Free Trade and the Fear of Too Much Freedom

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Dass Europa und die USA auf Freihandel setzen, ist richtig. Die Bedenken vieler Bürger sollten allerdings Anstoß für mehr Transparenz der Verhandlungen sein, deren Abschluss in weiter Ferne steht.

Höheres Wirtschaftswachstum und Hunderttausende zusätzliche Arbeitsplätze – das sind die Hauptargumente, mit denen die Anhänger des geplanten Freihandelsabkommens TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) für den umstrittenen Vertrag werben. Die Gegner sehen in TTIP dagegen den verdammenswerten Versuch, hohe europäische Standards im Sozial- und Umweltbereich auszuhöhlen, und in Schutzklauseln für Investoren einen Anschlag auf die Demokratie. In der Debatte um ein Freihandelsabkommen zwischen den USA und Europa ist viel Emotion im Spiel, in der Sache ist man ein Jahr nach Start der Gespräche kaum weitergekommen. Oder vielleicht doch? Man weiß es nicht, und das ist ein weiterer Kritikpunkt an den Verhandlungen: Dass über deren Fortschritt nur sehr wenig an die Öffentlichkeit dringt, dass es an Transparenz weitgehend fehlt.

Die Idee des Freihandels ist historisch betrachtet noch ziemlich jung. An der Wende des 18. zum 19. Jahrhundert machten sich Ökonomen dafür stark, priesen die Vorteile des Abreißens von Zollschranken und der Beseitigung anderer Beschränkungen des Handels. Doch das Pendel schwang seither keineswegs nur in eine Richtung, langen Phasen der Öffnung von Märkten standen immer wieder solche des Rückzugs und der Abschottung gegenüber.

Auch Politiker tun sich mit dem Freihandel nicht immer leicht, viele setzen sich dafür ein, werden aber, wenn es opportun erscheint, zu Protektionisten. Von einer Freihandelszone zwischen Europa und den USA träumte vor fünfzig Jahren schon Präsident John F. Kennedy. Er hielt im US-Kongress Brandreden für den Freihandel, mit Erfolg. Bei den von ihm initiierten Handelsrunden wurden Zölle für Tausende Waren stark gesenkt. Auch Barack Obama, der sich in der Tradition Kennedys sieht, will der US-Wirtschaft den Weg in ausländische Märkte ebnen, TTIP soll der Schlüssel für Europa sein, und auch die USA öffnen. Einfuhrzölle sind mittlerweile als Bremse für den freien Handel die Ausnahme, heute geht man subtiler vor. Man stellt andere Barrieren auf, sogenannte nicht tarifäre Handelshemmnisse. Es geht um bürokratische Hürden, um Umweltauflagen, um Regularien, um technische und soziale Standards, die es für ausländische Unternehmen schwerer, teurer und manchmal unmöglich machen, auf einem anderen Markt Fuß zu fassen.

Freihandelsverträge wie TTIP sind aber auch Instrumente, erlangte Positionen abzusichern und auszubauen. Aus Sicht von Drittländern klingt das Wort Freihandelsabkommen wie ein Hohn, sie sind klare Verlierer, wenn sich die weltgrößten Handelsblöcke EU und USA gegenseitig weitere Vorteile einräumen.

Viel Kritik entzündet sich auch an den Schutzklauseln für Investoren. Die EU und die USA wollen auf Druck der Wirtschaft Rechtsstreitigkeiten eines Konzerns mit einem Staat an ein Schiedsgericht und damit eine national unabhängige Instanz auslagern. Damit würde der Rechtsstaat ausgehebelt, wettern Kritiker. Die EU und die USA betreten damit aber kein Neuland, schon jetzt gibt es weltweit mehr als 2000 solcher Abkommen zum Schutz von Investitionen. Damit geben Länder juristische Autonomie ab, aber sie unterwerfen sich einem Schiedsgericht aus freien Stücken, niemand zwingt sie dazu. Möglicherweise könnten die EU und die USA auf solche Klauseln aber auch verzichten, schließlich gibt es dies- und jenseits des Atlantiks wenn auch sehr unterschiedliche, so doch Rechtssysteme, auf die man vertrauen kann. Nicht vertrauensbildend ist hingegen, dass die Verhandlungen von Nachrichten über Spionageaktivitäten der USA in europäischen Ländern gestört werden. Dem muss Europa entschieden entgegentreten, so geht man mit Partnern nicht um. Überhaupt müssen beide Seiten transparenter agieren, wenn sie verhindern wollen, dass ihr Projekt vorzeitig zu Fall kommt. Die Bürger zu überfahren funktioniert nicht.

Derzeit stehen sich in der Debatte um TTIP zwei scheinbar unversöhnliche Gruppen gegenüber. Die eine setzt Freihandel mit mehr Freiheit gleich, die andere sieht eben diese Freiheit durch mehr Freihandel bedroht.

Dieser Widerspruch ist nicht völlig aufzulösen. Daher ist es umso wichtiger, dass die Verfechter des Freihandels mit offenem Visier kämpfen. Nur so können sie Bedenken ausräumen. Und das Wichtigste ist, dass die Bürger das letzte Wort haben. Ohne die Parlamente in Washington, Brüssel und in Europas Hauptstädten geht nichts. Und das ist gut so.

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