Iraq Is Breaking under Obama’s Lack of Prospects

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US-Präsident Barack Obama kündigt die Entsendung von 300 Militärberatern an, um die Bekämpfung der radikalen Isis-Truppen zu unterstützen. Doch ist der Irak überhaupt noch zu retten?

Erst eine Stunde nach dem zuvor angekündigten Termin trat der Präsident am Donnerstagmittag vor die Journalisten im Weißen Haus: Barack Obama hatte bis zur letzten Minute interne und externe Beratungen geführt, bevor er vorläufige Reaktionen der USA auf den Vormarsch der radikal-sunnitischen Isis-Truppen im Norden des Irak ankündigte.

Er werde “bis zu 300 Berater in den Irak schicken”, sagte Obama. Der Präsident wiederholte seine Versicherung, dass Washington aber keine Bodentruppen entsenden wird. “Amerikanische Streitkräfte werden nicht zum Kampfeinsatz in den Irak zurückkehren.” Der wegen seiner bisherigen Passivität von den Republikanern zunehmend kritisierte Präsident sprach von einer “kleinen Zahl” von Beratern, obwohl vor seinem Statement lediglich über die Entsendung von 100 Spezialkräften spekuliert wurde.

Bei ihnen dürfte es sich um Angehörige der Green Berets und der Navy Seals sowie um Army Rangers handeln. Zudem verkündete Obama zusätzliche Sicherungsmaßnahmen für die Botschaft der USA in Bagdad, die mit 4500 Mitarbeitern und Sicherheitskräften die größte weltweit ist. Er bestätigte Meldungen, dass man mit der Evakuierung einiger Mitarbeiter begonnen habe. Der zweite Schritt betreffe die Intensivierung von Überwachungs- und Aufklärungsmaßnahmen zum Isis-Vormarsch, die den USA Hinweise liefern sollen, “wie wir dieser Bedrohung begegnen können”.

Ist der Irak überhaupt noch zu retten?

Die 300 Berater sollen in einem Joint Operational Center in Bagdad an der Seite der Sicherheitskräfte des Irak eingesetzt werden. Dort gehe es um den Austausch von Informationen und geheimdienstlichen Erkenntnissen sowie um zusätzliche Ausbildung des irakischen Militärs. Vor wenigen Tagen hatte das Weiße Haus bereits die Entsendung von 275 Soldaten insbesondere zur Sicherung der Botschaft in Bagdad verkündet. Mit diesen nunmehr fast 600 Soldaten kehren die USA auf ein Terrain zurück, auf dem sie zwischen 2003 und 2011 fast 4500 Militärangehörige verloren. Der Ausstieg aus dem von Vorgänger George W. Bush 2003 begonnenen Irak-Krieg war eines der wichtigsten Wahlkampfversprechen Obamas im Jahr 2008.

Eine vierte Maßnahme bestehe in der Identifizierung möglicher Ziele für militärische Maßnahmen. Zentral aber bleibe der Appell an die irakischen Politiker, ihre religiösen Gegensätze zu überwinden und eine geschlossene Haltung zu finden. Auf die Frage einer Journalisten, ob die USA noch Vertrauen zu dem wegen seiner einseitig pro-schiitischen Politik heftig kritisierten Premierminister Nuri al Maliki hätten, reagierte der Präsident mit einer diplomatisch verpackten Rücktrittsempfehlung. “Es ist nicht an uns, deren Führer zu wählen”, sagte er mit Blick auf die Iraker. Aber es sei “kein Geheimnis, dass es dort eine tiefe Trennung gibt zwischen Schiiten und Sunniten. Darum haben wir mit Maliki gesprochen und ihm gesagt, unabhängig davon, ob er oder jemand anderes Premierminister ist, muss dies auf einer Agenda geschehen, bei der Sunniten und alle anderen Gruppen gleichermaßen den Eindruck haben, dass ihren Interessen gedient wird”.

Die logische Folgefrage, ob Obama überhaupt noch damit rechnet, dass der erst 1920 aus der Konkursmasse des osmanischen Reiches durch den Zusammenschluss von drei Provinzen gegründete Irak als einheitlicher Nationalstaat überleben kann, wurde dem Präsidenten nicht gestellt. Erneut unterstrich Obama die Verantwortung der Nachbarn in der Region und vor allem des Iran.

Die USA hätten beträchtliche Meinungsverschiedenheiten mit dem Iran. “Was in Syrien passiert, ist eine Konsequenz der Handlungen des Iran”, sagte der Präsident unter Anspielung auf Teherans Unterstützung für das Regime von Baschar al-Assad im Bürgerkrieg, in dem sich auf Seiten der Aufständischen die radikalen Kräfte durchgesetzt haben. Isis (Islamischer Staat im Irak und Syrien), das entsprechend einer anderen, ebenfalls geläufigen Abkürzung von Obama als Isil (Islamischer Staat im Irak und der Levante) bezeichnet wird, entstand im irakischen Widerstand gegen die US-Invasion im Irak 2003, entwickelte aber erst im syrischen Bürgerkrieg seine jetzige Stärke.

Sechs Tage zuvor, am vorigen Freitag, hatte Obama bei einem Auftritt im Südgarten des Weißen Hauses ebenfalls versichert, er werde keine Bodentruppen zurück in den Irak schicken. Statt dessen habe er sein Sicherheitsteam beauftragt, “mir eine Reihe weiterer Optionen vorzubereiten, mit denen wir die irakischen Sicherheitskräfte unterstützen können, und ich werde diese Optionen in den nächsten Tagen prüfen”.

Die USA wollen ihr Gesicht wahren

Die Entsendung der Berater sollen Obama insbesondere vom Pentagon nahegelegt worden sein, weil die ebenfalls diskutierte Option des Einsatzes von Drohnen oder der Luftwaffe gegen Isis-Ziele inzwischen als wenig erfolgversprechend und zu riskant eingestuft wird. Generalstabschef Martin Dempsey sagte am Mittwoch einem Senats-Ausschuss, entsprechende Ziele ließen sich schwer identifizieren, weil die sunnitischen Extremisten sich mit der Bevölkerung in den eroberten Regionen nördlich von Bagdad vermischt hätten.

Experten bestätigen diese Sorge: Es gibt keine Isis-Stellungen oder Militärkonvois und keine einheitliche Uniformierung der Truppen. Militärfahrzeuge, bei denen es sich oft um erobertes Gerät amerikanischer Bauart aus den Beständen der regulären irakischen Armee handelt, die insgesamt ernüchternd wenig Gegenwehr geleistet haben sollen, wurden in Innenstädte und Ortschaften verbracht. Ein Angriff auf derartige Ziele würde das Leben von Zivilisten gefährden.

Die Militärexperten in Washington wissen zudem, dass die USA nach wie vor ein schlechtes Image im Irak haben. Das gilt gerade auch für die Regionen, in denen jene Sunniten leben, die zu Zeiten von Saddam Hussein die regierende Klasse des Landes darstellten. Mit dem Sturz des Diktators verloren sie ihre Privilegien. Durch die einseitig auf die Schiiten ausgerichtete Politik Malikis sehen sie sich ausgegrenzt. Die Folge: In den vergangenen Tagen schlossen sich viele Anhänger von Saddams einstiger, radikal säkularer Baath-Partei den vermeintlichen Gotteskriegern der radikal klerikalen Isis an.

Darum wird jetzt in Washington nach “Maßnahmen ohne amerikanisches Gesicht” gesucht, bei denen die Länder der Region eine zentrale Rolle spielen würden. Das schließt den Iran ein, mit dem die USA seit 1979 keine diplomatischen Beziehungen unterhalten. Seit Jahren verhandeln die USA, China, Russland, Frankreich, Großbritannien und Deutschland mit dem Iran über eine Beendigung des als militärisch angesehenen Teheraner Nuklear-Programms. Im zurückliegenden Jahr gab es dabei Fortschritte, aber in den entscheidenden Punkten noch keinen Durchbruch.

Obama befindet sich in einer heiklen Zwickmühle

Der Isis-Vormarsch zeichnete sich bereits seit dem vorigen Jahr ab. Washington blieb bislang passiv. Obamas Problem angesichts dieser Herausforderung: Er wird einerseits von den Republikanern dafür kritisiert, dass er Ende 2011 die letzten Truppen aus dem Irak zurückholte und nicht in der Lage war, die Stationierung eines Restkontingents mit Bagdad zu akzeptablen Bedingungen auszuhandeln. Andererseits wird dem Präsidenten jetzt vorgeworfen, dass die Entsendung der Spezialkräfte ein erster Schritt sein könnte, letztlich doch wieder Kampftruppen in das Land zu kommandieren, das Bush 2003 wegen der vermeintlichen Existenz von Massenvernichtungswaffen angreifen ließ.

Das größere Problem liegt aber im Mangel in tragfähigen Konzepten für eine lang- oder zumindest mittelfristige Perspektive: Selbst wenn es gelingen sollte, den Isis-Vormarsch zurückzuschlagen, bleibt der Irak ein zwischen Sunniten, Schiiten und Kurden zerrissenes Land. Dass dieser Trend durch einen Appell an die Vernunft der irakischen Politiker kurzfristig umgekehrt werden könnte, wird von Beobachtern in Washington kaum erwartet. Dort macht sich die Einschätzung breit, dass der zukünftige Irak stärker fragmentiert sein wird – wenn er sich überhaupt zusammenhalten lässt. Irak könnte, ebenso wie Syrien, unter dem Zusammenstoß von Schiiten und Sunniten jedes innere Korsett verlieren und die beunruhigende Liste der “failed States”, der gescheiterten Staaten verlängern.

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