Multipolar or Multilateral?

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Multipolar oder multilateral?

Ulrich Speck 27.8.2014

Den Kritikern amerikanischer Weltmacht ist die Idee einer multipolaren Welt seit je sympathisch: Neben den Pol Amerika, so die Idee, treten die Pole China und Russland, eventuell eines Tages auch die Europäische Union. Auf diese Weise wird amerikanische Macht durch Gegenmacht eingehegt und beschränkt. Das klingt progressiv, nach einem System der «checks and balances», nach freiheitsichernder Gewaltenteilung.

Doch die multipolare Realität, wie sie sich in den letzten Jahren entfaltet, sieht anders aus. Mit Sicherung des internationalen Rechts haben China und Russland nichts im Sinn. Im Gegenteil, sie schwächen das ohnehin schon schwache Gewebe internationaler Normen. Es geht ihnen darum, ihre eigene Übermacht in ihrer Nachbarschaft ungehindert ausspielen zu können. Beide agieren revisionistisch und damit destabilisierend: China strebt Kontrolle über die angrenzenden Meere an, Russland über den postsowjetischen Raum.

China betreibt seine Expansion wenig spektakulär. Es geht zwei Schritte nach vorn – Eskalation –, dann wieder einen Schritt zurück – Entspannung. Im Falle Russlands ist das Vorgehen aggressiver und provoziert dementsprechend auch wesentlich mehr Widerstand. Beide aber probieren aus, wie weit sie gehen können, bis sie auf ernsthaften Widerstand stossen.

Dreierlei steht ihnen im Weg: das seit 1945 aufgebaute internationale System, dessen Ziel es ist, die Wiederkehr rücksichtsloser Machtpolitik zu verhindern, der Widerstand der betroffenen Nachbarn und die Gegenwehr des Westens, meist unter Führung der USA, die seit dem Zweiten Weltkrieg die Rolle einer Garantiemacht des internationalen Systems spielen.

Entgegen einer verbreiteten Auffassung drängt sich Amerika dabei nicht auf. Es sind vielmehr die Nachbarn Chinas und Russlands, die Washington um Beistand bitten. Ihr Ziel ist eine feste Militärallianz mit den USA. Denn nur die glaubhafte Beistandsgarantie der Hypermacht Amerika schreckt die hungrigen Kolosse zuverlässig davon ab, die Souveränität und territoriale Integrität der Schwächeren zu ignorieren.

Die Amerikaner sind jedoch immer weniger bereit, diese Rolle zu spielen. Nach der militärisch expansiven Phase unter George W. Bush wollen sie ihre weltpolitische Rolle einschränken. Obama ist das Zögern förmlich anzusehen – rote Linien werden erst gezogen und dann wieder zurückgenommen. Die Hoffnung Washingtons besteht darin, Verbündete zu ermutigen, mehr Verantwortung zu übernehmen. Amerikanische Führung gewohnt, demonstrieren Europäer und andere jedoch wenig Bereitschaft dazu.

Peking und Moskau nutzen die Schwäche des Westens, um eigene Machtansprüche anzumelden. Was sie anstreben, ist eine andere internationale Ordnung: Multipolarität statt Multilateralismus, Recht des Stärkeren statt Stärke des Rechts. In ihrem Entwurf ist die Welt aufgeteilt in konkurrierende Machtblöcke, geführt von regionalen Vormächten. Nicht zufällig erinnert das an die Ordnung des Kalten Krieges.

Anders als im Kalten Krieg jedoch geht es den Herausforderern des Westens nicht um eine andere politökonomische Ordnung. Im Gegenteil, die Ordnung der Globalisierung, vom Westen geprägt, ist die Voraussetzung für die Machtposition, die sie einnehmen. Ein sich nicht diversifizierendes Russland braucht die Einnahmen aus dem Verkauf aus Öl und Gas mehr denn je, und Chinas rasanter Aufstieg beruht auf seiner Integration in die globale Wirtschaftsordnung.

Das grösste Handicap Russlands und Chinas ist ihr Mangel an Attraktivität. Die Zahl ihrer Freunde ist gering. Mit ihren nationalistisch-autoritären Ordnungsvorstellungen stossen sie kaum auf Gegenliebe ausserhalb ihrer nationalen Grenzen. Ihrem Ordnungsentwurf fehlt nicht nur jener universale Heilsanspruch, von dem der Kommunismus bei allen Schwierigkeiten doch lange auch zehren konnte. Er erweist sich auch als purer Egoismus, auf Kosten der Schwächeren und auf Kosten der internationalen Gemeinschaft.

Ulrich Speck ist Visiting Scholar bei Carnegie Europe in Brüssel

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