Who’s Prudish?

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Von wegen prüde

Von Beate Wild

10.09.2014

In Sachen Sex gilt “der Amerikaner an sich” als rückständig und verklemmt – ausgerechnet in den US-Kinos läuft nun “Feuchtgebiete” an. Inzwischen fragt sich unsere Autorin: Wer ist hier prüde?

Momentan fragen mich meine deutschen Bekannten wieder häufiger, wie das so sei, in einem Land mit bekanntermaßen prüden Einwohnern zu leben. Anfang September kommt schließlich die Verfilmung von Charlotte Roches Roman “Feuchtgebiete” ins amerikanische Kino. So ein Streifen sei doch eindeutig zu krass für die verklemmten Amerikaner?

Wie zur Bestätigung stürzte sich das Magazin Slate mit Genuss auf “Wetlands”, wie der Film hier heißt, nannte ihn “Fifty Shades of Gross” (50 Nuancen des Ekels) und regte sich ein wenig über die freizügigen Szenen auf.

Ich muss mich bei der Frage nach den verklemmten Amerikanern, ehrlich gesagt, ziemlich wundern. Denn in dem Amerika, in dem ich lebe, sind die Leute alles andere als prüde. Ich habe noch nie in meinem Leben so viel nackte Haut in der Öffentlichkeit gesehen. Gut, Kalifornien und speziell San Francisco sind sicherlich liberaler und freizügiger als andere Teile der Vereinigten Staaten. Doch das Vorurteil, dass der Amerikaner an sich prüde sei, stimmt so einfach nicht.

Twerking und Salsa-Hüftschwung

Die USA sind schließlich ein “melting pot”, ein Schmelztiegel aus den unterschiedlichsten Nationen. Eine bunte, wunderbare Mischung, wie sie nur in einem Einwandererland zustande kommt. Und jede Migrantengruppe trägt zur amerikanischen Alltagskultur bei.

Die African-Americans beispielsweise waren noch nie für Spießigkeit oder Prüderie bekannt. Oder woher glauben Sie, hat Miley Cyrus das “Twerking”, ihr Rotieren mit dem Allerwertesten? Sie hat das nicht selbst erfunden, sondern den aufreizenden Bewegungen abgeschaut, die von afrikanischen Tänzen stammen und in der schwarzen Community und im Hip-Hop schon seit Jahrzehnten zum Repertoire gehören.

Oder die Latinos: Wenn Mexikaner, Kubaner oder Kolumbianer die Grenze zur USA passieren, legen sie dort ja nicht automatisch ihr Temperament ab und verlernen von einer Minute auf die andere den Salsa-typischen Hüftschwung. Im Gegenteil, in Staaten wie Florida oder Kalifornien leben die Latinos ihre Kultur leidenschaftlich aus.

Wie bei “Sex and the City”

Bei Mädelsrunden mit Amerikanerinnen komme ich mir manchmal vor wie bei “Sex and the City”. Dann drehen sich die Gespräche derart detailliert um Männer und Sex, dass ich mit hochrotem Kopf dabeisitze.

Nicht nur in Kalifornien gibt man sich liberal. Auch in den eigentlich konservativen Südstaaten habe ich junge Frauen getroffen, die sich Tipps geben, wie man mit der Dating-App Tinder am besten Männer aufgabelt. Von wegen kein Sex vor der Ehe. Das digitale Zeitalter ist ein großer Segen, vor allem für die Menschen, die auf dem platten Land leben. Um einen Partner kennenzulernen, muss man kein aktiver Teil der Kirchengemeinde mehr sein.

Und alle Bayern tragen Lederhosen

Klar, in Deutschland hört man immer wieder, dass junge Mädchen ihren Vätern versprechen, als Jungfrau in die Ehe zu gehen – und hält das für ein Musterbeispiel amerikanischer Prüderie. Doch diese christlichen Bewegungen sind in Wahrheit eine verschwindend kleine Minderheit.

Zwar gibt es die Mormonen, die Homosexualität für eine Sünde halten und den Schwulen ihre Neigungen austreiben wollen, doch auch das ist eine vergleichsweise kleine Gruppe. In Kalifornien etwa ist schwul oder lesbisch mittlerweile genauso normal wie hetero – nur ein bisschen cooler.

Wer glaubt, dass alle Amerikaner prüde sind, glaubt auch, dass alle Bayern ständig in Lederhosen und Dirndl herumlaufen und zur Entspannung gerne schuhplatteln und fensterln. Übrigens haben sich auch die deutschen Medien über die Intimdetails in “Feuchtgebiete” ausführlich echauffiert. Wie viele deutsche Leser legten das Buch angeekelt beiseite, als das Wort “Analfissur” auftauchte?

Aber auch Amerikaner haben ihre Vorurteile gegenüber uns Deutschen: Das Slate-Magazin schreibt, dass die Deutschen “sexually laid-back”, also in Sex-Dingen locker drauf sind. Eine Behauptung, die einer genauen Überprüfung wohl auch nicht standhalten würde. Ganz generell gesehen.

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