Die EU-Kommission will das Thema Freihandel mit den USA aus dem Wahlkampf heraushalten. Europa hat es schon so schwer genug. Dabei ist das Abkommen ökonomisch durchaus sinnvoll.
Diese Woche wird geredet. Informell. EU-Kommissar Karel De Gucht berät mit US-Vertreter Michael Forman über eine Freihandelszone. Zeitgleich trägt im Europaparlament die erste erfolgreiche europäische Bürgerinitiative ihre Bedenken gegen die Liberalisierung des Wassermarktes vor. Die ist längst abgesagt, aber für die Debatte über den Freihandel lässt sich viel daraus lernen: Es ist schwierig, nur mit Zahlen gegen Emotionen zu kämpfen.
Nicht zuletzt deshalb wurden zum Beginn der Freihandelsgespräche mit den USA die transatlantischen Beziehungen beschworen. EU-Kommissionschef José Manuel Barroso sprach von einer Win-Win-Situation, aber er war auch ehrlich genug, um die Schwächen der Partner einzuräumen. „Beide brauchen Wachstum. Beide haben Etatprobleme.“ Es ist also eher ein Pakt wankender Giganten.
Erschwerend kam hinzu, dass kurz nach dem Auftakt der Verhandlungen die NSA-Affäre ans Licht kam. Abhören unter Freunden geht bekanntlich gar nicht. Geschieht aber. Das Europaparlament stellte nun fest, dass die Abhörpraktiken auch der Wirtschaftsspionage dienen. Nicht gerade förderlich fürs transatlantische Image.
Vielleicht wird das bloße Geschäft für die guten Beziehungen auch maßlos überschätzt. Was ist mit Kultur und menschlichen Begegnungen? Und den vielzitierten gemeinsamen Werten? Mag man Amerika wegen gemeinsamer Standards für Auspuffrohre oder doch eher wegen der Lebensart und Hollywood? Handel treibt die EU auch mit China, die USA aber werden für mehr geliebt als ihre Wirtschaftskraft. Und für mehr verachtet als die NSA.
Es muss auch nicht immer Liebe sein. Die wenigsten Verträge werden aus Herzenswärme geschlossen. Ökonomisch lautet die Bilanz von Zoll und Haben: Von sinkenden Zöllen und niedrigeren Kosten durch gemeinsame Standards profitieren Verbraucher und Firmen. Gerade das schwächelnde Europa dringt deshalb auf den gemeinsamen transatlantischen Markt. Auf zwei Millionen neue Jobs beziffert die Bertelsmann-Stiftung den Wachstumseffekt, 1,1 Millionen in den USA. In Europa würden Großbritannien und Skandinavien am stärksten profitieren, die den USA und dem Freihandel ohnehin stärker zugewandt sind. Deutschland darf auf 180.000 neue Stellen hoffen.
Wo sich manche Beziehungen stärken, werden andere gelockert. Der deutsch-französische Handel etwa würde sinken, der Warenverkehr von Spanien und anderen südlichen Ländern würde sich stärker in Richtung USA umorientieren. Ein Abkommen bringt also transatlantisches Wachstum, innerhalb der EU aber könnte die neuen Handelsströme eine desintegrierende Wirkung entfalten.
Noch etwas aber macht den Partnern zu schaffen. Der Agrarbereich zum Beispiel. Amerika fürchtet französischen Blauschimmelkäse, Europa Chlorhühnchen. Starke emotionale Vorbehalte, jenseits aller realen Risiken. Die jüngste Diskussion über Genmais aber zeigt, wie viel Emotionen im Spiel sind. Und gegen die Wucht der Gefühle ist nur schwer anzukommen. Längst formiert sich im Netz ein Aufstand von unten. Zuletzt gegen internationale Schiedsgerichte, die Streitfälle mit ausländischen Firmen schlichten. Dabei wird teils mit arg verkürzten Argumenten hantiert. So wird der schwedische Konzern Vattenfall genannt, der die Bundesrepublik wegen des Atomausstiegs verklagt. Dass ein Bundesgericht auch RWE wegen Rechtsfehlern beim Abschalten des Meilers in Biblis Geld in dreistelliger Millionenhöhe zusprach, wird dabei verschwiegen. Auch deutsche Gerichte können also teuer.
Spät hat die EU-Kommission nun auf die Kritik reagiert. Künftig soll eine Beobachtergruppe aus Industrie und Verbrauchergruppen für mehr Transparenz bei den Verhandlungen sorgen. Die Beratungen über die Schiedsgerichte werden unterbrochen, eine Anhörung wird kommen. Die Kommission will das emotionale Thema aus dem Wahlkampf heraushalten. Europa hat es ohnehin schwer genug.
Ökonomisch ist das Abkommen sinnvoll. Aber der Unmut der Basis zeigt, dass die EU-Kommission die Deutungshoheit verloren hat. De Gucht kann Kommissarskollege Michel Barnier fragen. Der ließ 2013 entnervt seinen Plan für mehr Markt für Wasserwerke fallen. Zu groß war der Widerstand, zu stark die Furcht vor einer angeblichen Privatisierungswelle.
Die Menschen haben ein ungutes Gefühl gegen von oben verordnete Vorgaben und die Durchökonomisierung des letzten Lebenswinkels. Roquefortkäse ist vielen wichtiger als einheitliche Stoßstangen. Frikandel statt Freihandel. Ein bisschen Schweiz ist eben überall. Das macht den transatlantischen Graben derzeit sehr tief.
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