Republikaner droht “König” Obama mit Klage
Von Ansgar Graw
26.06.14
Der Sprecher des US-Repräsentantenhauses, John Boehner, will Barack Obama verklagen. Grund: Dieser regiere zu häufig mit Verordnungen. Frühere US-Präsidenten taten das aber noch viel öfter.
Es sei Aufgabe eines Präsidenten, die Gesetze zu befolgen. Der republikanische Führer im US-Repräsentantenhaus, John Boehner, findet, sein Präsident kommt dieser Aufgabe nicht nach. Also verklagt er ihn. Boehner will mit juristischen Mitteln gegen Barack Obama vorgehen, weil dieser zu häufig mithilfe von Verordnungen regiert. Es gebe eine klare Aufgabenteilung zwischen Regierung und Parlament, sagte Boehner mit Blick auf häufige präsidiale Verordnungen Obamas.
Obama, der keine Mehrheit in beiden Kammern besitzt, hatte unlängst etwa die Erhöhung der Mindestlöhne für Firmen verordnet, die für die Regierung arbeiten. Auch den Stopp von Deportationen von Kindern, die illegal in die USA gekommen sind, hatte er auf diesem Wege beschlossen. Das Parlament fühlt sich dadurch übergangen.
Es gehört zum Handwerk des politischen Schlagabtauschs in den USA, dem Präsidenten des jeweils anderen Lagers eine autoritäre Regierungspraxis zu unterstellen. Wenn sich das Weiße Haus mit dem Kongress nicht auf Gesetze einigen könne, greife der Chef der Exekutive zum Mittel der präsidentiellen Verfügung, lautet der routinierte Vorwurf. Derartige “Executive Orders” sind zwar formal keine Gesetze, aber sie haben für die Amtszeit des jeweiligen Präsidenten einen vergleichbaren Effekt.
Autoritäre Praxis
Artur M. Schlesinger etwa, der den Demokraten und der Kennedy-Familie nahestehende Historiker, schrieb 1973 ein Buch über “Die imperiale Präsidentschaft”, in der er nach einem zeitgeschichtlichen Überblick vor allem dem damaligen republikanischen Amtsinhaber Richard Nixon bescheinigte, mit derartigen Executive Orders Senat und Repräsentantenhaus, die eigentliche Legislative, zu umgehen.
Später übertrug Schlesinger diese Beobachtung auf Ronald Reagan. Gene Healy wiederum, Vizepräsident der libertären Washingtoner Denkfabrik Cato Institute, warf 2001 dem Demokraten Bill Clinton “einen nixonschen Blick auf präsidentielle Macht” vor. Clinton werde späteren Historikern als der Amtsinhaber erscheinen, der sicherstellte, “dass die ‘imperiale Präsidentschaft’ nicht mit dem Ende des Kalten Krieges verschwinden” würde.
Aktuell steht Barack Obama im Visier entsprechender Attacken. John Boehner hat in einer an die Abgeordneten versandten Notiz dem Präsidenten vorgeworfen, er “schafft sich gelegentlich eigene Gesetze”. Und weiter: “Die Amerikaner sagen, wir haben einen Präsidenten gewählt und keinen Monarchen oder König”, so Boehner.
Darum werde er im Juli eine Gesetzesvorlage einbringen, in dessen Konsequenz ein Gerichtsprozess gegen Obamas “aggressive Eigenmächtigkeiten” und seinen vermeintlichen Verstoß gegen die in der Verfassung verfügte Gewaltenteilung angestrengt werden soll. Um eine Amtsenthebung gehe es dabei nicht, versicherte Boehner auf Nachfrage. Er wolle nur die Rechte des Präsidenten durch ein Gericht definieren lassen.
Obama gewillt, Gesetze “mit Tinte und Telefon” durchzusetzen
Man kann nicht behaupten, dass der Vorstoß gegen Obama überraschend käme. Wäre eine solche Formulierung mit der Würde seines Amtes zu vereinbaren, dürfte man gar sagen, er habe um juristische Prügel dieser Art förmlich gebeten. Er ließ wiederholt wissen, er werde Gesetze “mit Tinte und Telefon” durchsetzen, wenn der Kongress passiv bleibe.
Und just am Donnerstag befand der Supreme Court, Obama habe im Januar 2012 seine Befugnisse überschritten, als er einen Posten im National Labor Relations Board, einem Ausschuss unter Beteiligung von Politik und Gewerkschaften, ohne Zustimmung des Senats besetzen ließ.
Allerdings ging es dabei um einen sehr konkreten Einzelfall: Der Senat arbeitete vor seiner Neukonstituierung faktisch nicht, aber formal trat alle drei Tage ein Senator an das Pult und verfügte eine Unterbrechung. Der Präsident hätte daher nicht definieren dürfen, dass der Senat sich dauerhaft vertagt habe, so die Obersten Richter.
Wer blockiert, soll sich nicht beschweren
Doch Obama entließ auch Executive Orders gegen die Deportation von jungen Illegalen, die von ihren Eltern als Kinder in die USA gebracht worden waren. Er hob den Mindestlohn an für Arbeiter bei Firmen, die Aufträge der Bundesregierung erfüllen. Zuletzt ermächtigte er die Umweltschutzbehörde Environmental Protection Agency, strenge Auflagen für die Emissionswerte von Kohlekraftwerken zu erlassen.
Auf die Ankündigung Boehners, diese Praxis juristisch überprüfen zu lassen, reagierte das Weiße Haus erwartbar. Der stellvertretende Pressesprecher Josh Earnest versicherte, der Präsident würde es vorziehen, “mit Demokraten und Republikanern eine Politik umzusetzen, die die wirtschaftlichen Möglichkeiten für Mittelklassefamilien ausweiten würde”.
Obama habe aber auch gesagt, er werde nötigenfalls “selbst handeln unter Nutzung der exekutiven Macht, mit der die Präsidentschaft ausgestattet ist”. Die Republikaner blockierten seit geraumer Zeit Gesetze im Kongress, “die die wirtschaftliche Erholung befördern würden”, so Earnest. “Doch in diesem Fall scheint es, dass die Republikaner bei ihrer Opposition in einen höheren Gang geschaltet haben.”
Es lässt sich streiten, ob der Eingriff des Präsidenten in das Einwanderungsrecht, den Umweltschutz oder die Vergütungsordnung von lediglich einem minimalen Teil der arbeitenden Bevölkerung unabdingbar ist für die Stärkung der Mittelklasse. Hinzu kommen Obamas Ermächtigung, in bestimmten Fällen terroristischer Aktivitäten auch US-Bürger per Drohneneinsatz und ohne Gerichtsverfahren gezielt zu töten oder militärische Aktionen gegen Libyen ohne Legitimation durch den Kongress zu starten.
Der viel gescholtene “Do nothing”-Kongress
Aber recht hat der Sprecher des Weißen Hauses mit dem Hinweis auf die Untätigkeit des Kongresses. Im Senat haben die Demokraten das Sagen, das Repräsentantenhaus wird von den Republikanern dominiert. Die Folge ist in selteneren Fällen ein mühsam ausgehandelter Kompromiss und im Alltag ein Versanden von Gesetzesinitiativen im Stellungskrieg beider Parteien. Als “Do nothing”-Kongress wurde die Legislative in der ersten wie während der laufenden zweiten Amtszeit Obamas wegen ihrer dürftigen gesetzgeberischen Bilanz mehrfach gescholten.
Wenn das Parlament nicht mag, schöpfen Präsidenten gern ihre Macht aus. Wer dies als Sündenfall betrachtet, muss eingestehen, dass andere Präsidenten weitaus mehr Dekrete zu verantworten haben als der Amtsinhaber. George W. Bush erließ insgesamt 291 Executive Orders, Jimmy Carter 320, Bill Clinton und Richard Nixon 364 und Ronald Reagan 381. Das verblasst alles gegen Franklin D. Roosevelt, der in seinen vier Perioden zur Kriegszeit beeindruckende 3522 Verfügungen erließ. Obama kommt auf überschaubare 180 De-facto-Gesetze.
Amerikanische Gerichte zeigen wenig Bereitschaft, sich in die volatile Praxis der Gewaltenteilung einzumischen. Darum ist nicht zu erwarten, dass es ein Urteil in dem von Boehner angestrebten Gerichtsverfahren geben wird, und wenn doch, dann wohl erst in Jahren, mutmaßlich nach Obamas Abdankung. Fünf Monate vor den Midterm Elections ist der Vorstoß der Republikaner daher auch eher als Wahlkampfmanöver zu verbuchen.
Allerdings erfüllt er gleichwohl einen wichtigen Zweck, richtet er doch die Scheinwerfer erneut auf den Stillstand im Washington der Schützengräben. Wichtiger als juristische Scheingefechte wäre die Bereitschaft auf beiden Seiten, zurückzukehren zur Weisheit des gelegentlichen Kompromisses.
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