt. Ihr Zorn gilt zunächst der Verletzung ihrer Privatsphäre, doch dann erkennt sie, dass sie in Wahrheit ganz anderes stört. Das Ich, das hier bloßgestellt wird, entspricht nicht genau genug dem Original. Jeder, der einmal gesehen hat, mit welchem Furor gerade junge Menschen ihr Privatleben in soziale Netzwerke zerren, ist diesem Zug begegnet: Wenn schon gläsern sein, dann zumindest unverfälscht dastehen.
Die Figuren des Romans sind Hipster, die mit Hingabe ihr eigenes Interessenprofil kuratieren, ob sie nun Kanu fahren oder aus Hirschgeweihen Kronleuchter basteln – und all das immerzu durchs Internet der geneigten Öffentlichkeit präsentieren. Anders als so häufig beim Hipster-Bashing, wirft Eggers den Figuren aber nicht vor, dass ihre Ironie ihnen echten Glauben unmöglich mache. Er wirft ihnen im Gegenteil vor, dass sich hinter ihrer ständigen Ironie oft der verzweifelte Wunsch versteckt, an etwas zu glauben – ein Wunsch, den die Technologiebranche geschickt auszunutzen weiß.
In “The Circle” geht es um Glauben und wie verführbar er Hipster macht
In The Circle geht es also um Glauben, und wie verführbar er Hipster macht, die sich mit quasi-religiösem Wahn in die Ersatzutopien der Techno-Barone hineinsteigern. Die Szenen, in denen die charismatischen Chefs des Circle ihren begeisterten Anhängern neue Produkte vorstellen, als enthüllten sie ein Heiligtum, sind entsetzliche Realsatire. Ob die leeren Phrasen und die hinterlistige Großspurigkeit dieser Szenen direkt aus Steve Jobs’ Präsentationen stammen, muss man nicht wissen, aber wer einmal einer Developers Conference von Apple gelauscht hat, erkennt die Effekthascherei und die falsche Hemdsärmeligkeit sofort wieder.
Wieso, fragt Eggers Roman, stellt ihr in solchen Momenten eure berühmte Ironie plötzlich ab? Wieso lasst Ihr Euch von inhaltsleerem Heilsgeschrammel einlullen, das nur allzu dürftig den Kapitalismus des Silicon Valley kaschiert? Eggers, Säulenheiliger der Hipster, verlangt hier äußerst ernst von seinen Lesern, mehr Ironie zu wagen.
Interessanterweise ist sein Roman absolut unironisch. Wie schon in seinem Roman Zeitoon, der eine wahre Geschichte um Hurrikan Katrina und die Terrorangst der Bush-Ära erzählt, zeigt sich Eggers auch in The Circle zornig, politisch und damit bierernst. Das Buch will etwas über Internetkultur, Internetkonzerne und unsere allgemeine Veränderung durch die Netzöffentlichkeit sagen, ziemlich unbedingt sogar.
Bewusst schwarzgemalt
Das wirkt manchmal etwas peinlich – warum, wenn bei dem Plot sowieso jeder Depp an George Orwell denkt, auch noch penetrant auf 1984 verweisen? Andererseits aber versagt sich dieser Roman über Ironie gerade dadurch die ironische Volte. Mae ist kein Winston Smith. Der Roman malt schwarz und weiß, ganz bewusst. Eggers Roman hat das, was sich die zeitgenössische Literatur sonst verbietet: Figuren, aus deren Mund das reine Evangelium tropft, die in Sätzen sprechen, die alle so aus Eggers’ eigenen Essays stammen könnten. Eggers will, braucht diesen Chor der Zweifler, um anzubrüllen gegen die Nonsens-Slogans, die The Circle unablässig in die Welt bläst.
Es steht zu hoffen, dass dieser Roman, der so genau den Finger am Puls unserer manisch vernetzten Welt hat, bald ins Deutsche übersetzt wird. The Circle ist ein Roman über eine Unternehmenskultur, die in Deutschland noch nicht so verbreitet ist, und auf jeden Fall noch nicht so dominiert wie in der Bay Area. Und Eggers düstere Visionen wirken im Land der Datenschutzbeauftragten und der überpixelten Google Streetviews vielleicht noch immer als ein spezifisch amerikanisches Problem.
Aber das griffe zu kurz: Der Verdienst von Eggers’ Roman liegt darin, dass er keine Unterscheidung zwischen gutem und bösem Netz macht. Der Circle des Romans ist eindeutig an Facebook und Google angelehnt, aber der missionarische Eifer, mit dem Mae Holland “Transparenz” als Wert an sich vorlebt, geht weit über die Verbohrtheit der Google-Leute hinaus.
Das eigentliche Modell für die absolute Transparenz ist Julian Assange, mit seiner Grundannahme, dass jegliches Geheimnis an sich unmoralisch ist und im Gegenzug jegliche Transparenz gut. Und das Modell könnte genauso gut Piratenpartei heißen, denn die Onlinemeetings, bei denen über wichtige Fragen wie “Sollen die USA eine Drohne schicken, um einen bestimmten Terroristen in Pakistan zu töten?” und “Ist Mae Holland super, oder was?” verhandelt wird, scheinen dem Meinungsbildungsprozess der Piraten eng verwandt.
The Circle ist ein Roman über den Totalitarismus der Transparenz. Weböffentlichkeit, nicht NSA, fungieren als Big Brother. Die These des Romans, die Maes Eltern, ihr Ex-Freund und andere immer wieder vortragen, lautet: dass auch das Nichtwissen, das Ignorieren, das Wegschauen ihre eigene Ethik haben. Denn wo Transparenz ist, wächst das Rettende auch: Verfälschung, Verstellung, Missverständnis und die Ironie, die sie alle als gegeben akzeptiert. Die Ironie der Hipster eben.
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