De Maizière, the German – what?
Der Bundesinnenminister verhandelt in Washington über die NSA-Affäre und geht auf Tuchfühlung mit den Amerikanern. Für die Sorgen der Deutschen gibt es wenig Verständnis. VON MARTIN KLINGST, WASHINGTON D.C.
22. Mai 2014 07:55 Uhr 112 Kommentare
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Innenminister Thomas de Maizière spricht mit Schülern in Washington D.C.
Innenminister Thomas de Maizière spricht mit Schülern in Washington D.C. | © Brendan Smialowski/AFP/Getty Images
Am Horizont das Kapitol, auf der Straße vorbeirauschende Feuerwehrwagen, in seinem Rücken das imposante amerikanische Justizministerium, wo er gerade zum Gespräch war. Der deutsche Innenminister Thomas de Maizière, in dieser Woche zu Besuch in Washington, hat gerade sein Statement für Deutschlands Fernsehsender beendet, als er einer vorbeitrottenden Schulklasse gewahr wird.
Mit einem halben Dutzend Kameras im Schlepptau läuft er schnurstracks auf sie zu. “Woher kommt ihr?” “Aus New Orleans.” “Oh, great.” Ein kurzes Schulterklopfen – und weg. “Wer war das? The German – what?”, fragt ein Schüler. Mit einem Innenminister aus Deutschland kann er noch weniger anfangen als mit seinem eigenen Justizminister oder dem NSA-Abhörskandal, über den de Maizière gerade mit US-Justizminister Eric Holder konferiert hat.
“NSA?” zuckt ein Mann mit den Schultern, der ob des Medienauflaufs ebenfalls stehengeblieben ist. “Oh ja, habe ich schon mal gehört. Deshalb dieser Trubel? Gibt es nichts Wichtigeres?”
Deutsch-amerikanischer Cyber-Dialog
Wie auf der Straße, so das große Bild: Dies und jenseits des Atlantik ticken die Menschen anders. Die Amerikaner möchten schnell vergessen, die Deutschen können und wollen nicht vergessen. Die Obama-Regierung würde das leidige Thema NSA lieber heute als morgen begraben. Schließlich hat man Besserung versprochen und erste Veränderungen in die Wege geleitet.
Noch in diesem Jahr soll ein neues Gesetz kommen, vielleicht schon bald. Danach werden die Vorratsdaten nicht mehr bei der NSA gespeichert. Und in aller Regel dürfen sie nur noch bei einem konkreten Anlass und mit richterlicher Genehmigung durchforstet werden.
Überdies: Ein deutsch-amerikanischer Cyber-Dialog wurde aus der Taufe gehoben. Am 26. Und 27. Juni werden sich beide Seiten zum ersten Mal treffen, im Berliner Außenministerium. Präsident Obama entsendet eigens John Podesta, seine rechte Hand in Sachen Datenschutz. Ist das nicht genug Entgegenkommen?
Vielen Deutschen reicht das nicht. Sie sind von Obama enttäuscht und fühlen sich von Amerika hintergangen. In der Tat hätte man sich gewünscht, der Präsident hätte sich schneller und deutlicher entschuldigt und früher gegengesteuert.
Manche Deutsche jedoch scheinen in ihrer berechtigten Verärgerung zu verharren. Einige sind sogar unnachgiebig gnadenlos. Für sie scheint der NSA-Skandal bestätigt zu haben, was sie über Amerika schon immer dachten: Diesem Land und seinen Politikern ist nicht zu trauen. Diesen tiefsitzenden Vorbehalt könnte wohl selbst ein Kniefall Obamas nicht ausräumen.
Seite 2/2: “Nur ein kleiner Ausschnitt aus einem großen Ganzen”
Zwischen der amerikanischen Gleichgültigkeit und der deutschen Unnachsichtigkeit laviert die Merkel-Regierung nun hin und her. Einerseits versucht sie in Amerika Verständnis dafür zu wecken, dass die Deutschen gram sind und sich ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss mit der Abhöraffäre befasst.
Andererseits legte sie zur Genugtuung des Weißen Hauses in einem langen Rechtsgutachten dar, warum der Untersuchungsausschuss den in Moskau weilenden Enthüller Edward Snowden tunlichst nicht zur Anhörung nach Berlin einladen sollte. Geradezu gebetsmühlenartig wiederholen Steinmeier, Merkel und de Maizière in Amerika, dass Deutschland nur ein knappes Jahr nach Aufdeckung der Affäre nicht bereits wieder zur Tagesordnung übergehen könne. Dafür seien die Verletzungen zu tief.
Gespräche auch mit Technologiekonzernen
Zugleich aber bekräftigen sie, dass die NSA-Affäre nicht sämtliche Gespräche beherrschen dürfe. Dafür seien die Weltprobleme zu gewaltig, selbst beim Thema Datenschutz. “Die NSA,” sagt der Innenminister in Washington, “ist nur ein kleiner Ausschnitt aus einem großen Ganzen.”
Gerade in den letzten Monaten, so de Maizière, habe man lernen müssen, dass der Einzelne in seiner Privatsphäre nicht nur vor staatlichen Übergriffen zu schützen sei, “sondern mindestens ebenso vor marktkräftigen Unternehmen”. In Washington traf sich der Minister deshalb auch mit Vorständen großer Internet-und Technologieunternehmen, um ihnen die deutsche und europäische Sichtweise auf den Datenschutz zu erläutern. “Das Vertrauen der Kunden,” sagte de Maizière, “ist ein ökonomischer Wert”.
Mancher Deutsche wünschte sich wohl, die Kanzlerin und ihre Minister würden in Washington endlich mal kräftig auf den Tisch hauen. Denen mal ordentlich die Meinung geigen. Doch würde davor in Amerika niemand wirklich zittern. Ratsam wäre es sowieso nicht.
Der Cyber-Dialog ist ein richtiger Anfang. Wie wir Europäer in vielen Rechtsfragen unterschiedlich denken, weil wir kulturell, sozial und psychologisch anders geprägt sind, so gilt das erst recht zwischen Europäern und Amerikanern. Diese Unterschiede müssen wir herausarbeiten, sie soweit wie möglich zu überbrücken. Und wo das nicht gelingt, wenigstens zu respektieren, dass hier trotz aller Differenzen freiheitsliebende Staaten miteinander am Tisch sitzen, wäre bereits ein Erfolg.
Irgendwann im Herbst wird Amerikas Justizminister Eric Holder nach Berlin kommen. De Maizière hat ihn soeben eingeladen. Dann will Holder, so heißt es, auch endlich Obamas Versprechen umsetzen und konkrete Vorschläge unterbreiten, wie Ausländer künftig bei amerikanischer Spionagetätigkeit besser geschützt werden sollen.
Das wäre ein wichtiger Schritt. Vielleicht trägt er ein wenig zur Besänftigung bei.
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