Crime Cover-Up

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Kommentar zum 10. Jahrestag von Abu Ghraib

Das verdrängte Verbrechen

Von Damir Fras

29.04.2014

Zwar hat Obama Abu Ghraib als Abgrund bezeichnet und als unvereinbar mit Amerikas moralischem Anspruch. Dabei ist aber es geblieben. Die mangelhafte Aufarbeitung des Skandals ist selbst ein Skandal.

Eine „schreckliche, ungeheuerliche Verletzung der Menschenrechte“ hat Barack Obama dieser Tage beklagt. Einen Missbrauch von Frauen, der in einer Weise geschehen sei, „die selbst inmitten des Krieges schockierend war“, sagte der US-Präsident während seines Besuchs in Südkorea. Diese Vergangenheit müsse anerkannt und aufgearbeitet werden.

Obamas Worte galten Japan. Dessen Truppen verschleppten in den 1940er-Jahren 200 000 Mädchen und Frauen in den von ihnen besetzten Gebieten Asiens und zwangen sie in Soldatenbordellen zur Prostitution. Bis heute belastet dies die Beziehungen Japans zu seinen Nachbarn – auch weil in Tokio noch der beschönigende Begriff von den „Trostfrauen“ die Runde macht und die Auswirkungen dieser Geschichte noch immer verdrängt werden.

Obama hat das Richtige gesagt. Doch die japanische Regierung hat, wenn auch in diplomatischem Ton, erklärt, da rede ja gerade der Richtige. Denn alle Appelle des US-Präsidenten zur Einhaltung der Menschenrechte klingen hohl, solange in den USA die Geschichte der menschenverachtenden Taten ihrer eigenen Soldaten und Söldner nicht aufgearbeitet, sondern weitgehend ignoriert werden.

So ist von Präsident Obama der zehnte Jahrestag der ersten Veröffentlichungen zum Folterskandal von Abu Ghraib bislang unkommentiert verstrichen. Kein Wort von Obama dazu, der stattdessen in Asien den Zeigefinger hob. Kein Wort zu den Bildern von US-Soldaten, die Gefangene zwangen, sich nackt auszuziehen, um sie zu demütigen. Von Soldaten, die Häftlinge zu Pyramiden aus geschundenem Menschenfleisch stapelten und sich in Machopose dahinter ablichten ließen. Von einer Soldatin, die einen Gefangenen wie einen Hund anleint und misshandelt oder sich grinsend über einen Verstorbenen beugt für einen Schnappschuss.

Abu Ghraib, das ist zusammen mit Guantanamo eines der stockdunklen Kapitel im von George W. Bush ausgerufenen Krieg gegen den Terror. Der US-Militärhistoriker Andrew Bacevich hat dafür ein eindrucksvolles Sprachbild gefunden. In Abu Ghraib hätten die US-Truppen die letzte Luft aus dem Ballon gelassen, auf dem die Befreiung des Iraks geschrieben stand.

Im Gegensatz zu Guantanamo ist Abu Ghraib zwar inzwischen Geschichte, doch die Aufarbeitung der Menschenrechtsverletzungen geht noch langsamer voran als die Schließung des Lagers auf Kuba. Genau genommen hat sie niemals wirklich stattgefunden. Abu Ghraib wird vergessen und verdrängt. In der öffentlichen Debatte findet der Folterskandal nicht mehr statt. Nur wenige Zeitungen haben überhaupt an den Tag im Frühjahr 2004 erinnert, an dem Fotos aus Abu Ghraib jedem Amerikaner klarmachen mussten, welche perversen Auswüchse der Krieg gegen den Terror zeitigte.

Zwar hat Obama Abu Ghraib schon einmal als einen Abgrund bezeichnet und erklärt, das sei unvereinbar mit Amerikas moralischem Anspruch gewesen. Doch dabei ist es geblieben. Die mangelhafte juristische Aufarbeitung des Skandals stellt einen eigenen Skandal dar. Nur eine Handvoll unterer Chargen ist bestraft worden. Die Offiziere aber, die das Vorgehen im Gefängnis befehligten, kamen mit Ermahnungen oder Degradierungen davon. Das Kontrollsystem in den US-Streitkräften versagte. Hochrangige Vertreter der US-Regierung sahen weg oder begünstigten Folter und Misshandlungen.

Noch heute bemühen sich vier ehemalige Insassen von Abu Ghraib, eine private Sicherheitsfirma vor US-Gerichte zu zwingen. Sie wollen auf diesem Weg Entschädigungen einklagen, die ihnen die US-Regierung verweigert. Die Söldner, die in Abu Ghraib ihr Unwesen trieben, wurden übrigens rechtlich ebenfalls nicht belangt. Ein Bundesgericht argumentierte gar, weil die Folterungen nicht auf US-Boden stattgefunden hätten, sei das kein Fall für die amerikanische Justiz. Was für ein zynisches Argument.

Obama trägt nicht die Verantwortung für Abu Ghraib. Er hat die Folter abgeschafft, er will Guantanamo zusperren. Die Verantwortung für den Skandal liegt bei Bush, der vor zehn Jahren nach Veröffentlichung der Folterbilder ein strenges Durchgreifen versprach, dieses Versprechen aber nie einhielt.

Obama ist allerdings verantwortlich dafür, endlich die Gräuel von Abu Ghraib juristisch, moralisch und politisch anzuerkennen und aufzuarbeiten. Erst wenn er das tut, wird das Ansehen der USA in der Welt nicht weiter auf einem Tiefpunkt verharren – und ein US-Präsident wieder glaubhaft von einem anderen Land verlangen können, ein dunkles Kapitel in seiner Geschichte aufzuarbeiten.

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