Die Sache mit der Freundschaft
Im Kabarett dürfte man herzhaft lachen. “Fuck the EU” – Scheiß’ auf die Europäische Union –, empfiehlt Victoria Nuland am Telefon. Die Dame ist nicht nur Diplomatin. Sie ist die US-Beauftragte für Europa. Eben erst hat sie für eine “transatlantische Renaissance” plädiert. Wegen gemeinsamer Werte oder so. Genau weiß man es nicht, und – mal ehrlich – es spielt auch keine Rolle. Denn wer wie Nuland die EU zum Teufel wünscht, dem nimmt man das Bemühen um einen Neubeginn im transatlantischen Verhältnis ohnehin nicht mehr ab.
Dabei wäre ein Neubeginn nötig. Zumindest ist die Zeit reif für eine Bestandsaufnahme: Was verbindet, was trennt die USA und Europa? Welche Interessen und Werte teilt man tatsächlich? Wer sieht sich noch als Freund des anderen – und was folgt daraus für den Umgang miteinander?
Schon die Sache mit der Freundschaft ist kompliziert. Die Franzosen zum Beispiel haben Amerika historisch als ihr Baby betrachtet: Die französischen Ideale von Aufklärung und Revolution lieferten das theoretische Rüstzeug für die Vereinigten Staaten. Die Briten sehen sich bis heute als Brüder im Geiste (ihrer einstigen Kolonien), und wir Deutschen haben den Amerikanern die Befreiung vom Nationalsozialismus zu verdanken. Erst erledigten die Amerikaner und die Alliierten Adolf Hitler, dann widerstanden die Sieger der Verlockung, Deutschland platt zu machen für immer. Stattdessen legten sie den Grundstein für Freiheit und Wohlstand – da hat sich viel Dankesschuld aufgetürmt.
Kann aber, wer tief in der Schuld eines anderen steht, zugleich dessen Freund sein? Und guckt der Große dem Kleinen wirklich immer brav auf Augenhöhe ins Gesicht, wenn er sich dafür dauernd bücken muss? Frei von Friktionen war die Beziehung zwischen den USA und ihren Werte-Verwandten in Europa selten. Zuletzt sind daraus aber Spannungen geworden, die zur Rissbildung führen.
Das Trauma des 11. September hat die USA mehr verändert, als man hierzulande wahrnimmt. Der Terror hat das Land, aber vor allem seine politische Klasse ich-bezogener und rücksichtsloser gemacht. Anflüge von multilateraler Politik, in den USA traditionell schwach ausgeprägt, verflüchtigten sich. Letztlich verlassen sich die USA nur noch auf sich selbst. Zugleich fühlen sie sich überfordert. Aus ihrer Sicht werden sie ständig mit Problemen behelligt, die andere – etwa die Europäer – viel eher zu lösen hätten. Wenn die USA aber schon dauernd gefragt sind, dann wollen sie auch so handeln, wie es ihnen passt: Das gilt dann für Drohneneinsätze in Pakistan wie fürs Datenfischen im Internet. Wenn ein Politiker-Handy dabei ist? So what!
Vor dem Irak-Krieg galt Kanzler Gerhard Schröder als unsicherer Kantonist. Da war in US-Kriegslogik dessen Bespitzelung zwingend. Weil damit die deutsche Regierung hübsch eingruppiert war, hielt man später schlicht daran fest. Es ist diese Mischung aus Arroganz und Ignoranz, die in Europa, aber besonders in Deutschland als Beleidigung empfunden wird.
Der NSA-Skandal allein reicht inzwischen aus, um jedes Restvertrauen in Washington zu verlieren. Einzelne Politiker hierzulande mögen sich lächerlich machen, wenn sie den USA nun selbst mit Spitzeleien drohen – die harsche Reaktion der Kanzlerin auf den entlarvenden Jargon der Diplomatin zeigt: Hier geht es um mehr als um gekränkte Eitelkeit. Hier grassiert Entfremdung.
Dramatisch daran ist, dass dies geschieht, während der Bedarf an Zusammenarbeit wächst. Es ist ja nicht nur die Ukraine, wo Europa und die USA als Vermittler gefragt sind. Ob Klimawandel oder Sicherheit – keine einzige globale Herausforderung wird von einem der beiden alleine gemeistert werden können. Die USA und Europa müssen zu einer neuen belastbaren Partnerschaft finden. Leicht wird die Suche nicht.
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