Sind Pferde Menschen?
VON ULRICH GREINER
25.04.2014
New York streitet über Pferdekutschen. Der moralische Rigorismus von Tierschützern führt in viele Widersprüche. Das gilt für alle monokausalen Erklärungsmuster.
In New York haben Tierschützer der Organisation PETA gegen den Filmschauspieler Liam Neeson demonstriert und sein Haus belagert. Neeson war dafür eingetreten, dass im Central Park weiterhin Pferdekutschen fahren dürfen. Der traditionelle Brauch zum Vergnügen von Touristen und Müßiggängern steht momentan zur Diskussion. Der Bürgermeister Bill De Blasio ist entschlossen, die Pferdekutschen durch Elektrofahrzeuge ersetzen zu lassen.
Neeson hatte in der New York Times geschrieben, seiner Erfahrung nach seien Pferde, ähnlich wie Menschen, am glücklichsten und gesündesten, wenn sie arbeiten dürften. Im Gegenteil, sagen die Tierschützer. Der dichte Autoverkehr der Stadt sei für die Tiere höchst ungesund und gefährlich. Eine Sprecherin von PETA sagte über das Leben der Kutschpferde: “It’s not humane”.
“Unmenschlich” nennt man normalerweise das, was dem Wesen und der Würde des Menschen widerspricht. Wenn die Behandlung von Tieren als “unmenschlich” kritisiert wird, dann geht das im Grunde nur, wenn Mensch und Tier rechtlich und moralisch gleichgestellt werden.
Zugunsten dieses Postulats wollen wir annehmen, dass nicht alle Tiere gemeint sein sollen, sondern nur solche, die eine Art Bewusstsein haben, zum Beispiel ein Schmerzempfinden. Demnach hätte der Ameisenbär mehr Rechte als die Ameisen, die er frisst.
Man gerät, wenn man diesem Gedanken folgt, in unendliche Widersprüche. Das Problem der Tierschützer besteht darin, dass sie mit Widersprüchen nicht umgehen können. Es ist das Problem aller monokausalen Erklärungsmuster. Wer das Kapital oder das Patriarchat oder eben den Verzehr von Fleisch für die Wurzel allen Übels hält, ist insofern im Vorteil, als ihm das ganze Chaos der wirklichen Welt recht übersichtlich erscheint. Er verfügt über ein einziges moralisches Kriterium, mit dessen Hilfe er alle Ambivalenzen besiegen kann.
Ähnliches gilt für jene religiös beflügelten Menschen, die man fundamentalistisch nennt, weil sie in ihrem Wunsch nach moralischer Entschiedenheit rigoros alles Widersprüchliche ausscheiden. Dabei ist klar, dass gerade die großen monotheistischen Religionen voller Vieldeutigkeiten sind. Das Christentum hat dies nie verborgen und ein ganzes Bündel heterogener Texte zum Kanon erklärt, darunter gleich vier Evangelien, die sich der einen Wahrheit auf unterschiedlichen Wegen nähern.
Solche Widersprüche auszuhalten, ist zuweilen schwer. Moral verlangt nach Eindeutigkeit. Der Hinweis, die eben sei leider nicht zu haben, wird leicht zur schlauen Ausrede, der alles Handeln mehr oder weniger gleichgültig und somit gleichgültig vorkommt. Insofern kann man die Tierschützer verstehen. Ihnen ist nicht alles egal.
Ohne Moral geht es also nicht. Aber jede Moral, die sich absolut setzt, gerät in die Falle des Gegenteils. Die Geschichte des Kommunismus, der, um die Menschheit zu retten, die Menschen verriet, ist ein gutes Beispiel dafür. Und es scheint so zu sein, dass an die Stelle der großen Religionen und ihres schwach gewordenen Wahrheitsanspruchs Ersatzreligionen, Ersatzgläubigkeiten getreten sind. Je simpler sie gestrickt sind, umso mehr muss man ihnen misstrauen.
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