The Middle East Overwhelms Obama

<--

Meinung 02.08.14

US-Präsident

Der Nahe Osten überfordert Obama

Barack Obama trat mit messianischem Selbstbewusstsein an. Doch außenpolitisch ist nahezu alles schiefgegangen. Am Ende wären die Iraner fähig, dem US-Präsidenten seine eigene Armbanduhr zu verkaufen.

Von Hannes Stein

Dass etwas anders ist als gewöhnlich – das merkt man dann, wenn “Ha’aretz”, eine linke israelische Tageszeitung, die unermüdlich für die Rechte der Palästinenser eintritt, sich plötzlich so liest, als sei ihre Redaktion über Nacht von Neokonservativen übernommen worden. Als der amerikanische Außenminister dem israelischen Kabinett vor mehr als einer Woche seine Vorschläge für einen Waffenstillstand unter die Nase hielt, da schrieb ein Chefkolumnist von “Ha’aretz”, diese Vorschläge könnten von Khaled Meschal persönlich stammen, dem Chef der Hamas.

Hier würden nämlich sämtliche Forderungen der fundamentalistischen Terrororganisation auf das Großzügigste berücksichtigt. Kerrys Plan – bei dem es sich in Wahrheit um Obamas Plan handelt – “erkennt die Position von Hamas im Gazastreifen an, verspricht der Organisation Milliardenspenden und besteht nicht darauf, dass Tunnel oder schwere Waffen zerstört werden”.

Ein anderer Kommentator fügte hinzu: “Die Regierung Obama hat wieder einmal bewiesen, dass sie der beste Freund ihrer Feinde und der schlimmste Feind ihrer Freunde ist.”

Die amerikanische Nahostpolitik basiert im Moment auf folgender Prämisse: Israel ist das unbeliebteste Kind auf dem Schulhof – ein Junge mit Übergewicht, Sommersprossen, Brille, Zahnspange und fettigem Haar, der von allen anderen herumgeschubst wird. Dieser dicke Junge kann froh sein, wenn gelegentlich ein Lehrer auftaucht, mit dem Finger droht und ihn vor dem Schlimmsten bewahrt.

Israel – das dicke Kind?

Im Gegenzug kann der Lehrer (Amerika) von dem dicken Kind ein gewisses Wohlverhalten erwarten. Er muss sich zum Beispiel damit abfinden, dass sein Banknachbar ihm gelegentlich mit Wucht auf die Nase schlägt, und darf dann nicht zurückhauen, weil sich das nicht gehört.

Aber die Prämisse der Amerikaner ist falsch. Am unbeliebtesten auf dem Schulhof ist derzeit keineswegs Israel. Als der jüngste Gazakrieg begann, hatte das dicke Kind mit der Brille folgende Verbündete: Ägypten, Jordanien, Saudi-Arabien, die anderen Golfstaaten und (zumindest klammheimlich) auch Mahmud Abbas, den Chef der Palästinenserregierung im Westjordanland.

Abbas würde liebend gern die Regentschaft im Gazastreifen übernehmen, wenn es gelänge, die Hamas dort wegzuputzen. Die Mehrheit der Palästinenser im Gazastreifen würde dies nach den jüngsten Umfragen begrüßen.

Das ist auch kein Wunder: Sie sehen, dass es ihren Brüdern und Schwestern wirtschaftlich relativ gut geht, während die Herrschaft der Hamas ihnen nichts gebracht hat als eine Dauerblockade und einen Krieg nach dem anderen. Am unbeliebtesten ist auf dem Schulhof der Region also nicht Israel, sondern der Oberlehrer: Barack Obama. Er ist der größte Unglücksrabe des Nahen Ostens. Es hat ihm nichts glücken wollen in diesem Teil der Welt.

Seien wir gerecht: Jeder Präsident seit Lyndon B. Johnson hat versucht, dem Nahen Osten Frieden zu bringen, und eigentlich sind alle wie die Idioten wieder nach Hause geflogen. (Ausnahme Jimmy Carter, dem es wirklich gelungen ist, dass Menachem Begin und Anwar al-Sadat in Camp David einen Friedensvertrag unterzeichneten.) Kein anderer Präsident hat so viel Ahnungslosigkeit und Illusionen in seine leeren Koffer gepackt wie Barack Obama, als er zum ersten Mal nach Tel Aviv flog.

Der naive US-Präsident

Er glaubte am Anfang allen Ernstes, es werde sofort Frieden geben, wenn die Israelis sich aus dem Westjordanland zurückziehen und alle Siedlungen aufgeben. Offenbar hat niemand – auch nicht Hillary Clinton – ihn darüber aufgeklärt, dass, wenn es so einfach wäre, dieser Konflikt sich schon vor Jahrzehnten in Sonne, Strand und Wohlgefallen aufgelöst hätte.

Niemand hat dem amerikanischen Präsidenten behutsam auseinandergesetzt, dass dieser Konflikt zumindest noch eine Generation weiterschwären wird; dass alle Versuche, die Konfliktparteien zu Verhandlungen über den Endstatus zu drängen, die Sache auf der Stelle schlimmer machen; dass das Beste, worauf man in dieser Lage hoffen kann, ein halbwegs vernünftiges Management des Konflikts ist.

Freilich hat Obama nicht nur in puncto Israel und Palästina versagt, das ja lediglich ein Nebenaspekt des großen Ganzen ist. Er steht im gesamten Nahen Osten vor einem Haufen von blutigen Scherben: Syrien ein Schlachthaus, der militärische Sieg im Irak verspielt, sunnitische Irre im Grenzgebiet zwischen diesen beiden Ländern auf dem Vormarsch – und im Hintergrund ein iranisches Regime, das kichert und sich die Hände reibt, während tief unter der Erde die Zentrifugen mit spaltbarem Material weiterlaufen.

Seien wir wiederum gerecht: Kein Mensch weiß genau, wie man mit einem Nahen Osten umgeht, in dem die künstlichen Nationalstaaten, die Winston Churchill sich 1922 ausgedacht hat, vor unseren Augen mit lautem Getöse zusammenbrechen.

Soll man die islamischen Fundamentalisten unterstützen, weil nur sie die nötige Brutalität haben, um mit Dschihadkämpfern fertigzuwerden, und so auf lange Sicht Demokratie in der Region einkehren wird, wie der Neokonservative Reuel Marc Gerecht glaubt? Oder sollen die Amerikaner sich ohne Wenn und Aber zu General al-Sisi, dem ägyptischen Pinochet, bekennen?

Die Tragödien im Nahen Osten

Schwierige Fragen. Aber der politische Verstand müsste doch immerhin ausreichen, um die historische Lektion aus dem Spanischen Bürgerkrieg zu ziehen. 1936 ließen die westlichen Demokratien aus lauter Furcht vor dem Kommunismus die Linksregierung der Spanischen Republik im Stich, die einen verzweifelten Kampf gegen eine Handvoll Putschgeneräle (unter ihnen Francisco Franco) führte. Die Folge: Spanien wurde zum Schlachtfeld, auf dem die Sowjetunion und die faschistischen Achsenmächte einen Stellvertreterkrieg ausfochten. Just dies ist gerade in Syrien geschehen, nur unter anderen historischen Vorzeichen.

Barack Obama hat sich geweigert, der (moderaten, säkularen) Freien Syrischen Armee mit Luftschlägen beizustehen. Er hat hingenommen, dass Syriens Diktator Baschar al-Assad seine eigene Bevölkerung massakrieren, foltern, vergasen lässt. Die Folge: Sunnitische Fundamentalisten, die sich bestens mit al-Qaida verstehen, sind in das Machtvakuum vorgedrungen.

Es gibt jetzt also nicht einmal mehr eine kleine Chance, dass aus dem Gemetzel etwas Gutes entsteht: Die “Islamische Republik Iran” führt in Syrien einen schmutzigen Stellvertreterkrieg gegen die extremsten Auswucherungen der Muslimbruderschaft. Vielleicht werden Historiker später sagen, dass in Syrien der Dritte Weltkrieg begann.

Jedenfalls ist es Isis-Terroristen in den vergangenen zwei Wochen, während alle Welt auf den Gazastreifen geschaut hat, gelungen, ungefähr 2000 Soldaten der syrischen Regierung zu töten. Und ungezählte Zivilisten.

Iran und Obamas Armbanduhr

Angesichts der amerikanischen Versuche, mit dem iranischen Regime zu einem Deal über die Atomanlagen zu gelangen, schlagen nicht nur Israelis die Hände über dem Kopf zusammen; auch Saudis, Ägypter und Jordanier. Sie alle wissen: Die Amerikaner haben die besten Absichten und sind gutherzig, das iranische Regime dagegen ist hart und hinterlistig.

Die Iraner wären fähig, Obama seine eigene Armbanduhr zu verkaufen. Wenn im Nahen Osten alles so ausgeht, wie es bisher ausgegangen ist, wird die “Islamische Republik” zum Ende von Obamas Amtszeit in einem feierlichen Akt ihre erste Atomrakete enthüllen. Dann wird es furchtbar lustig.

About this publication