Silicon Valley: Wish Machine

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Wunschmaschine Silicon Valley

Sie wissen, was wir wollen: Noch nie wurde ein Wirtschaftszweig so von den Wünschen seiner Kunden getrieben wie die digitale Industrie. Das ist nicht grundsätzlich schlecht, schließlich produzieren Google & Co. kein neuen Katastrophen wie Napalm oder Contergan.

Ein Kommentar von Andrian Kreye

Geht es jetzt wieder los? Als Facebook diese Woche an der Börse mit einem Wert von 138Milliarden Euro notiert wurde, regte sich Unbehagen. Ist das die neue Internetblase? Jene Überbewertung der neuen Industrien also, die im März 2000 die ganze Weltwirtschaft mit sich riss, weil viel zu viele Investoren an digitale Quacksalbereien geglaubt hatten? Facebook hatte in letzter Zeit keinen guten Ruf. Da war der Börsengang vom Mai 2012, der als größter Flop eines Tech-Unternehmens in die Geschichte einging. Und es häuften sich Untersuchungen, dass gerade junge Menschen das Netzwerk in Scharen verlassen. Es geht in der digitalen Wirtschaft allerdings weniger um Produkte als um die Zukunft – der Menschen, nicht der Märkte.

Noch nie wurde ein Wirtschaftszweig so von den Wünschen und vom Willen der Menschen getrieben wie die digitale Industrie. Bei allen Vorbehalten gegen das übermächtige Silicon Valley muss man den Ingenieuren am kalifornischen Pazifik zugestehen, dass sie bisher selten gegen die Menschen gearbeitet haben. Sie produzieren kein Napalm, keine Zigaretten, kein Contergan, um nur ein paar Katastrophen der Produktentwicklung aus dem 20. Jahrhundert zu nennen. Das Silicon Valley produziert in erster Linie Nutz-und Unterhaltungswert. Und da sind die Konzerne nicht nur vom Massengeschmack abhängig, wie das Branchenfossil Hollywood mit seiner Traummaschine. Das Silicon Valley ist eine Wunschmaschine. Und die höchste Kunst dort ist es, die Wünsche der Menschen zu erkennen, bevor sie das selbst tun. Das sollte nicht so schwer sein. Im Grunde funktioniert der digitale Kunde wie ein fünfjähriges Kind. Das hat Freunde und Fragen und steckt sich gerne ein hübsches Spielzeug in die Hosentasche. Genau das sind die Geschäftsmodelle der drei größten digitalen Konzerne – Facebook, Google und Apple.

Wie das Internet aussieht, das die Menschen immer haben wollten

Um zu verstehen, wie diese Wunschmaschine funktioniert, hilft es, kurz auf die Evolution der Informatik zurückzublicken. Bis in die Siebzigerjahre konzentrierten sich die Computerwissenschaften auf ihr Kerngebiet, die Mathematik. Es ging darum, immer schnellere, leistungsfähigere und komplexere Rechenmaschinen zu konstruieren. Dann kamen der Heimcomputer und das Internet – und alles wurde anders. An Instituten wie dem Media Lab des Massachusetts Institute of Technology oder dem Xerox Palo Alto Research Center beschäftigten sich die Wissenschaftler immer weniger mit Maschinen und immer mehr mit Menschen. Denn die Rechner sollten fortan nicht nur den Wissenschaftler und Ingenieuren untertan sein, sondern allen.

Was folgte, war eine Evolution, die viele Menschen als Revolution empfanden. Erst kam der Heimcomputer mit seinen vielen Funktionen, die man schon bald ausführen konnte, indem man mit einer Maus auf niedliche Symbole klickte. Dann kam das Internet, das Weltwissen, Handel und Kommunikation vereinte. Das Smartphone befreite das Internet dann von den Fesseln des Schreibtischs. Jeder dieser Schritte war eine Reaktion der Technologie auf die Wünsche und Bedürfnisse der Menschen. Und das war erst der Anfang.

Facebook, Google, Apple arbeiten seit Beginn des neuen Jahrtausends daran, uns unsere Wünsche – von was genau? – abzulesen. Da beschleicht so manchen ein Grusel. Es ist längst bekannt, dass die digitalen Profile inzwischen so präzise sind, dass Versicherungen, lange bevor wir es selbst wissen, berechnen können, wann wir krank werden; Banken, wann wir pleitegehen; Geheimdienste, wann und wo wir ein Verbrechen begehen.

Wenn man Versicherungen, Banken und Gemeindienste außen vor lässt, heißt das aber, dass die digitale Industrie den Menschen genau das geben kann, was sie wollen. Es sind ja keine per se bösen Menschen, welche die digitalen Konzerne führen, sondern “the best and the brightest”, wie man in Amerika diese Besten und Klügsten nennt, die in der Regel aus den Spitzenuniversitäten kommen. Facebooks Mark Zuckerberg und Microsofts Bill Gates studierten in Harvard, Googles Sergey Brin und Larry Page in Stanford, Amazons Jeff Bezos in Princeton. Wobei sie ihre Studien nicht unbedingt abschlossen (Steve Jobs stieg schon nach einem Semester aus). Ihr wichtigstes Kapital war es jedenfalls, große Wünsche der Menschen zu erfüllen. Obwohl man natürlich nicht außer Acht lassen darf, dass sie allesamt über besonders ausgeprägte Raubtierinstinkte verfügten, mit denen sie die Konkurrenz plattmachten.

Als größter Wunsch der Menschen zeichnet sich ab, dass die Rechenmaschine selbst verschwinden und nur noch ihr Nutzen bleiben soll. Die Renaissance von Facebook ist da ein gutes Beispiel. Ein Grund für den Börsenflop war ja, dass Firmen beim amerikanischen Börsengang zu größtmöglicher Ehrlichkeit gezwungen werden. Und so musste Facebook in seinem Emissionsprospekt zugeben, dass die Nutzer das traditionelle Internet verlassen und vor allem mobile Geräte nutzen. Auf denen war Facebook für die Nutzer allerdings noch zu sperrig und für die Anzeigenkunden zu uneffektiv.

Facebook reagierte schnell. Es kaufte die erfolgreichsten Mobil-Anwendungen wie Whatsapp und Instagram einfach auf und baute seine Anwendung um. Statt des Flusses der Bilder und Nachrichten bekommt man Facebook auf dem Smartphone seither in einer Folge säuberlicher Kacheln präsentiert, von denen einige bezahlt sind. Die meisten Nutzer störten sich an diesen Anzeigen nicht weiter. Facebook kennt sie und ihre Freunde ja so gut, dass es Anzeigen auswählen kann, die ihren Wünschen eben entgegenkommen.

So viel Voraussicht wird den Erfolg dieser Konzerne weiterbestimmen. Die nächsten Schritte der digitalen Evolution sind schon absehbar. Junge Nutzer verlassen in immer größeren Zahlen die Internet-Browser und agieren über Apps. Glaubt man den Instinkten der Silicon-Valley-Investoren, sind die mobilen Geräte jedoch nur eine weitere Brückentechnologie auf dem Weg zu den “Wearables”, all jenen Geräten, die am Körper getragen und kaum noch mit Händen bedient werden. Die Datenbrille von Google war da ein erster, ungelenker Versuch.

Der entscheidende Schritt aber wird das sogenannte Internet of Things sein. Der Elektronikkonzern Cisco rechnet damit, dass es bis zum Jahr 2020 50 Milliarden Geräte geben wird, die mit dem Internet verbunden sind. All diese Geräte werden vor allem eines im Sinn haben – die Wünsche der Menschen zu erkennen und zu erfüllen. Es wird das Internet sein, das sie in Wahrheit immer haben wollten.

Wer sich daran stört, dass die Wunschmaschine ihn so gut kennt, ist seinen Wünschen dann allerdings auch ausgeliefert.

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