Terrormiliz IS bleibt in der Offensive
Von Roland Etzel 1
7.10.2014
Kurdische Internet-Seite berichtet erstmals von »fehlgeleitetem Luftschlag« der US-Armee
Bei den Kämpfen zwischen Dschihadisten und Kurden um die Stadt Kobane sollen in den vergangenen vier Wochen über 600 Menschen getötet worden sein. Dazu kommen die Toten der US-Luftangriffe.
Die Belagerung der nordsyrischen Kurdenstadt Kobane dauerte am Donnerstag genau einen Monat an. Alle Fernsehsender nehmen uns mit ihren Auslandsnachrichten jeden Abend mit auf diesen Kriegsschauplatz. Die wenigen verfügbaren, von wem auch immer in die internationalen Verteilernetze eingespeisten Filmsequenzen sind indes überall dieselben. Allenfalls die Bewertungen unterscheiden sich. Dennoch ist eine Tendenz ablesbar, wonach die kurdischen Verteidiger langsam, aber stetig zurückgedrängt werden.
Was genau passiert – soweit tatsächlich jemand die Gesamtsituation beurteilen kann -, bei den Medien kommt es nicht an. Die weit weg in Europa sitzende Beobachtungsstelle für Menschenrechte von der syrischen Opposition gibt dennoch präzise Opferzahlen bekannt. Im Kampf um Kobane, so werden sie von dpa wiedergegeben, seien vergangenen Monat mindestens 662 Menschen ums Leben gekommen.
Auf Seiten der Volksschutzeinheiten (YPG) starben demnach 258 Kämpfer und in den Reihen des »Islamischem Staates« (IS) 374 Kämpfer. Weiterhin seien 20 Zivilisten und zehn mit der YPG-Miliz verbündete Kämpfer umgekommen.
Das Momentum ist wohl weiter auf Seiten der islamistischen Angreifer. Für sie ist gerade in dieser Woche offensichtlich geworden, dass sie sich weiter auf die Türkei verlassen können. Weder NATO-Generalsekretär noch US-Außenminister haben den türkischen Präsidenten dazu bewegen können, die syrische Grenze mit Bodentruppen zur Unterstützung der Kurden zu überschreiten – einmal vorausgesetzt, dass sie das ernsthaft versucht haben.
Wer sich schon immer gefragt hat, wie US-Flieger bei einem Häuserkampf aus großer Höhe unterscheiden, welche Stellungen den Milizionären des IS und welche den YPG gehören, weiß jetzt: Es gelingt nicht immer. Selbst eingestanden haben sie das allerdings nicht. Die Nachricht kommt von Rudaw, einer irakisch-kurdischen Internet-Seite, die am Donnerstag einen Kurdensprecher in Kobane zitierte. Bei einem »fehlgeleiteten Luftschlag« seien sechs YPG-Kämpfer und eine Zivilistin getötet worden.
Was der Sprecher weiter mitteilte, klingt dramatisch: Zwei Drittel von Kobane seien unter Kontrolle der YPG-Einheiten. Allerdings würden Medikamente und Verbandszeug knapp. »Alle wichtigen Vorräte wie Bandagen, Antibiotika und Betäubungsmittel gehen zur Neige«, sagte Idriss Nassan. Verletzte lägen im Sterben, weil sie nicht behandelt werden könnten.
Die Miliz habe einige erhebliche Geländegewinne gemacht, sagte der US-Sondergesandte für den Kampf gegen den IS, General a. D. John Allen, am Mittwoch. Von offizieller US-amerikanischer Seite hört man ausschließlich Erfolgsmeldungen, die in ihrer Gleichartigkeit und Unüberprüfbarkeit den Verdacht nahelegen, schon vor dem Angriff verbreitet worden zu sein. Dass die US-Luftangriffe sehr teuer sind, sicher viele Menschenleben kosten und dennoch politischer Aktionismus sind, erfährt man eher von Leuten, die der Regierung nicht direkt verpflichtet sind, so zum Beispiel vom US-General John Allen. Dieser äußerte am Mittwoch entgegen den offiziellen Verlautbarungen aus dem Pentagon, dass die Milizen der Gotteskrieger »einige erhebliche Geländegewinne gemacht« hätten.
Um so mehr demonstriert man auf internationalem Parkett Entschlossenheit. Frankreichs Präsident François Hollande, US-Präsident Barack Obama, Bundeskanzlerin Angela Merkel, der britische Premierminister David Cameron und Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi hätten laut dpa in einem Schaltgespräch »ihren Kurs gegen den IS« bekräftigt, wie der Élyséepalast in Paris mitteilte.
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