All That’s Left Is the T-Shirt

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Was bleibt, ist das T-Shirt

von Moritz Schuller

22.10.2014

Die weiße Ostküstenelite dominiert nicht mehr die USA. Doch Obama hat es nicht geschafft, ihr Erbe anzutreten.

Die Geschichte ist zu lang, sagt der Chefredakteur zu seiner Redakteurin. Aber sie hat doch einen wunderbaren erzählerischen Bogen und einen Höhepunkt, antwortet sie, man kann sie nicht teilen. „Yes, you can“, sagt Ben Bradlee und reißt das Papier mit dem Artikel in der Mitte durch.

Bradlee, ruppig, gut aussehend, selbstbewusst, hat aus der verschlafenen „Washington Post“ eine politische Institution gemacht und Präsident Nixon zu Fall gebracht. Dabei ist aus einem charismatischen Chefredakteur ein einflussreicher geworden, und am Ende eine kulturelle Ikone. Jetzt ist Bradlee gestorben und in den Nachrufen stehen viele Anekdoten aus einer anderen Zeit.

Das Amerika von Ben Bradlee verschwindet seit Jahren, und ein neues ist nicht in Sicht. Aus der Beharrlichkeit, mit der jedes Jahr der Literaturnobelpreis für Philip Roth gefordert wird, spricht die Sehnsucht nach dem Amerika der Gore Vidals und der John Updikes, der „New York Times“ und der „Washington Post“. Bradlee und auch der einen Tag vor ihm verstorbene Modedesigner Oscar de la Renta waren Brücken zu einer Vergangenheit, für die es in Amerika Bilder und Erinnerungen zuhauf gibt. Bradlee ging mit Kennedy segeln, de la Renta kleidete dessen Frau ein. Die Zeitschrift „Vanity Fair“ lebt davon, dass sie diese Geschichten von damals immer wieder erzählt, aus der Zeit, als Truman Capote es sich in New York mit allen verdarb und die weiße Ostküstenelite des Landes noch von Bedeutung war.

Joschka Fischer kaufte auch bei Brooks Brothers ein

Auch in dem späten Erfolg von James Salter, der in seinen Romanen melancholisch auf all die Martinis in Manhattan zurückblickt, kommt eine Sehnsucht zum Ausdruck, die nur bisweilen durch Autoren wie Jonathan Franzen und Donna Tartt in die Gegenwart gelenkt wird. Selbst Joschka Fischer wollte sich als Epigone in diese Ära einreihen und ging in New York demonstrativ bei „Brooks Brothers“ einkaufen. Dass Brooks da längst zur britischen Kaufhauskette „Marks & Spencer“ gehörte, fiel kaum auf. Warum auch, wenn selbst die „Washington Post“ inzwischen von Amazon-Chef Jeff Bezos übernommen wurde.

Ben Bradlee war Teil von Washingtons „old Georgetown“, jenem Viertel in dem die gesellschaftlich Wichtigen und Mächtigen wohnten und das in dem neuen, von Bradlee ins Leben gerufenen Stil-Teil der „Washington Post“ über sich selbst lesen durfte. Der Chefredakteur Bradlee war erfolgreich, weil er das Harte konnte und das Weiche. Er konnte Nixon und er konnte Jackie. Wie schon seine beiden Vorgänger hat Barack Obama mit diesem Washington, trotz Harvard, nicht viel zu tun. Gewählt wurde er, der sich schon äußerlich von dem alten Ostküstenmilieu unterscheidet, vielleicht gerade deshalb. Obama hat „Yes, we can“ gerufen, nur anders als Bradlee hat er dann nichts zerrissen. Seine Amtszeit hat zwei Teile, aber keinen Bogen und keinen Höhepunkt. Anfang November stehen die Kongresswahlen an und Obamas Zustimmungsraten sind im Keller. So sehr, dass die demokratische Kandidatin in Kentucky in einem Werbespot betont: „Ich bin nicht Obama.“

Wäre Hillary Clinton besser gewesen?

Der amerikanische Präsident ist so unbeliebt, dass sich Historiker wie Timothy Garton Ash schon fragen, ob Hillary Clinton nicht eigentlich die bessere Präsidentin gewesen wäre. Zur Verteidigung Obamas führt Garton Ash ins Feld: „Man darf nicht vergessen, dass kein Präsident seit 1945 so schlechte Karten zugeteilt bekommen hatte.“ Die Finanzkrise, das Erbe des Irakkriegs, ein dysfunktionales politisches System in Washington, eine globale Machtverschiebung – mit Hoffnung allein waren diese Hürden nicht zu meistern. Gleichwohl räumt auch Garton Ash ein, dass Obama die außenpolitische Landschaft, in die er hineingewählt wurde, bisher schlecht beackert hat. Diese Debatte über das harte politische Erbe Obamas wird sich schon bald fortsetzen, wenn, nach den Kongresswahlen, die letzte Strecke seiner Amtszeit beginnt.

Doch schon heute ist erstaunlich klar, wie schwach Obamas weiches Erbe ist. Als Star angetreten, als Symbol, dessen Gesicht auf T-Shirts gedruckt wurde, versprach er einen gesellschaftlichen Wandel. Doch Obamas eindrucksvolle soft power, seine Redekraft und seine Aura, ist mit der Zeit immer wirkungsloser geworden, ein neues Georgetown hat er nicht errichtet. Barack Obama hätte zur gesellschaftlichen Ikone werden können, doch er hat einer sich auflösenden kulturellen Identität Amerikas keinen neuen Impuls gegeben.

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