Obamas Kurswechsel war längst überfällig
Der amerikanische Präsident war angetreten, den Krieg seines republikanischen Vorgängers George W. Bush im Irak zu beenden. Jetzt führt er selbst einen – gegen den Terror des Islamischen Staats.
In seiner Rede an die Nation kündigte US-Präsident Barack Obama eine Ausweitung der Luftangriffe im Irak an. Zudem sollen weitere 475 Militär- und Sicherheitsberater in das Land entsandt werden.
Erneut führt Amerika einen Krieg im Irak. Barack Obama würde ihn nie so nennen, schließlich will er als der Präsident gelten, der George W. Bushs Krieg im Zweistromland beendet hat. Es handelt sich auch um keinen klassischen Krieg mit US-Bodentruppen, die Territorien erobern und sichern. Ein Krieg ist es dennoch. Er wird dem ähneln, den die Amerikaner zusammen mit der Nordallianz führten, um die Taliban nach 9/11 aus Afghanistan zu vertreiben. Damals fungierte die Nordallianz als Bodentruppe der Amerikaner. Die schickten zunächst Spezialtruppen ins Feld, um amerikanische Luftangriffe mit der Nordallianz zu koordinieren.
Die Frage ist, ob solch eine Strategie im Irak und in Syrien Erfolg haben kann. Denn wer den Bodenkampf anderen überlässt, der kann schnell zum Gefangenen der Interessen anderer werden. Die Kurden wollen vor allem ihr eigenes Gebiet sichern. Iraks Armee verfolgt eine eigene schiitisch-sektiererische Logik, zusammen mit den schiitischen Milizen. Und die sunnitischen Stämme, die Obama gegen die Extremisten mobilisieren will, sind schon einmal von der Regierung in Bagdad hinters Licht geführt worden.
Die Lage in Syrien ist noch desolater, wo die moderate Opposition jahrelang mangels Unterstützung aus dem Westen zwischen den Assad-Truppen und den radikalen Islamisten aufgerieben wurde. Obamas neue Strategie baut also auf vielen Hoffnungswerten auf. Sie ist von taktischen, innenpolitischen Erwägungen getrieben. Obama musste endlich ein Konzept vorlegen für den Kampf gegen IS. Er will aber nichts tun, was seinen Ruf als Kriegsabwickler infrage stellt. Herausgekommen ist ein Kompromiss, der als hochgestufte Anti-Terror-Operation verkauft wird. Zuviel für eine Niederlage gegen IS und wahrscheinlich zu wenig für einen Sieg gegen die Terroristen.
Die irakische Illusion
Das Problem mit Obamas Außenpolitik ist, dass sie aus einer negativen Selbstbeschreibung erwächst. Er war angetreten, die Fehler von Bush nicht zu wiederholen, der Amerika in zwei lange Kriege verwickelt hat. Noch in seiner letzten außenpolitischen Grundsatzrede im Mai hat Obama all jene, die nach mehr Führung Amerikas in der Welt verlangten, implizit als interventionssüchtige Kriegstreiber beschrieben. Ganz so, als gäbe es in der Außenpolitik nur zwei Handlungsmuster – Überreaktion à la Bush im Irak oder weitgehend Raushalten à la Obama – und nichts dazwischen.
Alles, was nicht in das Narrativ dieser Regierung passte, wurde verdrängt. Im Jahr 2011 hatte Obama den endgültigen Abzug Amerikas aus dem Irak mit den Worten verkündet, man hinterlasse ein “souveränes, stabiles und selbstständiges Land” mit einer “repräsentativen Regierung”. Als die New York Times 2012 einen Artikel veröffentlichte über steigende Opferzahlen, musste sich der Bagdad-Korrespondent des Blattes ein wütendes Dementi aus dem Büro von Vizepräsident Joe Biden anhören.
Auch als immer deutlicher wurde, dass der schiitische Premier Militär und Verwaltung von Sunniten säuberte, wollte man im US-Außenministerium davon nichts wissen. Und als der IS Ende des vergangenen Jahres schon Falludscha eingenommen hatte, spielte der Präsident die Gefahr herunter. IS sei ein Nachwuchsteam, meinte er verächtlich.
Ein Team Gleichgesinnter
Inzwischen hält selbst sein Verteidigungsminister dieses “Nachwuchsteam” für die gefährlichste Terrorgruppe der Welt. Solche Realitätsverweigerung erinnert an Bushs Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, der nach der Invasion im Irak noch lange behauptete, es sei doch alles in Ordnung im Land. Da starben jeden Tag schon Dutzende von Menschen in den Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten.
Die Regierung Obama ist über die Jahre zu einer abgeschotteten Insel geworden. Am Anfang war das noch anders. Es gab Persönlichkeiten im Kabinett mit eigenen Ansichten. Es wurden sogar Vergleiche gezogen zu Abraham Lincolns berühmten “Team von Rivalen”. Inzwischen ist daraus ein Team weitgehend Gleichgesinnter geworden. Und selbst Obama zugeneigte Kommentatoren ziehen unvorteilhafte Vergleiche zu Bush.
Der habe in seiner ersten Amtszeit zwar viele Fehler gemacht, habe diese aber dann wenigstens korrigiert mit einem neuen Team und persönlichem Engagement. Das sei bisher bei Obama anders. “Es ist schwer, sich an einen Präsidenten der jüngeren Geschichte zu erinnern, der im Amt so wenig gewachsen ist”, stellt David Rothkopf, Chefredakteur des Außenpolitikmagazins “Foreign Policy”, fest.
Amerikas Bürde
Mit dem erneuten militärischen Engagement im Nahen Osten verabschiedet sich Obama nun stillschweigend von der Obama-Doktrin. Die basierte auf der Annahme, dass Bush das grundlegende Problem amerikanischen Engagements in der Welt sei. Wenn Amerika sich nur zurücknähme und eine weniger aggressive Außenpolitik betriebe, dann würde es weniger Anstoß erregen, geringeren Widerstand gegen seine Politik erleben und einen Ausgleich finden können mit problematischen Akteuren in der Welt. Ein fast schon europäisch anmutendes Missverständnis.
Denn die Schurken dieser Welt – von Assad in Syrien, Putin in Russland, dem neuen Kim in Nordkorea bis zum Kalifen von Mosul – haben eben keine Polit-Seminare bei Soft-Power-Guru Joseph Nye in Harvard belegt, sondern sie glauben weiter an die klassische Hard Power. Und wenn Amerika diesen Teil seines außenpolitischen Instrumentariums zurückfährt, dann testen sie aus, was geht. Die aus den Fugen geratene Ordnung wieder aufzurichten, ist in der Regel kostspieliger, als es frühzeitiges und beständiges Engagement gewesen wäre. Siehe Syrien und Irak.
Eine liberale und stabile Weltordnung zu bewahren, bedarf der ständigen Anstrengung, um sie gegen autoritäre und Unordnung säende Akteure zu verteidigen. Wenn Amerika das nicht übernimmt, dann wird es auch kein anderes Land tun. Es gehört zur Bürde einer Supermacht, dabei auch Fehler zu begehen, die kritisiert werden und nicht einmal dort Lob zu ernten, wo man eine positive Rolle spielt. Aber wer hat schon behauptet, die Welt sei eine faire Veranstaltung? Obama muss nun im Irak und in Syrien mehr investieren. Nicht, weil er es gerne möchte, sondern weil es der Rolle entspricht, die Amerika spielen muss, wenn es das Feld nicht anderen, weniger gutartigen Spielern überlassen will.
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