Edited By Helaine Schweitzer
Der Bundesregierung blieb keine andere Wahl, den höchsten CIA-Repräsentanten der USA des Landes zu verweisen. Das aber heißt auch: Geht nun zur Tagesordnung über und denkt an deutsche Interessen!
Viele Deutsche werden FCC Petersburg nicht kennen oder für einen russischen Fußballverein halten. Im Grunde ist es auch nicht wichtig, zu wissen, um was es sich handelt, wäre es in der jüngsten Lage hierzulande nicht angebracht, wenigstens kurz auf das Nest in Virginia gut 25 Meilen von Richmond entfernt zu verweisen, das Petersburg heißt.
Im dortigen Gefängnis, dem Federal Correctional Complex (FCC), sitzt seit 1987 der amerikanische Staatsbürger Jonathan Pollard. In wenigen Wochen wird der ehemalige Nachrichtenoffizier der Navy seinen sechzigsten Geburtstag feiern. Wie an allen Tagen wird Pollard auch an diesem Tag wissen, dass er seinen siebzigsten und – sollte er dann noch leben – den achtzigsten in Petersburg verbringen wird.
Jonathan Pollard spionierte nicht nur sein eigenes Land aus, sondern arbeitete auch noch für den engsten und wichtigsten Verbündeten der Amerikaner im Nahen Osten: für Israel und dessen auf Atomspionage spezialisierten Geheimdienst Lakam, der kurz nach Pollards Verurteilung seine Selbstständigkeit verlor.
Damals entschuldigte sich Jerusalem so wortreich wie kleinlaut für den Fehltritt, die Amerikaner aber taten das, was sie in dieser Lage tun mussten: Sie überführten Pollard, verurteilten ihn zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe und – gingen zur Tagesordnung über. Amerika braucht Israel (im Nahen Osten), und Israel braucht Amerika, um zu überleben. Das ist das Gesetz, dem alles untergeordnet ist – Spionage hin oder her –, weil, wer es bricht, seine eigenen Interessen beschädigt.
Die größte Ohrfeige seit 1949
Den höchsten Vertreter der amerikanischen Geheimdienste in Deutschland auszuweisen, folgt dem Weg, den Washington 1987 im Falle Pollard einschlug. Berlin blieb kaum eine andere Wahl, als es den Vereinigten Staaten gleichzutun – aus innen- wie aus außenpolitischen Gründen. Will es als eigenständiger Partner, als selbstbewusster Teilnehmer im Ringen um einen atomwaffenfreien Iran oder auch als Instanz in einem künftigen Konflikt ernst genommen werden, muss die Bundesregierung zeigen, dass Spionage ein Vergehen ist – und als solches geahndet wird, selbst wenn ihr bedeutendster Bündnispartner dahinter steckt.
Man hätte vielleicht sogar erwägen können, den CIA-Mann sofort zur “persona non grata” zu erklären. Auch das wäre gerechtfertigt gewesen. Doch es gibt gute Gründe für den eben eingeschlagenen Pfad. Den diplomatischen Repräsentanten des wichtigsten Verbündeten, der auch noch der Gründungsvater sämtlicher deutscher Nachrichtendienste ist, mit freundlichen, aber bestimmten Worten des Landes zu verweisen, ist eine Ohrfeige sondergleichen. Nie zuvor – weder in Bonn noch Berlin – griffen die Deutschen zu einer derartigen diplomatischen Maßnahme gegen die amerikanische Schutzmacht.
Doch nun sollte es gut sein, mögen sich die Deutschen auch noch so erregen, denn für Berlin gilt dieselbe Regel, die auch in Israel, Großbritannien, Frankreich, Japan, von wem auch immer im Westen befolgt wird: Das Land ist auf die Vereinigten Staaten angewiesen. Man muss nicht (könnte aber durchaus) das Lied der Freundschaft singen, um an diesen Grundsatz zu erinnern.
Vier kalte Feststellungen
Es genügen vier kalte Feststellungen: Ohne die amerikanische Präsenz in Europa gäbe es keine europäische Sicherheit. Fehlte Amerikas Schutz, würden sich die Russen alles erlauben. Kündigten CIA, FBI und NSA die Zusammenarbeit mit den Deutschen auf, wären islamistische Anschläge in Deutschland noch wahrscheinlicher als sie es jetzt schon sind. Bar jeder amerikanischer Rückendeckung schließlich wäre jegliches Werben um europäische Werte in der Welt sinnlos. Europa fehlt die Kraft, seine eigenen Überzeugungen und Interessen durchzufechten.
Es wird sie in diesem Jahrhundert auch nicht mehr aufbringen. Zudem ist die Supermacht Amerika die angenehmste Weltmacht, seit es Weltmächte gibt. Nicht Persien, nicht Rom, nicht Byzanz, weder Spanien, Großbritannien noch die Sowjetunion ließen anderen Staaten eine derartige Freiheit. Und wer heute auf China schielt, der sollte sich von Tibetern, Koreanern und Vietnamesen erzählen lassen, wie Peking mit kleineren Nachbarn umgeht. Kurzum, auch ohne jegliche Gefühlsaufwallung spricht von deutscher Seite alles dafür, das Bündnis mit den Vereinigten Staaten zu erhalten, zu stärken und selbst unter Spionagefällen wie den jüngsten das Maß nicht zu verlieren.
Immer weniger Deutsche sind zu dieser kühlen Gelassenheit in der Lage. Sie sprechen gegenwärtig sogar von “Demütigungen”, die ihnen Washington zugefügt habe, und hegen düstere Vergeltungsgelüste. Als ob die geschichtslosen Deutschen plötzlich den Ehrbegriff des 19. Jahrhunderts wiederentdeckt hätten und ihrerseits nun “Rache für Sadowa” fordern wollten! Wären sie nicht so erregt, müsste man sie an Willy Brandt erinnern.
Sich Ärgern ist noch keine Politik
Der wurde nicht nur als Berliner Regierender Bürgermeister, sondern auch als Bundeskanzler von den Amerikanern abgehört, ging damit nüchtern um und arbeitete mit Washington auf die Weise zusammen, die für sein Land notwendig war. Nicht mehr und nicht weniger. Konrad Adenauer tat es genauso, als John F. Kennedy den ersten Kanzler der Bundesrepublik 1962 zwang, den deutschen Botschafter Wilhelm Grewe aus Washington abzuziehen. Vieles spricht dafür, dass das Weiße Haus auch damals genau wusste, welche Telegramme die Botschaft in Richtung Bonn verließen.
Ärgern mag man sich darüber, doch wütend sein ist keine Politik. Mit Blick auf die Vereinigten Staaten nimmt das allerdings politische Züge an. Diese Entwicklung ist nicht neu, trotzdem besorgniserregend. Seit der Wiedervereinigung des Landes mehren sich die Zeichen dafür, dass mehr und mehr Deutsche nicht wissen, wohin sie gehören, das Mittlere, die Mittellage für das Maß der Dinge und alles Westliche für zumindest fragwürdig, wenn nicht sogar für gefährlich halten – vom Freihandel bis zum atlantischen Bündnisgefüge.
Noch hat sich diese Gefühlslage nicht in der Regierung und den tragenden Parteien des Landes festgesetzt, doch sie wird heftiger und entlädt sich in immer kürzeren Abständen zu einem Furioso der Stimmungen. Geht es so weiter, ist Karl Jaspers’ Frage durchaus angebracht: Wohin treibt die Bundesrepublik? Die Amerikaner jedenfalls interessiert sie offenbar schon jetzt.
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