America’s Lost Gains in Iraq

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Die verlorenen Erfolge der Amerikaner im Irak

Dreizehn Jahre nach “9/11” ist der Terror weltweit wieder auf dem Vormarsch – im Irak genauso wie in Syrien oder in Nordafrika. Präsident Obama ist mit seiner Politik des Rückzugs gescheitert. Von Clemens Wergin

Die Welt erinnert sich noch an jenen “Mission accomplished”-Moment, als US-Präsident George W. Bush im Mai 2003 in Fliegermontur auf dem Flugzeugträger “USS Abraham Lincoln” landete und den Krieg im Irak für beendet erklärte. Danach fing der Bürgerkrieg im Zweistromland erst richtig an, der unzählige Iraker das Leben kostete und in dem auch Tausende von amerikanischen Soldaten starben.

Jenes “Mission accomplished” hat Bush damals viel Spott und Kritik von Barack Obamas Demokraten eingebracht – selbst Jahre später noch, als Bushs einsame Entscheidung zu der Truppenaufstockung und einer neuen Strategie im Kampf gegen die Aufständischen das Blatt tatsächlich gewendet hatte. Nun erlebt auch Obama seinen “Mission accomplished”-Moment. Schließlich hatte er im Dezember 2011 in Fort Bragg anlässlich des Abzugs aus dem Irak eine Rede gehalten in der er den “Moment des Erfolgs” pries und behauptete, Amerika würde einen “souveränen, stabilen und selbstständigen Irak” hinterlassen.

Die jüngsten Geländegewinne der islamistischen Terrorgruppe Isis im Irak machen aber deutlich, wie viel von dem, was die Amerikaner dort unter hohem Blutzoll erreicht haben, wieder verloren gegangen ist. Mossul und die Provinzen Anbar und Ninive sind inzwischen in der Hand radikaler Islamisten. In seinem Bedürfnis, möglichst schnell aus dem Irak abzuziehen, und seinem Unvermögen, dem irakischen Premier Nuri al-Maliki ein Stationierungsabkommen abzuringen, hat der Präsident aufs Spiel gesetzt, was die Amerikaner dort in neun Jahren an Stabilisierung und Aufbauarbeit geleistet hatten.

Die Schuld der Iraker

Natürlich ist es nicht fair, allein den Amerikanern die Schuld an dem erneuten Zerfall des Irak zu geben. Der sektiererisch agierende Premierminister al-Maliki trägt eine gehörige Mitschuld am Siegeszug der Islamisten. Während die Amerikaner auf Versöhnung zwischen Sunniten und Schiiten gesetzt hatten, hat der Schiit al-Maliki alles getan, um die Sunniten wieder zu verprellen, statt sie einzubinden.

Aber wenn Isis – die sich von al-Qaida abgespalten hat, weil sie selbst den Bin-Laden-Jüngern als zu radikal galt – nun nicht nur das syrische Raqqa beherrscht, sondern auch die zweitgrößte Stadt im Irak und wichtige Regionen im Norden, dann hat das eben auch mit amerikanischer Zurückhaltung zu tun. Obamas Strategie der Entflechtung von den globalen Krisen, die amerikanische Weltmüdigkeit und der Zerfall arabischer Staatlichkeit in der Region haben Vakuen geschaffen, die sich die unterschiedlichsten Terrorgruppen zunutze machen. In Syrien genauso wie im Irak, in Libyen oder anderswo.

Laut einer gerade veröffentlichten Rand-Studie hat sich die Terrorgefahr in der Welt in den vergangenen Jahren auf beunruhigende Weise erhöht. Während es im Jahr 2007 nur 28 salafistisch-dschihadistische Gruppen vom Schlage al-Qaidas gab, waren es 2013 schon 49. Die haben 2007 etwa 100 Anschläge pro Jahr ausgeführt, im vergangenen Jahr hingegen 950. Inzwischen sollen diese Gruppen über 44.000 bis 105.000 Aktive verfügen, doppelt so viele wie 2007.

Die Zahl der Anschläge von mit al-Qaida verbündeten Gruppen hat sich sogar verdreifacht. Selbst das amerikanische Außenministerium musste in einem jüngsten Bericht einräumen, dass die Zahl der Terroranschläge seit geraumer Zeit stark steigt. Allein von 2012 bis 2013 wuchs die Zahl der Anschläge demnach von 6700 auf 9700. Etwa 18.000 Menschen kamen dabei ums Leben, 33.000 wurden verwundet.

Staaten zerfallen

Während man im Westen vor einigen Jahren gehofft hatte, die arabischen Revolutionen würden den Dschihadisten die gesellschaftliche Unterstützung und den Nährboden entziehen, ist das Gegenteil eingetreten. Die zerfallende Staatlichkeit in Libyen, auf dem Sinai oder in Mali bot den Terroristen die Möglichkeit, diese Länder als Operationsgebiet oder Ruheraum zu nutzen. Und der anhaltende Bürgerkrieg in Syrien ist das beste Instrument, Kämpfer zu rekrutieren und Spenden für Waffen einzuwerben.

Das Land ist zum neuen Afghanistan geworden – zum Anziehungspunkt und Trainingsgelände für die nächste Generation dschihadistischer Kämpfer, die die dort gewonnene Kampferfahrung dann auch anderswo einsetzen. Genau das ist jetzt im Irak passiert. Isis hat sich die porösen Grenzen zu Syrien zunutze gemacht und hat ursprünglich für Syrien geworbene Dschihadisten aus aller Welt im Nachbarland eingesetzt.

Denn nach einem anfänglichen Siegeszug war Isis in Syrien auf erheblichen Widerstand vonseiten moderater Rebellen und der Kurden gestoßen. Das hat offenbar dazu geführt, dass die Organisation ihre inzwischen erhebliche Kampfkraft nun stärker auf den Norden des Irak konzentriert, wo ihr die irakische Armee wenig entgegenzusetzen hat. Zumal der (Öl-)Reichtum Mossuls auch eine lukrative Beute darstellt.

Traum vom Kalifat rückt näher

Isis kann so ihr ersehntes “Kalifat” errichten über ein ausgedehntes Territorium, das Teile Syriens und den Nordirak umfasst. Seit die Amerikaner die afghanische Symbiose von al-Qaida und den Taliban zerstört haben, ist keiner Terrorgruppe mehr so etwas gelungen. Und es wird noch mehr islamistische Radikale in der ganzen Welt dazu bringen, sich Isis anzuschließen oder die Organisation mit Geldspenden zu stärken. So gesehen war die Eroberung Mossuls auch ein gelungener PR-Coup.

Obama hat sich in der Außenpolitik stets als Anti-Bush positioniert, der die Fehler seines Vorgängers vermeiden wollte. Nun zeigt sich jedoch, dass es eben nicht reicht, nur kein Bush zu sein und “keinen blöden Scheiß machen” zu wollen, wie es der Präsident gerade wieder als Maxime seiner Außenpolitik formuliert hat. Weil es neben Fehlern, die aus Hyperaktivismus entstehen, eben auch Fehler aus Unterlassung gibt, deren Folgen jedoch meist mehr Zeit benötigen, um sichtbar zu werden.

Syrien gehört dazu, genauso wie die mangelnde Bereitschaft, Libyen stabilisieren zu helfen nach dem Sturz von Diktator Muammar al-Gaddafi. Ein Vorwurf, den sich Europa genauso machen lassen muss, das ja viel unmittelbarer von den neuen Terrornestern in seiner Nachbarschaft betroffen ist als die USA. Die neuen Terrorbrutstätten im Nahen Osten sind heute jedenfalls viel näher an den Nervenzentren des Westens, als es al-Qaida in Afghanistan je war. Wir sollten deshalb nicht erneut den Fehler machen, die Gefahr des globalen Dschihadismus zu unterschätzen.

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