Wieder auf Seiten der Freiheit
Von KONRAD EGE
03.10.2014
Man muss etwas tun, man will etwas tun gegen den selbsternannten Islamischen Staat (IS), der Hunderttausende aus dem Irak und aus Syrien in die Flucht getrieben hat und in eroberten Gebieten ein Schreckensregime etabliert. Im nordirakischen Mossul habe der IS Mitte September die Menschenrechtsaktivistin Samira Salih Ali al-Nuaimi gefoltert und ermordet, bestätigte die UN-Mission im Irak. Zeugen berichten von Massenmorden, Willkür und Vergewaltigungen.
Bei „etwas tun“ denken westliche Regierungen an militärische Mittel. Dabei hat jahrzehntelanger Krieg die Umstände geschaffen für das schreckliche Jetzt. Die US-Luftwaffe und verbündete Kräfte greifen mit Kampfjets und Drohnen an. Seit neuestem geschieht das auch in Syrien, das zum siebten überwiegend islamischen Land geworden ist, das US-Präsident Barack Obama seit Beginn seiner Amtszeit bombardieren lässt. Die US-Luftflotten sind keine Rotkreuzhelfer und nicht unterwegs zu humanitären Zwecken. Staaten kämpfen für ihre Interessen. Das heißt, die Luftschläge werden die IS-Vorhuten hier und da zurückdrängen, vielleicht empfindlich schwächen oder vernichten. Doch nur ideologische Scheuklappen verbergen, dass Krieg und Kampfeinsätze im arabischen Raum während des zurückliegenden Vierteljahrhunderts keine langfristigen Lösungen gebracht haben. Erst recht keinen Frieden. Der Islamische Staat ist gewachsen auf den Trümmer- und Schrottbergen des Krieges im Irak, als die US-Regierung, angeblich aus humanitären Gründen und zum Schutz vor Massenvernichtungswaffen, einen Machthaber stürzte und eine Gesellschaft zerschlug. Dieser Dschihadismus entstand auf dem Nährboden der reaktionären und mit den USA verbündeten sunnitischen Monarchien am Golf (darunter Saudi-Arabien), die nun hoffen, der große Bruder werde den außer Kontrolle geratenen IS-Radikalismus bändigen.
Wie viele Kombattanten sich IS-Kontingenten angeschlossen haben, weiß offenbar niemand. In den USA flattern dennoch die Warnflaggen. Der republikanische Senator Lindsey Graham verlangt bei einem TV-Talk, Obama müsse sich der Gefahr stellen, „bevor wir alle hier zu Hause getötet werden“. Dieser Bellizismus unterscheidet sich von der Stimmung vor einem Jahr, als Obama gegen den syrischen Machthaber Baschar al-Assad losschlagen wollte. Der wurde beschuldigt, mit Chemiewaffen eine „rote Linie“ überschritten zu haben. Damals vertraten auch viele Republikaner die Auffassung, es sei nicht Aufgabe der USA, sich in neue Nahost-Konflikte zu stürzen.
Als dann mit Hilfe Russlands ein Weg gefunden wurde, die Vernichtung der chemischen Waffen in die Wege zu leiten, trugen sich viele Friedensbewegte mit der Hoffnung, der „Mythos vom Krieg“ als Problemlöser sei bei der Syrien-Debatte implodiert. Das scheint lange her. Die Elite in Washington hat beschlossen, die USA müssten ordnend eingreifen. Kriegsskeptiker kommen nicht vor in dieser Debatte. Es wird kaum gesprochen über diplomatische Bemühungen unter Einbeziehung Teherans, das der Regierung in Bagdad nahesteht, oder Moskaus mit seinen Kontakten nach Damaskus. Wozu auch? Krieg ist zum Bestandteil der Normalität geworden.
Im gleichen Graben
Dabei zeigen die Strategen keine Wege auf, wie die verworrenen und blutgetränkten Konstellationen rivalisierender Interessen aufgelöst werden könnten. Im Irak gibt es keine Anzeichen dafür, dass die seit vier Wochen amtierende neue, wieder mehrheitlich schiitische Regierung die sunnitische Minderheit weniger unterdrückt als die vorherige des Premiers Nuri al-Maliki. Die nationalen Streitkräfte, die trotz jahrelanger US-Ausbildung und -Ausrüstung unter dem Ansturm der IS-Kohorten fast kampflos das Weite suchten, sollen nun plötzlich zu kampfbereiten Bodentruppen mutieren.
Der Bürgerkrieg in Syrien tobt seit mehr als drei Jahren. Die sogenannte Freie Syrische Armee (FSA), die angeblich moderate Kraft gegen Präsident Assad, die vom IS fast aufgerieben wurde, soll bei mehrmonatigen Kursen – möglicherweise in Saudi-Arabien – wieder zu einer schlagkräftigen Einheit zusammengeschweißt werden. Man brauche „zwischen 12.000 und 15.000 Kämpfer, um Boden zurückzugewinnen, der im Osten Syriens verloren ging“, erklärt General Martin Dempsey, Vorsitzender der Vereinigten Stabschefs. Angeblich sollen die Kämpfer vor der Ausbildung auf ihre ideologische und religiöse Haltung hin geprüft werden. Doch helfen die Luftangriffe auf IS-Bastionen dem syrischen Machthaber, den Obama vor einem Jahr noch stürzen wollte. In der regierungstreuen Damaszener Zeitung Al-Watan wurde jüngst gejubelt, das US-Militär kämpfe nun „in den gleichen Gräben wie die syrischen Generäle. Sie alle stehen im gleichen Krieg gegen den Terrorismus“.
No boots on the ground, keine US-Soldatenstiefel auf dem Boden: In den USA klammern sich die Politiker fest an dieses Prinzip, an dem so gut wie nichts besonders logisch erscheint. Wenn der Islamische Staat tatsächlich so mächtig ist und eine Bedrohung darstellt selbst für das Homeland – warum werden dann Bodentruppen ausgeschlossen, um dieses – wie es heißt – Netzwerk des Todes zu zerstören? Etwa 1.500 US-Soldaten stehen bereits zwischen Euphrat und Tigris, angeblich als Ausbilder und um US-Einrichtungen zu schützen. Und man darf davon ausgehen, dass Special Forces der Army in den Gefechtszonen Nord- und Ostsyriens unterwegs sind. General Dempsey hat eingeräumt, man werde letztendlich Bodentruppen brauchen, es müssten aber keine amerikanischen sein. Dem Islamischen Staates wird das recht sein. Aus seiner Sicht schärft der US-Einsatz das eigene Selbstbild: Wahre Muslime kämpfen gegen einen mächtigen Feind, der das Kalifat verhindern will. In diesem Ringen kann es keine herkömmlichen Sieger geben – für den IS sind Überleben und Weiterkämpfen Erfolg genug.
Es waren die grauenhaften Enthauptungen der amerikanischen Journalisten James Foley und Steven Sotloff, die offenkundig in den USA viele Zweifel ausgeräumt haben. Menschen, die so grausam töten, verstehen nur die Sprache der Gewalt, wie es Obama formulierte bei seiner Rede vor der UN-Generalversammlung. Dabei zeigt sich gerade beim Entsetzen über das Köpfen, wie selektiv Entsetzen sein kann. Der Islamische Staat hat wahrlich kein Monopol auf Brutalität. Nach Angaben von Angehörigen Steven Sotloffs gegenüber dem Sender CNN ist der Journalist von sogenannten „moderaten syrischen Rebellen“ für „etwa 25.000 bis 50.000 Dollar“ an den IS verkauft worden.
Die New York Times schrieb Ende August über den ersten Amerikaner, der im Kampf gegen den Dschihad gefallen ist – den 33-jährigen Douglas McArthur: „Die Rebellen, die ihn getötet haben, kämpften für die Freie Syrische Armee, die von den USA unterstützt wird. Insgesamt sechs IS-Kämpfer wurden von ihnen enthauptet, die Fotos anschließend bei Facebook platziert.“ So hört selbst das nicht auf, die Unmenschlichkeit von Mensch zu Mensch.
Am 5. August wurde ein saudischer Mann namens Mohammed bin Bakur al-Alawi öffentlich enthauptet wegen des Verbrechens der Hexerei. Die Hinrichtung geschah in Qurayyat im nördlichen Saudi-Arabien. Al-Alawi habe gestanden und das Oberste Gericht die Todesstrafe bestätigt, berichtete die in der Stadt Jeddah erscheinende Saudi Gazette. Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch sind in dem von einer Monarchie regierten Saudi-Arabien vom 4. bis zum 21. August 19 Menschen geköpft worden, örtlichen Zeitungsberichten zufolge acht davon wegen Drogenschmuggels und ähnlicher Straftaten.
Die Welt stehe „an einem Scheideweg zwischen Krieg und Frieden, zwischen Zerrüttung und Integration, zwischen Furcht und Hoffnung“, so Barack Obama vor den Vereinten Nationen. Die USA würden auf Seiten der Freiheit stehen. Mit Verbündeten wie den Saudis, die realpolitisch gebraucht werden. Und augenscheinlich ohne ein politisches Konzept, wie die Umstände verändert werden sollen, die bis zu diesem „Scheideweg“ geführt haben.
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