Obama’s Strategy against the Islamic State: America Gives Up on Kobani

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Obamas Strategie gegen den IS: USA geben Kobane auf

Von Marc Pitzke, New York

Luftschläge halfen nichts: Auch das US-Militär kann die kurdische Stadt Kobane nicht vor der Terrormiliz IS retten. Ein Armutszeugnis für Präsident Obama – seine Strategie gerät auch in den eigenen Reihen zunehmend in die Kritik.

Das Weiße Haus hat Kobane aufgegeben. Die kurdische Enklave an der syrisch-türkischen Grenze, von der Terrormiliz “Islamischer Staat” (IS) eingekesselt, werde sich nicht mehr lange halten, prophezeite US-Generalstabschef Martin Dempsey am Dienstagabend im TV-Sender ABC: “Ich fürchte, Kobane wird fallen.”

Erstmals räumten die Amerikaner damit eine solche Niederlage gegen den IS offen ein. Wie erfolglos die US-Luftschläge zumindest in Kobane waren, leugnete Vier-Sterne-General Dempsey dabei nicht: Man versuche den IS zwar zu treffen, “wo wir können” – doch die Terroristen seien enorm flexibel und wüssten sich immer wieder “herauszumanövrieren”.

Auch als ABC-Reporterin Martha Raddatz nachhakte, ob die USA nicht ein “Gemetzel” riskierten und den Tod von womöglich 5000 Menschen, blieb Dempsey kühl: Dass sich noch so viele Einwohner in Kobane aufhielten, sei “reine Vermutung”, die meisten seien geflohen. Allerdings habe er keine Zweifel, dass die IS-Horden “entsetzliche Gräueltaten ausüben werden, so sie die Gelegenheit dazu haben”.

Obama nimmt humanitäre Katastrophe in Kauf

Das eiskalte Kalkül, mit dem Washington die Tragödie von Kobane betrachtet, offenbart Barack Obamas Dilemma – und seine halbgare Strategie gegen die mordenden IS-Truppen.

Mehr als Luftschläge kann der US-Präsident seiner kriegsmüden Nation zurzeit nicht zumuten. Zugleich aber nimmt er so eine humanitäre Katastrophe in Kauf, die manche schon an das Massaker von Srebrenicaerinnert, bei dem 1995 im Bosnienkrieg, unter tatenlosen Blicken der Uno-Blauhelme, mehr als 8000 Menschen ermordet wurden – “ein Schandfleck auf unserem kollektiven Bewusstsein”, wie Obama selbst einmal sagte.

Jetzt steckt er in einer ähnlichen Klemme. Selbst wenn es die Bereitschaft gäbe, sich in Kobane stärker zu engagieren, wären ihm die Hände gebunden: Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan knüpft eine Unterstützung der Amerikaner an zurzeit unerfüllbare Forderungenwie den Sturz des syrischen Machthabers Baschar al-Assad. US-General John Allen, Obamas IS-Beauftragter, soll deshalb ab Donnerstag in Ankara neuen Druck ausüben – zu spät für Syriens Kurden?

Die USA sorgten sich “sehr” um die “unschuldigen Zivilisten in Kobane”, beteuerte Obamas Sprecher Josh Earnest am Dienstag – eine leere Floskel angesichts der Tatenlosigkeit des Westen. Als wolle er die Scheinheiligkeit unterstreichen, verwies Earnest erneut auf die Luftschläge – deren Effizienz Generalstabschef Dempsey nur Stunden später in Zweifel zog – sowie die “sehr koordinierte Strategie” Obamas – die um ganz andere Ziele kreist als Kobane.

“Keiner will Kobane fallen sehen”

Denn den stets gleichen Worthülsen des Weißen Hauses zufolge verfolgt diese Strategie die Zerschlagung des IS an der Wurzel – Logistik, Raffinerien, “kritische Infrastruktur”. Ein Ort wie Kobane bleibt dabei außen vor.

Das ist in Washington allen klar. Auch Jen Psaki, die Sprecherin des Außenministeriums: Ja, man wünsche sich eine stärkere Rolle der Türkei, nein, über Luftschläge würden die USA nicht hinausgehen. Wie genau denn Obamas IS-Strategie aussehe? Da musste Psaki erst mal in ihren Papieren kramen – um ebenfalls nur leere Floskeln zu finden: “Es ist schrecklich, live mit anzusehen, was in Kobane passiert”, sagte sie. “Keiner will Kobane fallen sehen.”

Solche – die Realität leugnende – Banalitäten ärgern nicht nur die Korrespondenten. Kritik an der IS-Linie des Präsidenten schallt inzwischen auch immer mehr aus dessen eigenen Reihen. Allen voran einer seiner seiner lange engsten Vasallen: Leon Panetta, der Obama erst als CIA-Direktor diente, dann als Pentagon-Chef und in beiden Posten an seinen brisantesten Entscheidungen und Erfolgen beteiligt war – etwa der Mission zur Tötung von Osama Bin Laden, die Panetta persönlich überwachte.

Panetta prangert Obamas Versagen an

Am Dienstag tingelte Pensionär Panetta durch die US-Medien, um seine neuen Memoiren zu bewerben. Er nutzte seine Auftritte, um Obama Versagen im Syrien-Konflikt vorzuhalten – und Mitverantwortung für den Aufstieg des IS: Obama habe in Syrien zu lange “geschwankt”, und aus dem Vakuum sei der IS “entstanden”.

Die einzige Lösung, so deutete Panetta in mehreren Interviews an, liege notfalls eben doch in US-Bodentruppen. Ein brutaler Rat – zumal er damit eine lange Reihe einstiger Vertrauter fortsetzt, die Obama im Ruhestand die Gefolgschaft verweigern, namentlich Panettas Vorgänger Robert Gates und die letzte Außenministerin Hillary Clinton.

Auch sonst findet der lebenslange Demokrat Panetta in “Worthy Fights” wenig gute Worte für seinen früheren Dienstherrn: Obama habe zwar eine “durchdachte Vision für das Land” – doch die sabotiere er, indem er “den Schlagabtausch meidet, jammert und Chancen verpasst”. Panettas tristes Fazit: Trotz guten Willens sei Obama “vom Weg abgekommen”.

Obama selbst hielt sich bedeckt. Er verbrachte den Tag in New York und Connecticut, wo er auf mehreren privaten Feten Parteispenden sammelte. Dabei lobte er zwar “die Führungskraft Amerikas” im Kampf gegen den IS.

Kobane erwähnte er mit keinem Wort.

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